Er war der Lösung greifbar nahe, das wusste er. Wie ein Wort, das einem auf der Zunge liegt und doch nicht ausgesprochen werden will. Er hatte die Begriffe gedreht und gewendet, als plötzlich...

Stimmen vor dem Portal!

Leise tritt der Reisende näher an die Tore. Die Stimmen sind durch die massiven Metallplatten nur schwach zu vernehmen, doch als er sich konzentriert, versteht er jedes Wort.

Rashidas Priester. Er musste also tatsächlich der Streiter der vergangenen Nacht gewesen sein, der hinter ihm die Magie entfesselt hatte. Er hatte überlebt und war nun hier. Damit hatte der Reisende zwar insgeheim gerechnet - sich aber bislang kaum Gedanken darüber gemacht, wie er vorgehen würde, wenn dieser Fall tatsächlich einträte.

Seine weiteren Handlungen wollten gut überlegt sein. Nun, da er seine Aufmerksamkeit auf die Vorgänge vor dem Portal gerichtet hat, spürt er die magische Präsenz des heiligen Mannes. Sie standen auf derselben Seite, auch wenn dem Mann das nicht klar war. Er könnte ein wertvoller Verbündeter sein, im Kampf gegen die dunklen Mächte, die diesem Ort zustrebten. Falls es nicht rechtzeitig gelänge, das Siegel zu stärken, wären er und seine Begleiter durchaus willkommene Kämpfer. Aber dazu müsste der Priester zunächst erkennen, das die Gefährten nicht hier waren um die dunklen Mächte zu befreien, sondern um sie zu bannen. Und der Händel mit Bodasen stellte ein gravierendes Problem dabei dar, dem Mann und seinen Kämpfern diese Tatsache begreiflich zu machen.

Vielleicht brauchten sie diese Verstärkung aber auch nicht. Vermutlich würde es mehr Probleme verursachen als lösen, wenn er dem Priester Einlass gewährte. Bodasen war offenbar ein Teil des Ganzen. Würde der Priester Bodasen gefährden, würde er womöglich das Ganze zu Fall bringen.

Nachdenklich lauscht der Reisende den Bemühungen des kleinen Trupps, die Tore zu öffnen. Doch diese Tore waren zu alt und zu schwer, es würde ihnen kaum gelingen. Sie wären gut beraten weiterzuziehen und eine größtmögliche Entfernung zwischen sich und diesen Tempel zu legen, bevor die Nacht hereinbricht. Wenn sie da draußen blieben, wäre das ihr sicherer Tod.

Erneut stemmen sich die Männer gegen die Tore - ein ums andere Mal. Ihre Erfolge jedoch lassen sich nur in wenigen Millimetern messen. Wiederholt beteuern sie die Sinnlosigkeit des Unterfangens und jedesmal treibt der Priester sie erneut an. Nein, dieser Mann würde nicht aufgeben, wenn er ihn richtig einschätze.

Der Reisende trifft eine Entscheidung. Vielleicht würde er sie bereuen, vielleicht würde er sich später dafür beglückwünschen. Doch die Dinge würden ohnehin geschehen, wie sie geschehen sollen. Hoffentlich war der Priester ebenso weise, wie er stur war.

Die Augen fest geschlossen, sammelt er die Macht. Der Priester mochte ein Mann sein dem das Wort mehr wog als das Schwert - doch es war besser, auf einen Angriff vorbereitet zu sein. Dann packt er fest die groben, kalten Bügel an den Innenseiten der Tore, stemmt sich mit den Hacken auf den Boden und zieht mit aller Kraft.

Verblüffung spiegelt sich in den Gesichtern der erschöpften Männer vor dem Tempel, als die Tore sich plötzlich quietschend und knirschend vor ihnen öffnen. Der Reisende hält seine Arme gesenkt, mit den Handfächen nach außen:

"Wenn ihr Zuflucht vor den Schatten sucht, dann seid hier willkommen. Lasst eure Waffen in den Scheiden und keinem von euch wird etwas geschehen."

Sein Blick sucht den des Priesters.