Interview mit Mehmet Scholl - "Von jetzt an gehe ich kegeln"[/b][b]Der 36-jährige Bayern-Profi zu seinem Karriere-Ende über Schmerzen, das
Image eines Unvollendeten, und warum er nie mit Uli Hoeneß kicken will.
Interview: Andreas Burkert und Ludger Schulze[Fotounterschrift: [color:"#666666"]Abschied nach 18 Jahren
Profi-Fußball: Mehmet Scholl macht
am Samstag gegen Mainz sein
letztes Bundesliga-Spiel. Foto: ddp [/color]]
Im verabredeten Restaurant im Münchner Stadtteil Harlaching erscheint zunächst
der Falsche: Stefan Effenberg nebst Gattin Claudia statt Mehmet Scholl, der nach
15 Jahren beim FC Bayern die Karriere beendet. Die spannende Frage: Dreht
Scholl wortlos wieder um, wenn er seinen angeblichen Intimfeind Effe sieht? Scholl
bleibt, nachdem er die Effenbergs ausgesprochen herzlich begrüßt hat: "Wir
haben uns oft gefetzt", sagt er über das Verhältnis zu seinem ehemaligen Kapitän,
"aber es ist nichts hängengeblieben." Das wiederum kann man vom
anschließenden zweieinhalbstündigen Gespräch eher nicht sagen.SZ: Herr Scholl, jeden Montag findet an der Säbener Straße ein Fußballspielchen
mit einstigen Bayern-Größen wie Uli Hoeneß oder Karl-Heinz Rummenigge statt.
Sind Sie ab übermorgen dabei?
Mehmet Scholl: Ich hab da ja schon mal mitgespielt, und da wäre Uli Hoeneß
beinahe auf mich draufgeflogen - fast wäre also das passiert, was man an der
Börse Kapitalvernichtung nennt. Uli Hoeneß ist ein sehr netter Fußballer, aber das
Bremsen ist nicht mehr so seine Sache. Da ist mir meine Gesundheit zu wichtig.
SZ: Welchem Beruf werden Sie denn nach Ihrem letzten Bundesligaspiel an
diesem Samstag nachgehen?
Mehmet Scholl: Dem Beruf des Vaters, des Freundes. Und ganz sicher werde ich
nicht an die Decke starren und sagen: ,Mein Leben ist vorbei, was tu’ ich jetzt?'
SZ: Der FC Bayern will Sie einbinden. In welcher Funktion?
Mehmet Scholl: Man wird doch nicht glücklich, wenn man mit dem einen aufhört
und gleich ins Nächste reinspringt. Ich brauche jetzt Zeit für mich, um die Eindrücke
der letzten Jahrzehnte zu verarbeiten. Und man nimmt sich doch ein Stück
Romantik, wenn man alles durchplant.
SZ: Werden Sie denn Ihren Sohn Lucas, der in der U11 des FC Bayern kickt, so
stark fördern, wie es Ihr Stiefvater Hermann mit Ihnen getan hat?
Mehmet Scholl: Ja, und meinem Vater habe ich viel zu verdanken. Er hat mich
Fußball spielen sehen, als ich acht Jahre alt war und dann mit 13 zum KSC
gebracht. Da haben sie mir bald erzählt, dass mir zum Profi so gut wie alles fehlt:
die Physis, das Laufen, Springen, Kopfball. Aber mein Vater hat mich stets
ermutigt.
SZ: Ihr erster Profitrainer beim Karlsruher SC war damals Winfried Schäfer.
Mehmet Scholl: Von Schäfer wurde ich erst links liegen gelassen. Heute sagt er
dazu: erzieherische Maßnahme. Ich akzeptiere das jetzt mal so. Geholfen hat mir
Rainer Ullrich, der Amateurtrainer. Er ist mit mir in den Wald gegangen, 20 Minuten
sind wir gelaufen und dann zwei Stunden spazieren gegangen. Er hat mir
erklärt, was ich verändern muss, um mich durchzusetzen.
SZ: Könnten Sie denn Ihrem Sohn heute den Profifußball empfehlen?
Mehmet Scholl: Natürlich, es spricht ganz wenig dagegen.
SZ: Zum Beispiel, dass am Ende die Knochen kaputt sind, wie bei Ihnen?
Mehmet Scholl: Ich komme doch super raus aus der Nummer! Gut, mein rechtes
Knie hat sich relativ früh verabschiedet, da hatte ich mit 15 die erste Operation. Als
ich aus der Narkose aufwachte, hat der Arzt gesagt: ,Mehmet, mach dir keine
Sorgen ums Knie - aber du kannst nie mehr Fußball spielen.' Nächste OP mit 20,
Außenmeniskus, mit 23 Außenmeniskus und Knorpel, und dann habe ich noch
mal mit 35 wieder nachgelegt mit Gelenkinnenhautentzündung.
SZ: Sie kommen wirklich gut raus!
Mehmet Scholl: Naja, Fredi Binder, unser Physiotherapeut und mein bester Freund
beim Klub, sagt immer: Weißt du, warum du noch keine Schmerzen hast? Weil
deine Muskeln noch so gut ausgebildet sind, dass sie das Gelenk halten. Später,
sagt er, wirst du aus allen Löchern pfeifen.
Lesen Sie auf Sete 2 über Anekdoten seiner Laufbahn und warum ihn ein Politiker
der Grünen einmal wegen Anstiftung zum Mord verklagte.SZ: Die Anekdoten aus der Schmerzabteilung werden uns ebenso in Erinnerung
bleiben wie die Tricks und Hakenläufe.
Mehmet Scholl: Aber das alles ist doch meine Vita! Dass diverse Anekdoten in einer
Häufigkeit passiert sind, spricht für sich. Ein Beispiel: Ich werde im EM-Finale 1996
ausgewechselt, obwohl ich für meinen Geschmack recht gut war - und der Mann,
der für mich reinkommt (Oliver Bierhoff; d.Red.) schießt zwei Tore! Oder 2001: Ich
verschieße den Elfmeter - wir werden trotzdem Champions-League-Sieger! Oder: Ich
soll mit zur WM ’98, reiß’ mir aber die Bänder - und der Typ, der mir die Bänder
gerissen hat, Jens Jeremies, fährt plötzlich mit zur WM. Oder 2000: Da werd’ ich von
den Bundesligaprofis zum Spieler der Saison gewählt - und beim Spiel, bei dem ich
meine Urkunde krieg’, sitz’ ich natürlich nur auf der Bank. Am Tag der Ehrung! Solche
Sachen ziehen sich durch meine Karriere.
SZ: Sind Sie manchmal verzweifelt?
Mehmet Scholl: Überhaupt nicht, das Schicksal sagt eben zur mir: ,Schau’ mal, wie
du damit zurechtkommst - als Helden haben wir dich schon probiert, da taugst du
nicht, nun versuch’ das mal.' Es ist ja nicht so, dass ich diese Rolle gesucht habe.
Ich habe meine Rückschläge angenommen, und im Nachhinein war klar, dass
diese Dinge kommen mussten. Wenn ich früher einen Witz über den Trainer
gemacht habe - dann stand der halt hinter mir. Das war einfach so.
SZ: Sie halten sich ja auch selbst für ungeschickt. Vor vielen Jahren sorgte mal Ihr
Spruch ,,Hängt die Grünen, so lange es noch Bäume gibt" für Wirbel.
Mehmet Scholl: Das war eigentlich als Plädoyer für vernünftigen Umweltschutz
gedacht, aber ein grüner Politiker hat mich wegen Anstiftung zum Mord angezeigt.
Zu mir und meinem Image hat auch das gepasst. Ich habe dann mit dem Richter
telefoniert und 15.000 Mark für einen wohltätigen Zweck gespendet. Und später hat
mich ein Reporter gefragt, was ich denn wähle. Ich habe gesagt: ,Grün natürlich,
ich kann sie ja nicht hängenlassen.'
SZ: Auch als Profi waren Sie der wandelnde Widerspruch. Sie sind achtmal
Deutscher Meister geworden, Champions-League-Gewinner, Europameister und
so weiter - und trotzdem sind Sie irgendwie ein Unvollendeter, oder?
Mehmet Scholl: Aber ist nicht die Entwicklung zu einem anderen Menschen viel
wichtiger als die zum vollendeten Fußballer?
SZ: Sicher.
Mehmet Scholl: Eben, deshalb war ich auch nie verzweifelt. Zum Verzweifeln waren
höchstens die Dinge, die systemisch waren: Wenn ein Muskel einfach zu ist, dass
du nicht mal auf den Zehenspitzen gehen kannst - und der Muskel macht über
Wochen nicht auf! Das störte, aber Bänderrisse oder so etwas, das war mir fast
egal. Da wusstest du: sechs Wochen, dann bist du wieder da - Berufsrisiko,
wurscht.
SZ: Diese Saison waren Sie relativ viel gesund, aber gespielt haben Sie kaum. Sie
könnten sich jetzt hier bei den Trainern bedanken, Magath und Hitzfeld.
Mehmet Scholl: Bei Felix Magath muss ich mich wirklich bedanken, denn ohne ihn
hätte ich eigentlich aufgehört: Er hat mich 2004 überredet weiterzumachen. Magath
hat mich immer geschützt und mir einen Sonderstatus gegeben, auch im Training;
dafür war meine Pille, die ich schlucken musste, dass ich über diese Jokerrolle
nicht mehr hinauskomme. Dass das vor allem gegen Ende psychisch so
anstrengend für mich wurde...
SZ: ... weil Sie unzufrieden waren?
Mehmet Scholl: ... ja, das hätte ich nicht gedacht. Ich dachte oft: ,Mensch, jetzt
liegen wir zurück, jetzt müsste ich doch ... !‘ Das hat mich sehr gefordert. Aber es
hat mich jetzt auch erleichtert zu sagen: gut so, alles erledigt. Ich wollte ja auch
nicht jammern oder mich mit 36 beim Manager ausheulen. Der hat auch so
gemerkt, dass es schwer für mich war.
SZ: Hätten Sie also besser vergangene Saison schon aufgehört?
Mehmet Scholl: Nein, da war ich noch nicht so weit. Jetzt freue ich mich einfach nur
tierisch auf den Tag, an dem es vorbei ist. Macht euch also um mich keine Sorgen,
und ihr dürft eine böse Kolumne über mich schreiben, wenn ich jemals Kolumnen
schreiben sollte. Dann dürft ihr schreiben: Braucht er Geld?
SZ: Ist es nicht dennoch schade, dass Ihre Abschiedstournee im schwärzesten
Bayern-Jahr seit Ewigkeiten stattfand?
Mehmet Scholl: Auch das passt doch in meine Vita! Aber stellt euch doch mal vor,
ich hätte jedes Spiel gemacht, und wir wären nur Vierter geworden. Dann hätten
alle gesagt: ,Weg mit dem'. Es hört sich zwar blöd an, aber ich fühle mich jetzt
relativ unschuldig an dieser Saison.
Lesen Sie auf der nächsten Seite über familiäre Schicksalsschläge und warum er
eigentlich keine Interviews mehr gibtSZ: Sie haben selbst bei Bayern-Hassern erstaunliche Sympathien ausgelöst. Wie
erklären Sie sich das?
Mehmet Scholl: Können Sie Ihre Texte genau beurteilen und die Reaktionen darauf?
Ich habe doch gar nichts dazu getan, wie ich spiele, das ist mir so zugefallen.
Erklären kann ich es nicht, und ich weiß auch nicht, wie das aussieht, was ich auf
dem Platz mache. Ich weiß nur, dass meine Hände schlenkern, dass ich Fäustchen
mache, dass ich das Ärmel-Ende vom Trikot mit den Fingern festklemme.
[...]
SZ: Wessen Härte war gefürchtet?
Mehmet Scholl: Naja, gegen Lautern hat immer Axel Roos gegen mich gespielt,
klein, kräftig, drahtig, schnell - er ist mir also nicht gelegen. Otto Rehhagel hat ihn
immer gegen mich gestellt. Einmal bin ich dann über Nacht krank geworden - da
hat Rehhagel den Roos komplett aus dem Kader gestrichen! Er hatte wohl sonst
keine Verwendung für ihn. Schwierig waren für mich immer die Alten mit Erfahrung.
An denen kam ich schwer vorbei.
SZ: Womit wir wieder beim Montagskick mit Uli Hoeneß sind.
Mehmet Scholl: Stellt’ euch mal vor, ich täusch’ an und laufe auf Uli Hoeneß auf.
Dann sinke ich wie die Titanic!
SZ: Das will ja keiner. Wo werden Sie dann künftig Ihren Spieltrieb ausleben?
Mehmet Scholl: Kegeln werde ich.
SZ: KEGELN?
Mehmet Scholl: Ja, das mach’ ich schon seit einiger Zeit wieder beim FC Bayern.
Wenn du da richtig die Gasse trifft, uiii - das ist wirklich geil! Ein Traumsport, das
können Sie mir glauben. Demnächst werde ich öfter als einmal die Woche
trainieren.
SZ: Kein Golf spielen wie alle anderen beim FC Bayern, sondern kegeln?
Mehmet Scholl: Ja, ich gehe kegeln. Golf werde ich nicht spielen, denn das passt
nicht zu mir ... Nein, das passt nicht.
Mach´s gut Scholli.
Und: Alle Neune!
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Ragon, der Ballwusler