Ballack liegt mit einigen, nein den meisten Einschätzungen wie sie aus den vielen Interview-Zitaten als auch der Tatsache des Interviews selbst deutlich werden eklatant falsch.
Das gilt sowohl zum einen für die von ihm kritisierten Personalentscheidungen, dem geänderten Kurs Löws als Reaktion auf die von Ballack erstaunlich schönfärberisch beurteilten EM 2008, als auch die Selbsteinschätzung seiner Rolle im Team.
Letzteres ist möglicherweise ein sehr verspäteter Nachhall aus der Abwehr-Diskussion vor der WM 2006, als er öffentlich mehr Stabilität einforderte und dafür sogar selbst "ins Glied" zurück trat indem er seine anerkannten Offensivqualitäten "opferte" zu Gunsten eines insgesamt gesicherteren Defensivverbunds zusammen mit Frings - und der damalige Teamchef Jürgen Klinsmann darauf einging.
So positiv die Wirkung für das Spiel und Abschneiden der daraus erwachsenen "Sommermärchenelf", so scheint dies leider auch ein persönliches Mißverständnis Ballacks induziert zu haben, nachdem er sich für einen bisweilen besseren Trainer hält als sein zur jeweiligen Zeit Vorgesetzter im Nationalteam.
Leider voll daneben, Herr Ballack!

Ich war bisher immer etwas unsicher wie ich den "Capitano" einschätzen sollte, schon zu Bayern-Zeiten.
Da war einerseits dieser Mittelfeldspieler, der entscheidende Tore machte und bisweilen die Mannschaft auf dem Feld mit seiner Leistung mitzuziehen vermochte, ohne gleich den Zampano heraushängen zu lassen als reiner Lautsprecher.
Was die dann folgenden Spielbewertungen in den Interviews hinterher anbelangt wußten die allerdings nicht immer vollstsändig zu gefallen oder zu überzeugen.
Wenn´s gut gegangen war, war´s weitgehend egal - wenn nicht, dann mußte man schon das ein oder andere Mal die Augenbrauen hochziehen oder Nase rümpfen.

Aber wichtiger war ja, daß die Trainer ihre richtigen Schlüsse zogen und für´s nächste Mal die passenden Maßnahmen zu ergreifen.
Jetzt aber - nach langen Drängeleien und Aufrufen hat er immer mehr die Rolle des "bärbeißigen Leitwolfs" übernommen.
Und ich fürchte damit auch einige sog. "Tugenden" aus alter Zeit, z.B. ausgeprägtes Hierachie- und Verdienstdenken verbunden mit autoritärerem Auftreten.
Er spricht jetzt laut - siehe im EM-Nachklapp aufkommende Kritik am Führungsstil (Kroatien-Spiel) und eben jetzt auch diese Interviews von ihm und anderen "Führungsspielern" oder (gefühlten) ausgebooteten.
Nicht zu seinem Vorteil, wie ich finde... und vor allem auch nicht zum Besten der Mannschaft.
Kritik an Personalpolitik des Trainers, Aufstellung, Strategie/Taktik etc. gehört - wenn sie überhaupt der Art ist, daß dieser sie diskutieren sollte - in den Kreis der Mannschaft, bzw. gar nur in Zwiegespräch mit der Teamleitung.
In der nun von gewählten Form über die Medien, in der drastischen Art und Weise hat sich auch ein "Capitano" Ballack jedoch deutlichst vergriffen.
Und die Fehleinschätzungen die er dabei zum Besten gibt, sprechen nicht gerade für ihn:
1. Fall Kuranyi:
Dessen Form bei seiner Aktion - einfach mitten im wichtigen Quali-Spiel abhauen - steht außerhalb jeder Diskussion. Da kann´s keine zwei Meinungen geben.
Was den rein sportlichen Aspekt anbelangt wäre Ballack auch besser beraten gewesen vorher nochmal objektiv über die Leistung des Kollegen nachzudenken.
Wenn der eine solche mal konstant bringen würde (so wie vielleicht ganz zu Beginn der Ära Klinsmann gegen Österreich und die folgenden Spiele), dann hätte er auch eine Chance.
So muß er - und damit auch ein halbwegs aufmerksamer Kapitän Ballack - akzeptieren, daß er hintansteht.
Ansteht hinter einem:
- Miro Klose, der halt immer wieder zu solchen "Dreiern" wie gegen Finnland gut ist, auch nach hinten ackert, sowie auch in mäßiger Form immer noch für eine gute Aktion oder als Vorlagengeber für bessere aufgelegte Mitspieler gut
- Poldi trifft in der Nationalelf sowieso fast immer oder spielt eine konstruktive Rolle
- Gomez war in der Vor-EM-Phase nunmal der beste deutsche Ligaschütze und damit hinter den beiden vorgenannten gesetzt
- Für Helmes galt das im ganz aktuellen Fall
- immerhin hatte Kuranyi jetzt nicht mehr Alt-Edel-Joker Neuville vor der Nase (vorläufig aussortiert) und auch den anderen Leverkusener Jungstürmer Kießling
- mehr (und vor allem konstante!) Leistung im Verein und im Training (weiß nur Löw) und er hätte sich seiner Chance gehabt
Hadder aber nicht gebracht - Ende.
Der Verweis auf 19 Tore in 52 Spielen ist vor dem Hintergrund der aktuellen Form da leider unzulässig und wird vom Bundestrainer völlig legitim nachrangig eingeordnet.
Punkt!
2. Fall Frings:
Ballack will doch nach eigenem Bekunden zur WM, oder?
Dann sollte er zur Kenntnis nehmen, daß - insbesondere nach dem unschönen Finnland-Ergebnis und -Auftritt - die Mannschaft unter Druck stand und es sich nicht erlauben konnte gegen den direkten Konkurrenten Rußland und die schon immer, auch in der letzten EM-Quali(!) unangenehmen Waliser Punkte zu verlieren.
Dafür brauchte man die fittesten Spieler. Vor allem schnell schaltende und paßsichere.
Entgegen Frings Selbsteinschätzung bei seinem "Rücktritts-Suada" hinterher, hatten Rolfes und der dann letztlich in beiden Partien an "Fringsers" Stelle eingesetzte Hitzlsperger eben doch die Nase vorne.
Hätte Ballack lieber verlieren oder Punkte lassen wollen zugunsten fragloser aber vergangener WM2006-Verdienste?
Er will doch 2010 wieder dabei sein!
Frings (und damit auch Ballack) sollte seinen Unmut weniger in diffusen Respektmangel-Vorwürfen gegne den Bundestrainer und mimosenhafter Kollegen-"Disserei" ("sind nicht besser") gegen seine Verletzungen (der Nachklapp der EM-Rippenveletzung und damit zusätzlich verspäteter Einstieg in die Saison-Vorbereitung... und war da jüngst dann nicht auch wieder was mit dem Knie einer gebrochenen Nase oder ähnlichem?) richten.
Fakt ist jedenfalls, daß er deshalb in der Fitness hinterherhinkt, zuletzt erst wieder wenige Einsätze bei Bremen am Stück gehabt hatte (und dabei ja nun auch nicht unbedingt geglänzt

).
Wäre er in WM2006-Form gewesen, hätte er bestimmt gespielt
- isser aber nicht!
Und das langt halt absolut nicht gegen Arschawin und seine schnellen Russen und offensiv auch nicht, wenn man die "Waliser Wand" zu durchbrechen hat (da brauchte es die wieselflinken Lahm, Trochowski, Schweinsteiger und Marin - wenn er gesund gewesen wäre).
Pech!
Über Verein und Champions League wieder rankämpfen und gut is´!
Und nicht hier die Diva geben - respektive für Ballack diese unmotivierte Jammerei nicht auch noch unterstützen!
3. Wörns, Kahn und all die "Alten":
Was soll das, diese "ollen Kamellen" wieder aufzuwärmen?
Das war in erster Linie Klinsmann-Verantwortung und sicher nicht ideal gehandhabt (wenn man sowas mit zwei so schwierigen Charakteren wie Kahn/Lehmann und deren starker, anhängiger Lobbies überhaupt kann).
Wörns: zu alt, zu unbeweglich, zu Lahm - wer das nicht gesehen hatte...

4. Metzelder (von Ballack nicht explizit erwähnt):
Ist nunmal klar außer Form - spielt nicht im Verein, zuletzt einfach auch schwache Leistungen in der Nationalmannschaft.
Und für eine so zentrale Position auf dem Feld wie Innenverteidiger ist das - im Gegensatz vielleicht zu einem Torhüter - nicht kompensierbar.
Klar nicht "Rußland"-tauglich!

5. Klose:
Hat selber reagiert und sich von der Ballack-Kritik vorsichtig distanziert.
Er fühlt ausreichende Unterstützung.
6. Lehmann:
War abzusehen und sollte froh sein in der Nach-Kahn-Ära noch zwei große Turniere gehabt zu haben.
Es drängen im "Torwart-Land" einfach zuviele zu gute nach.
Da kann er halt nicht mehr ganz mithalten.
Adler, Neuer (wenn wieder gesund), Enke (quasi schon als `Altmeister´

).
7. Hildebrand:
In die Kategorie und die Kuranyis fällt auch die Personalie:
Zu wenig Spielpraxis (gerade mit der Lehmann-Erfahrung, aber der hatte halt doch einen Bonus der Nr. 1), und wenn dann zu wenig konstante Leistung.
Sitzt jetzt beim FC Valencia ja wieder auf der Bank.

8. Das neu ausgerufene "Leistungsprinzip" (galt eigentlich schon für die WM 2006, ging dann etwas verloren im Nachklapp der erfolgreichen EM-Quali):
Scheinbar ist der Kapitän sich nicht ganz eins mit Jogi Löw über die richtige Taktik in Richtung WM oder hat sie nicht verstanden.
Da sollte er lieber mal dem Trainer vertrauen.
Der hat nämlich aus der bei Licht besehen doch eher recht verkorksten EM (Titel: "Chancenlos in Wien") die richtigen Schlüsse gezogen:
- a.) Das mit der "Stammplatzgarantie" für Lehmann war am Ende doch nicht so der Hit, auch wenn der sich im Grunde gar keine so großen Fehler geleistet hatte.
Aber die Unruhe in Mannschaft und Umfeld und die induzierte Unsicherheit in der Abwehr waren nicht gut.
- b.) Dasselbe gilt für Metzelder der eigentlich immer Verletzungsrückstand bis ins Turnier geschleppt hatte
- c.) Die Sache mit Frings Rippe - same procedure.
Am Ende spielten Rolfes und Hitzlsperger zwar, aber wohl doch nur gegen inhärente "Hierarchie-Widerstände" (und atmosphärischem Gedudel von außerhalb, aus den Medien)
- d.) Falsches Festhalten an "Verdienst-Bonus" verhinderten einen in der Vorbereitung überzeugenden Marin und Helmes im EM-Kader.
Mindestens die quirligen Dribblings des ersteren hätten dem bisweilen (u.v.a. gegen Spanien im Endspiel, vielleicht auch gegen Kroatien und Österreich in der Vorrunde) statischen Spiel der Deutschen evtl. gut getan.
- e.) insgesamt hatte Jogis Truppe so nämlich - im Gegensatz zur WM zum Bleispiel! - nie konstant zu "ihrem Spiel" gefunden.
Vor allem wenn man bedenkt wie abhängig dieses mit seinem offensiven Ansatz von der 100%igen Fitneß und der Schnelligkeit/Wendigkeit seiner Protagonisten abhängt.
Sind die Voraussetzungen da nicht gegeben, fehlt der Druck auf den Gegner, der überhaupt erst verhindert, daß hinten allzuviel passieren kann - und das ganze fällt wie ein Ballon aus dem die Luft raus geht, in sich zusammen.
Die Lehre galt in ganz besonderem Maße nun auch
FAZIT:
Die Kritik Ballacks ist
- in der Öffentlichkeit völlig Fehl am Platz
- in der Wortwahl daneben
- sachlich wenig durchdacht und kaum fundiert
- im so heraufbeschworenen Konflikt wenig zielführend (2010!), da kontraproduktiv
- zeugt leider von nicht gerade fachlicher Kompetenz
Ballack ist ein Spieler mit keiner schlechten Spielintelligenz, grandioser Torgefährlichkeit, tollem Paßvermögen und - wenn in Form - ganz guter Zweikampfkraft und Stellungsspiel.
Aber er ist abseits davon auch nicht ganz so helle, daß zeigt diese Aktion, das zeigt der paranoide Anfall mit seinem fatalen gedanklichen Kurzschluß ("alle Veteranen werden langsam abserviert"), das zeigt seine (Fehl-)Einschätzungen der sportlichen Vorgänge um Löw und die Mannschaft der letzten Zeit.
Hier hat er grob danebengelangt.

Schade!

Der ganze Zinnober ist unnötig wie ein Kropf!

Ragon, der eingefleischte Nationalmannschafts-Fan