"Man bemerkt die Fäden nur in unmittelbarer Nähe des Ortes, wo sie gesponnen werden!" bemerkt Nidhöggr, der noch immer auf Alix Schultern hockt. "Aber ihr könnt sicher sein, dass sie noch immer da sind. ICH zum Beispiel kann sie noch ganz deutlich sehen..." Die neben Tut laufende Knochensammlermumie, die inzwischen einen großen Teil der uralten Binden von ihrem Leib gerissen hat und auch ansonsten keinen besonders untoten Eindruck macht, sondern eher frisch und *ziemlich* lebendig wirkt, brummt etwas. Der kleine Drache achtet nicht darauf sondern wendet sich wieder dem Weg zu, der im Augenblick seine Höhe nicht ändert und über felsigen, stellenweise mit Moos und Flechten bewachsenen Boden führt.
"Bleib stehen!" fordert er die Riesin auf. "Hier hätte eigentlich eine Brücke sein sollen! Möglicherweise ist sie durch die jüngsten Ereignisse zerstört worden..."
"Hm, was?" brummt Buad, dem der Anstieg durch die felsige Landschaft offenbar keine Schwierigkeiten bereitet und der sich inzwischen vom Ende der Kolonne bis kurz hinter Alix vorgearbeitet hat. "Eine Brücke, wie? Mitten auf dem Weg, was? Ich kann aber nirgends etwas entdecken, was es zu überbrücken gelten würde! Ich meine, der Weg hier führt über völlig ebenen Boden - sieht man mal von dem Geröll ab. Hier gibt's nichtmal eine Rinne, von einem Abgrund oder einer Schlucht ganz zu schweigen!"
"Oh!" kommentiert der Drache. "Der Abgrund ist da, darauf könnt ihr euch verlassen! Man kann ihn nicht sehen, das stimmt. Er ist nicht mehr als ein feiner Riss im Fels, mit dem bloßen Auge praktisch nicht zu erkennen..."
"Was kümmert mich ein Riss im Fels - ein Schritt und man ist drüben!" schnappt der Zwerg und macht Anstalten, weiterzugehen. Auf das Geheiß des Drachen hält ihn die Riesin jedoch zurück.
"Nun - es ist kein gewöhnlicher Riss!" erklärt Nidhöggr. "Auch diese Welt hat ihre Mysterien - und dieser Riss gehört dazu. Niemand weis, wie tief oder breit der Abgrund ist, aber ohne die Brücke gibt es keine Möglichkeit, die andere Seite des Weges zu erreichen." Der Drache senkt die Stimme, bis er nur noch flüstert: "Es heißt, am Grunde des Abgrundes würde sich ein verwunschenes Feenreich voller dunkler Magie und entsetzlicher Kreaturen befinden! Die Feenkönigin sei für einen Frevel, der soweit zurückliegt, dass sich niemand mehr so recht daran erinnern kann, von einer Höheren Macht unter dem Berg eingeschlossen worden, wo sie unterirdisch bis zum Ende der Zeit in Dunkelheit mit ihrem Volk leben muss. Es gibt einen See hier ganz in der Nähe, dessen Wasser selbst in der Sommerhitze eiskalt und im Sturm unbewegt bleibt, und in dem nichts Lebendiges ist. In dem dunklen, stillen Wasser sollen manchmal Lichter zu sehen sein. Man sagt, das seien die Augen der Feen, die sehnsüchtig nach oben schauen und mit ihren Armen alles, was sie greifen können, in die Tiefe ziehen, wo es für immer verloren ist. Und manchmal klingen ihre klagenden Stimmen aus dem Abgrund hervor. Traurige, düstere Stimmen, die den Verstand eines Mannes oder einer Frau zerstören können..." Der Drachen schüttelt seinen Kopf, als wollte er den Gedanken an das unterirdische Reich abschütteln. "Niemand weiß, ob es stimmt!" fährt er mit normaler Lautstärke fort, "Denn keiner der verwegenen Abenteurer, die sich von der Brücke in den Abgrund abseilten, um die vermeintlichen Feenschätze zu bergen, keiner der vom Gesang der Verdammten in den Wahnsinn getriebenen, die sich von der Brücke in die unbekannte Tiefe stürzten und keiner der Durstigen, die sich am Wasser des Sees laben wollten, wurde jemals wiedergesehen. Aber ohne die Brücke... ohne die Brücke ist das hier praktisch das Ende der Welt..."