Gedankenverloren geht Magister Johram den gang entlang und stößt die Tür zu seinem Arbeitszimmer auf. Die Brecher! Was mochte nur diese Erschütterung der Magie ausgelöst haben? Vielleicht der missglückte Zauber eines sich in die Wildnis zurückgezogenen Magiers? Manche Magier zogen ein Leben weit weg von der Zivilisation vor, um dort ungestört ihre Studien zu betreiben und im Falle eines Fehlschlages nicht einen dichtbesiedelten Landstrich zu verwüsten. Doch um Gewissheit zu erlangen, würde er nicht um die Ausrüstung einer Expedition herumkommen - ein kostspieliges Unternehmen.

Als der alte Magier sein Zimmer betritt sieht er, dass bereits jemand an dem hölzernen Tisch sitzt und eifrig durch eines des kostbaren Vergrößerungsgläser einige funkelnde Steine betrachtet und ganz darin vertieft zu sein scheint. Der Mann ist vollständig weißhaarig und trägt eine graue Kutte. Kleine Fältchen um Mund und Augen zeigen, dass er oft und gerne lacht, und Johram hat den Eindruck, in einen Spiegel zu blicken.

"Was soll der Unsinn, Galef!" schnaubt der Magister unwirsch. "Wie oft habe ich dir schon gesagt, dass die Kunst der magischen Illusion nicht dem Schabernack dient!"

Die weißhaarige Gestalt am Tisch zuckt zusammen und blickt Johram verlegen an.
"Verzeiht, Meister!" sagt sie und vollführt einige hastige Gesten, worauf eine erstaunliche Veränderung mit ihr vorgeht: Die weißen Haare werden zunehmend dunkler, der dichte Bart weicht einem säuberlich geschnittenen Spitzbärtchen, die graue, schlichte Kutte geht in ein schweres, elegantes Gewand über, das mit silbernen Fäden bestickt ist, und schliesslich weicht auch das Gesicht des Magisters einem jugendlichen Männergesicht mit glatter, sauberer Haut. Als die Verwandlung abgeschlossen ist, steht vor dem alten Magister ein kaum 25 jähriger Mann von gepflegtem Äußeren, die Haare mit Pomade eingeschmiert. Es ist offensichtlich, dass dem Jüngling die Eitelkeit nicht fremd ist.
Johram hat die Verwandlung mit unbewegtem Gesichtsausdruck verfolgt, doch im Inneren bewundert er die Fähigkeiten des Jünglings. Seine Illusionsmagie war weit fortgeschritten und konnte sich durchaus mit der eines sehr erfahrenen Illusionisten messen. Kein Zweifel, der Junge war über die Maßen begabt, und es würde nicht mehr lange dauern, da könnte er sogar einen Magier mit seinem raffinierten Blendwerk täuschen. Nur schade, dass sein Kopf voller närrischer Gedanken war und er lieber den Dienstmädchen nachstellte und sie mit erotischen Zaubern beglückte, als seine überdurchschnittliche Begabung ernsthaften Dingen zu widmen. Nur wegen seiner Fähigkeiten hatte Johram den Jüngling in die Lehre genommen. Es wäre ein Frevel an der Magie gewesen, ihn sich selbst zu überlassen. Mittlerweile hatte er schon oftmals seinen Entschluss bereut, sagte sich aber gleichzeitig, dass eine solche Begabung, würde man sie unkontrolliert lassen, womöglich zu einer Gefahr für die ganze Stadt werden könnte.

"Es wird noch mal ein böses Ende mit dir nehmen!" seufzt Johram und tritt an seinen Tisch. Dann fällt sein Blick auf die beiden Edelsteine, die auf dem Arbeitsplatz neben der Lupe liegen.

"Was ist das? Wo kommen diese Steine her?" fragt er erstaunt, nimmt behutsam eines der funkelnden Juwelen zwischen Daumen und Zeigefinger und betrachtet es bewundernd.

"Ihr werdet es nicht glauben, Meister!" beginnt der junge Magier aufgeregt mit einer sonoren Stimme, die keine Ähnlichkeit mehr mit dem dunklen, warmen Bass aufweist, mit dem er Johram begrüßt hatte.
"Plötzlich klopfte es, und ein Waldläufer kam herein - nun kein echter Waldläufer, dazu war er zu ungepflegt und ihm fehlte auch das ein oder andere, was Waldläufer bei sich tragen - zum Beispiel ein Bogen. Er sah eigentlich eher aus wie jemand, der in der Wildnis lange Zeit unterwegs war und..." Der Magier, der sich offenbar gerne sprechen hört, unterbricht den Redeschwall unter dem Blick seines Meisters.

"Nun, er glaubte, ich sei Ihr, äh..." Der Redefluss des jungen Mannes verebbt erneut, als er rot anläuft und sich unter den funkenstiebenden Blicken Johrams windet. Dann fährt er fort:
"Er gab mir diese Edelsteine. Er behauptete, sie in den Brechern gefunden zu haben - was selbstverständlich eine Lüge ist. Ich habe mir die Steine genau angesehen: Wenn solche reinen Steine in den Brechern einfach so herumliegen würden, wäre das Gebirge schon längst dichter besiedelt als Rechem! Meine Güte, die Zwerge graben ihre Stollen meilenweit in die Berge hinein, und das für Steine, die weit weniger rein sind! Selbst, wenn solche Steine in den Brechern tief in den Felsen auf ihre Entdeckung warten würden - die Zwerge wären schon längst dort, um nach ihnen zu suchen! Wenn es irgendwo Schätze, Mineralien oder Erze zu holen gibt, haben sie ein unschlagbares Gespür - und in den Brechern gibt es keine nennenswerten Zwergenbingen!"

Johram betrachtet den Stein weiterhin, während er der Erzählung seines Famulus lauscht. Der Stein ist tatsächlich perfekt, eine Kostbarkeit, wie man sie nur selten findet und ausgezeichnet als magischer Fokus geeignet. Mit einem kurzen Kopfnicken gebietet er seinem Schüler, fortzufahren.

"Wahrscheinlich kommen die Steine überhaupt nicht aus den Brechern, und vermutlich hat der Waldläufer sie irgendwo gestohlen. Er verlangte 400 Goldstücke für jeden Stein - wie er um den Preis feilschte! Kein Waldläufer hätte so gehandelt!"
"800 Goldstücke für zwei Steine dieser Qualität sind nicht zuviel!" stellt der Magister fest.
"Wartet, wartet!" gluckst der junge Magier, "das Beste kommt ja erst noch!"
"Da bin ich gespannt!" entgegnet Johram skeptisch.
"Nun, ich schickte Euren gnomischen Gehilfen nach dem Gold und gab ihm mit der Kraft meiner Gedanken noch einige Anweisungen."
Unter dem Blick seines Meisters wird der junge Magier unsicher.
"Ich habe Euer Konto geschont, Meister! Die Schatulle war nur mit 400 Goldstücken gefüllt! Die anderen 400 sind eine Illusion und halten nicht länger als zwölf Stunden..."

Das Gesicht des alten Magisters verzieht sich im Zorn.
"Du... du... Narr!" schimpft er. "Du bist eine rechte Schande für die Akademie! Die Illusionsmagie ist nicht für solche albernen Kindereien da! Wir haben es nicht nötig, zu solch unsauberen Tricks zu greifen! Wer soll noch einem Magier vertrauen, wenn sich dieser Bertrug erst herumspricht?!"
Der Magister blickt auf seinen Schüler hinab, in dessen erschrecktem Gesicht sich allmählich die Erkenntnis abzeichnet, dass seine für so schlau gehaltene Tat eine Dummheit war, deren Konsequenzen noch nicht abzusehen waren.

"In was verwandeln sich die Münzen, wenn der Zauber nachlässt?"

"Ich..." Der Junge ist puterrot geworden und senkt beschämt den Blick. "In frische Pferdeäpfel... die andere Hälfte des Goldes wird davon nicht betroffen, außer, dass sie anschliessend vielleicht ein wenig streng riecht... Meister, verzeiht mir, aber ich führte nichts Böses im Schilde! Ich dachte nur, wie soll ein solcher Landstreicher an solch wertvolle Steine kommen! Das konnte doch nicht mit rechten Dingen zugehen! Und wenn er sie gestohlen hatte, dann..."

"Dann dachtest Du sei es nur recht und billig, wenn auch du ihn übers Ohr hauen würdest!" schnaubt der alte Magister. "Und hast dir keine Gedanken darüber gemacht, dass der Mann diese Steine vielleicht auf eine ganz ehrliche Art erhalten hat - selbst wenn sie nicht aus den Brechern stammen mögen! Du wirst eines Tages noch auf dem Scheiterhaufen landen, wenn du nicht endlich mal dein Gehirn einsetzt und ein Gewissen entwickelst! Bete zu den Göttern, dass dieser Waldläufer weit weg ist, wenn er deinen Frevel bemerkt, und dass er die Steine wahrhaftig gestohlen hatte. Und jetzt überlege dir trotzdem, wie du den Betrug wieder gut machen kannst!"

"Ja, Meister!" erwidert der Jüngling kleinlaut und läuft zur Tür.

"Ach, und noch etwas, Galef!" ruft ihm der verärgerte Johram hinterher. "Ich weiß, dass heute Ernestine Küchendienst hat. Vergiss es! Du bleibst der Küche heute fern! Du hast genug Schaden für eine ganze Woche angerichtet - das reicht!"

"Wie Ihr wünscht, Meister!" flüstert der Gescholtene niedergeschlagen und schliesst leise die Tür zum Arbeitszimmer des Magister Johram.