Erregt springt der Feldwebel auf und läuft auf und ab, die Hände auf dem Rücken verschränkt. Längst ist die Angst vor dem kleinen Drachen vergangen, obwohl dieser während der Erzählung des Hüters herzhaft gegähnt hatte und dabei einen Blick auf eine lange Reihe spitzer, messerscharfer Reißzähne freigegeben hatte.
"Ihr könnt nicht erwarten, dass ich Eure Geschichte so anstandslos glaube! Dafür klingt sie doch zu unwahrscheinlich!" Der Feldwebel hält in seinem Auf und Ab kurz inne und blickt dem Hüter unverwandt in die Augen. Doch diesmal senkt der Krieger den Blick nicht.
"Andererseits würde sich nicht mal ein Barde eine so unglaubliche Geschichte ausdenken können. Und ich will gewiss nicht Schuld daran haben, wenn die Welt untergeht, weil ich euch an euren Taten gehindert habe!"
Der Feldwebel beginnt erneut nervös hin und her zu gehen.
"Meine Aufgabe ist der Schutz dieser Stadt, dafür zu sorgen, dass es in dieser Stadt mit rechten Dingen zugeht. Euer Abenteuer ist zu groß für mich! Aber ich bin mir sicher, dass ihr meiner Stadt keinen Schaden zufügen wollt, und das ist für mich das Wesentliche!"
Er bleibt vor Bodasen stehen. "Magister Sadrax, ihr werdet von der Tempelschaft Undars gesucht. Auf Euren Kopf ist eine Belohung ausgesetzt. Als Vertreter der weltlichen Gerichtsbarkeit wäre ich verpflichtet, Euch dem Tempel zu übergeben. Doch wenn ein Undarpriester und seine Ritter in der Lage sind, Euch ziehen zu lassen, dann werde ich mich Euch nicht in den Weg stellen - das geht mich nichts mehr an! Doch ich rate Euch, Euch der Akademie fern zu halten - ich hörte, dass die Zahl derer, die Euer Verhalten ablehnten, dort sehr groß sein soll, und viele Eurer Kollegen verlangen Euren Kopf - darin sind sie inzwischen fast so eifrig wie die Priester. Außerdem gibt es eine Reihe von Kopfgeldjägern, die sich von Eurem schäbigen Aussehen und Eurem Bart nicht so leicht täuschen lassen werden!"
Der Feldwebel ist nun ruhiger geworden.
"Ich für meinen Teil werde Euch ziehen lassen. Es gibt keinen Grund für mich, Euch aufzuhalten. Meinen Vorgesetzten werde ich schon das Richtige zu erzählen wissen." Er zwinkert dem Hüter zu. "Als Wächter kann ich Unwahrheiten wesentlich glaubhafter verkaufen als Ihr, wenn Ihr versteht, was ich meine."
Der Mann zaudert, dann wendet er sich ab und macht Anstalten, zurück zu seinem Pferd zu gehen. Doch schliesslich überwindet er sich und fast den Hüter am Arm.
"Ich habe irgendwie das Gefühl, dass ich - das wir alle Euch und Euren Gefährten großen Dank schulden." meint er verlegen, ohne dem Hüter dabei in die Augen zu sehen. "Doch selbst wenn ihr die Wahrheit erzählt habt - ich kann sie noch immer nicht akzeptieren. Ich... ich will nur nicht undankbar erscheinen, versteht Ihr? Aber mehr als Euch ziehen zu lassen, kann ich nicht für Euch tun."
Der Feldwebel wendet sich erneut ab und geht nun doch die wenigen Schritte zu seinem Pferd. Doch kurz bevor er es erreicht, zaudert er ein weiteres Mal.
"Ach, Scheissdreck!" murmelt er, spuckt aus und dreht den Kopf zu den Abenteurern. "Rechem besitzt noch ein drittes Tor, das kaum bekannt ist. Es ist nicht mehr als eine Tür, die nur von Kräutersammlern und ... gewissen Händlern genutzt wird. Sie liegt ganz in der Nähe des Hafens und führt direkt in eines der verruchtesten Viertel Rechems. Die Wächter dort fragen nicht viel danach, wer oder was die Tür passiert. Fragt besser nicht, warum. Wenn ihr den Waldrand entlang bis hinunter ans Wasser und dort die Klippen entlang zur Stadt geht, solltet ihr sie nicht verfehlen. Sagt den Wächtern einfach, dass euch 'saubere Geschäfte' in die Stadt führen, und sie werden verstehen und nicht weiter fragen. Wenn ihr erst die Stadtmauern passiert habt, seid ihr auf euch allein gestellt. Niemand wird euch dann mehr helfen können, wenn ihr es verderbt. Und einen Rat noch: Haltet den Drachen versteckt! An den Klippen werdet ihr sicherlich Reste alter Kisten finden, in denen ihr ihn verbergen und notfalls auch in die Stadt bingen könnt. Aber wenn ihn auch nur einer in der stadt zu Gesicht bekommt, kann ich für nichts garantieren! Es haben sich Vorfälle ereignet, die noch ungeklärt sind, und der Mob lauert nur darauf, einen angeblich Schuldigen zu zerreißen. Im Augenblick konzentriert sich der Hass auf alles, was spitze Ohren hat, aber wenn bekannt wird, dass ein Drache in der Stadt ist, kann kein Zweifel daran bestehen, wer als Schuldiger angesehen wird."
Der Feldwebel wendet sich zu seinem Pferd und schwingt sich in den Sattel.
"Noch etwas! Wenn ihr die Hallen der Weisheit aufsuchen wollt, empfehle ich euch, eure Rüstungen und Waffen abzulegen! Rechem befindet sich nicht im Krieg, und obwohl zahlreiche Bewaffnete in der Stadt unterwegs sind, so erweckt ein unbewaffneter Bürger doch weniger Aufmerksamkeit. Das gilt erst recht für Euch und Euren Stab, Magister!" wendet er sich Bodasen zu.
"Und nun viel Glück! Zögert nicht lange, bevor ihr aufbrecht, und verschwindet von hier! Verbergt euch von mir aus im Wald bis zum Einbruch der Dunkelheit, aber zündet nicht wieder ein Feuer an! Und vermeidet es, in den Wäldern zu jagen - für Wilddieberei werden schwere Strafen verhängt!"
Mit diesen Worten reißt der Feldwebel sein Pferd herum und jagt mit seinen Begleitern auf der Straße zurück zur Stadt.