Während Alrik meditiert, hat er eine Vision ...
Es war Abend. Langsam näherte sich die Dämmerung, der Tag neigte sich dem Ende zu und begann, sich in Dunkelheit aufzulösen.
Das Ende des Tages war gekrönt von einem unbeschreiblichen Sonnenuntergang, hoch über den Köpfen aller sterblichen und unsterblichen Wesen, in dem sich alle Rottöne der vergangenen Farbenpracht des Herbstlaubes wiederspiegelten.
Es war Winter. Eisige Kälte folgte den Tagen in das Dunkel hinein, und je tiefer im Winter es war, je länger der Winter andauerte, desto kälter wurde es.
Es war Winter : Die Tiere des Waldes fanden nicht mehr so viel zu fressen, wie im Sommer - oder selbst im Herbst. Das war ganz natürlich, bedeutete jedoch jedes Jahr aufs Neue einen Überlebenskampf.
Die Bären lagen bereits im Winterschlaf, die Hamster lagen neben ihren Vorratskammern, und die Eichhörnchen ruhten ebenfalls, der Winter war die Zeit des Innehaltens.
Die Wölfe heulten. Vereinzelt zwar, aber immer noch eine Bedrohung für die unvorsichtigeren Tiere des Waldes. Auch Wölfe haben Hunger, und versuchen, Nahrung zu finden, um so über den Winter zu kommen. Der Winter ist hart, aber gerecht : Jeder muß Entbehrungen hinnehmen.
Das Reh humpelte durch den Wald. Es war gerade erst einer Attacke entkommen. Der Wolf war auf schlüpfrigen Blättern ausgerutscht (den letzten, die das Jahr übriggelassen hatte), und gegen einen Baum geprallt. Heulend vor Schmerz hatte er sich wieder verzogen.
Das Reh war entkommen, aber es war nicht unverletzt geblieben. Am Bein klaffte eine große Wunde, und die Haut war bei der Flucht von vielen Ästen zerschrammt worden. Es humpelte vorwärts.
Das Einhorn spürte den Schmerz körperlich. Es fragte sich, woher dieser Schmerz wohl kommen mochte, und schlug die Richtung ein, in der es die Quelle vermutete.
Das Einhorn lebte in diesem Wald - in diesen Wäldern - wie ein sanfter, feengleicher Gast. Niemand wußte, woher es gekommen war, niemand wußte, wieso es blieb.
Das Einhorn hatte erst kürzlich mit unmenschlicher Kraft ein Pferd gerettet - einer Kraft, die nur einem Einhorn zur Verfügung stand. Einhörner waren durch und durch magisch. Das Pferd war zuschanden geritten worden, und in einer Verfassung, die nur ein Haarbreit vom Tod entfernt war. Das Einhorn hatte Mitleid empfunden, weil das Pferd nichts für seinen Zustand konnte.
Das Pferd folgte dem Einhorn jetzt. Es hatte beschlossen, eine „Lebensschuld“ abzutragen, denn es verdankte dem Einhorn das Leben. Das Einhorn hatte den Willen des Pferdes respektiert, vor Allem, weil es von dem Ehrgefühl des Pferdes beeindruckt gewesen war. Solche Pferde gab es hier nur noch selten.
Das Pferd war in einem absolut jämmerlichen Zustand gewesen : Es hatte viele Sehnen gerissen, Muskeln zerrissen, Knochen zerstört, die Haut nur noch in Fetzen. Ein Dämon in annähernder Menschengestalt hatte das getan, in seinem Willen, einer Gruppe von Abenteurern zuvor zu kommen. Der Dämon hatte Schnelligkeit zu seiner obersten Priorität gemacht, und ihm war es egal gewesen, ob und wie sich das Pferd fühlte. Er wäre notfalls mit einem Gerippe weitergeritten.
Das das Pferd am Ende seiner Kräfte - und seines Körpers - quasi „den Geist aufgab“, hatte er zähneknirschend zu Fuß weitergehen müssen. Und das Pferd dort liegengelassen, wo es gefallen war.
Was er nicht wußte, daß das Einhorn ihm stetig gefolgt war. Es konnte nicht zulassen, daß ein Pferd - ein Wesen generell - derartig mißhandelt wurde. Es hatte sich getarnt, und sich vor den Sinnen des Dämons verborgen. Eigentlich war es ganz einfach, wenn man (nur) wußte, wie.
Und nun stand es über dem zerstörten Körper des Pferdes, bewegt von Mitleid, die letzten Atemzüge des Wesens lauschend. Dann brachte es seine Magie ins Spiel.
Es gibt nichts in der Welt. das so mächtig ist, wie Einhornmagie. Außer Drachenmagie vielleicht, oder die Götter selbst. Dämonen zählen nicht, denn ihre „Magie“ ist im Grunde - aus der Sicht des Einhorns - eine in Wirklichkeit korrumpierte Magie.
Das weiße, sanfte, elfengleiche Wesen drang mit seinem Geist in den Geist des Pferdes ein. „Ich werde dich retten. Ich werde dich jetzt heilen. weil es getan werden muß.“ Das war genau das, was das Einhorn dachte. Und so übermittelte es das auch in den Geist des Pferdes. Es verstand, versuchte aufzuwiehern, aber konnte nicht.
Wer zugeschaut hätte, hätte während der nächsten Stunden ein bläuliches, durchscheinendes Leuchten gesehen, das beide umgab. Wie es das Einhorn machte, blieb sein Geheimnis. Auch Einhörner haben Geheimnisse.
Die nächsten Tage lag das Pferd nur da und schlief, bewacht von dem sanften, elfengleichen Wesen.
Danach mußte das Pferd lernen zu laufen. Der Körper war so zerstört gewesen, daß er in Teilen ersetzt werden mußte; und zwar durch Magie. So etwas konnten nur die mächtigsten magischen Wesen, und Einhörner. Sein Körper war jetzt wie neu, und in Teilen magisch. Das Pferd mußte lernen, seinen neuen Körper kennenzulernen, zu fühlen, zu bewegen, zu beherrschen, darin zu laufen. Es fühlte sich wie ein Fohlen, es war wie eine Wiedergeburt für es gewesen.
Seit dem folgte das Pferd dem Einhorn.
Nun wanderte das Tier tief in den Wald hinein, folgte der Spur zu dem Reh, das mit einer großen Wunde am Bein auf der Suche nach einem Rastplatz war, für die Nacht.
Diese Nacht würde schlimm werden, dachte sich das Reh, denn es war verwundet, und wenn ein Wolf oder ein Luchs auf seine Fährte kam, so konnte es nicht mehr fliehen. Nicht in diesem Zustand.
Als das Reh und das Einhorn sich trafen, war es bereits dunkel. Der Mond schien über dem Wald, in gleißenden, glühenden Strahlen durch das blätterlose Astwerk leuchtend. Wölfeheulen kam näher, die Jäger waren bereits auf der Spur. Ein Blick, und sie verstanden. Es war Eile nötig.
Das Einhorn aber hatte andere Pläne. Warum Magie benutzen, wenn es Heiler gab ? Telepathisch wurden einige Richtungen ausgetauscht, dann ging es weiter. Das Pferd führte sie an.
Die Wölfe kamen näher. Schon hatten die ersten die kleine Gruppe erreicht. Das Einhorn fiel zurück, sodaß das verletzte Reh in die Mitte kam. Ein Wolf griff niemals ein Einhorn an, und einer, der es je tat, überlebte es nicht. Niemand griff ein Einhorn an.
Ein paar von den jüngeren, unerfahreneren versuchten es dennoch. Die Geschichtenerzähler ihres Rudels hatten sie noch nicht über die Legenden, die sich in ihrer Wolfskultur um Einhörner woben, aufgeklärt. Das weiße, pferdeähnliche Tier trat mit den Hinterbeinen aus, und traf ein paar der jüngeren Wölfe nur knapp. Heulend liefen sie davon, mitleidig mit Blicken bedacht von den älteren, erfahreneren Wölfen.
Das Pferd war verunsichert ob des Angriffs der jungen Wölfe, trat aber weiter den Weg an. Es wieherte unsicher. Es war noch ein Stück zu gehen, aber nicht mehr allzu weit. Sie bauten auf das Pferd und das Tier war sich seiner Rolle als Führer durch den Wald bewußt. Verantwortung konnte eine schwere Bürde sein. Auf der anderen Seite war es klar, daß niemand an dem Einhorn vorbeikam - sie waren also weitgehend sicher.
Die älteren und erfahreneren Wölfe wagten an nicht, anzugreifen. Das Futter entschwand langsam, aber sicher, vor allem, da es unter so mächtigem Schutz stand. Dies würde eine Legende mehr in ihrem Sagenschatz werden.
Der Wald öffnete sich plötzlich, und sie kamen an eine Lichtung. Auf der Lichtung - eher an ihrem Rand - lag im goldgelben Mondlicht eine Hütte. Vor der Hütte prasselte ein Feuer, um das vier Gestalten herum saßen.
Das Pferd galoppierte die letzten Astlängen quer über die Lichtung zum Feuer hin. Die Gestalten sahen auf. Das Reh und das Einhorn folgten langsam, dahinter das enttäuschte und frustierte Wolfsrudel.
Von den Gestalten stand einer auf, er war in einem grün-braun-grauen Überwurf gekleidet, der nichts über den Träger verriet. Dies war der Besitzer der Hütte, zu ihm hatte der Weg der kleinen Gruppe geführt. Die anderen Gestalten waren seine Frau, und ein pfeifenrauchender Wald-Schamane. Und eine Waldelfin.
Der Besitzer der Hütte erschien wieder, als die Gruppe den Vorplatz mit dem prasselten Feuer erreichten. Der Schamane bemerkte die Gruppe, und das immer noch dahinter herziehende Wolfsrudel. Das Reh legte sich vorsichtig in ausreichendem Abstand zum Feuer hin; Feuer waren eine Gefahr, wie jeder wußte, also konnte niemand einem Feuer letztendlich trauen. Der Besitzer der Hütte, ein Waldläufer, ging zum Reh hin.
Währenddessen band der Schamane das Wolfsrudel. Er glaubte nicht, daß es Zufall war, daß das Rudel dem Pferd, dem Reh und dem Einhorn bis hierhin gefolgt waren, bis zum Feuer hin, das von Natur aus immer eine Gefahr gewesen war.
Er erhob seine Arme, und rief in einer unbekannten Sprache Worte in den monderleuchteten, sternenklaren Nachthimmel, und griff in eine seiner vielfältigem Taschen seines großen Mantels, aus der er eine handvoll glitzernden Staub holte, und über allen verstreute. Dann ging er um die Hütte herum, und streute etwas davon wie in einer Art Bannkreis um sie herum. Als er wieder am Vorplatz ankam, stapfte gerade ein Zwerg mit einem Handkarren hinzu; er wurde ebenfalls bestreut, bevor er sich wehren konnte. Dann setzte er sich wieder auf seinen Platz, und nahm seine Pfeife wieder auf.
Es glitzerte nun schwach im Bereich der Hütte, wie Kiesel im Mondlicht, auf den versammelten Gestalten, und überall, wohin der Wind den Staub geweht hatte. Alle hatten sich hingelegt oder hingesetzt, und das Einhorn nahe ans Feuer.
Der Waldläufer hatte inzwischen ein großes, weit ausladendes, geschwungenes Blatt eines Heilkrauts auf die Verletzung des Rehs gebunden; als Befestigung hatte er Pflanzenfasern verwendet, die in ein paar Tagen wieder von selbst abfallen würden, wenn die Wirkung des Blattes verbraucht war. Nach einem Weilchen konnte das Reh zumindest wieder aufstehen.
Das Wolfsrudel lag in gemessenem Abstand zum Feuer, friedlich, wie junge Hunde, die müde vom Laufen und Spielen sind.
Genau auf der anderen Seite des Feuers lag nun das Pferd, das einen seltsamen, tiefen Frieden in sich verspürt hatte, und daher beschlossen hatte, sich dazuzulegen. Nach einer Weile legte sich auch das Reh dort hin.
Der Zwerg begann nun geschäftig Dinge auszupacken. Auf seinem Handkarren hatten mehrere Pakete gelegen, große und kleine, und diese verteilte er jetzt an die versammelte Gesellschaft. „Hier, bitte“, und „du auch !“ und „bittesehr“ und „noch eins !“ gekrönt von einem „und für mich auch !“waren seine Worte. Die anderen nickten, teils erstaunt, teils weniger erstaunt (schließlich war er ein Zwerg !), und teils ergriffen. Selten, daß man etwas von einem Zwerg geschenkt bekam ! Aber andererseits - Zwerge waren größtenteils für ihren ehrenhaften Charakter bekannt. Dann setzte er sich zu ihnen.
Auf sein Nicken hin fingen alle an, ihre Geschenkpakete auszupacken.
Die Waldelfin bekam einen fein ziselierten, geradezu fragilen Ring, den sie sich an den Finger stecken konnte. Daneben bekam sie einen sehr ähnlichen, aber noch luftigeren Ring als Halsschmuck. Beide waren aus Holz.
„Du glaubst gar nicht, wie schwer es war, einen Zwerg zu finden, der so etwas kann !“ kommentierte der Zwerg diese Schmuckstücke mit seiner tiefen Stimme, „es gibt hunderte oder gar tausende Zwerge, die das Unglaublichste aus Stein oder Metall herstellen können (oder aus beidem) - aber nicht einen, der das Holz versteht !“ Er hielt inne und kraulte sich kurz den langen Bart, während die Elfin die beiden Schmuckstücke bewunderte. „Ich habe dann tatsächlich jemanden gefunden ... er war so alt, daß er sogar noch die Alte Zeit kannte, eine für uns nur noch mystische Zeit, in der Elfen und Zwerge einmal zusammengearbeitet haben. Er konnte das Holz beabeiten.“ Die Waldelfin schaute zu ihm hinüber und nickte. „Das sind sehr schöne Stücke. Bitte richte ihm von mir mein großes Dankeschön aus“ sagte sie.
Der Schamane bekam einen grünen Edelstein, eine Gemme. „Darin ist ein Baum eingeschnitten, von einem bekannten Gemmenschneider“ kommentierte der Zwerg das Geschenk. Der Schamane nickte. Er konnte das Grün der Blätter in dem Stein sehen ... und als er ihn in das Mondlicht hielt, so schien es ihm, als ob er ein Blatt vor sich hätte, durch daß das Sonnenlicht fallen würde. Der Stein hatte auch in der Tat etwa die Form eines eher schmalen Blattes. „Danke“ sagte der Schamane, „damit hast du mir einen großen Wunsch erfüllt. Das ist genau das, was ich jetzt brauche.“ Wofür, sagte er nicht.
Der Besitzer der Hütte, ein Waldläufer, bekam einen hölzernen Wanderstock. Er war aus Holz, aber mit silbernen und goldenen Metalleinlegearbeiten verstärkt, die sich wie Pflanzen um den Stab herum rankten und im Mondlicht schimmerten.
„Dies ist kein gewöhnlicher Wanderstock !“ sagte der Zwerg im Brustton der Überzeugung. Der Waldläufer lächelte. Etwas anderes hatte er nicht erwartet. „Dieser Wanderstock federt dein Gewicht während des Wanderns ab. Das heißt, wenn du ihn auf die Erde setzt, nimmt er dein Gewicht auf sich, und hebt dich von der Erde ab, für einen ganz kurzen Moment.“ „Wie das ?“ fragt der Waldläufer. „Da ist Magie mit im Spiel“ lächelt der Zwerg verschmitzt. Magie. Das war insofern bewundernswert, da die Zwerge sonst wenig auf Magie gaben. Manche waren ihr sogar ausgesprochen mißtrauisch gegenübergestellt. Daß da also ein zwergisches Kunst-Stück mit Magie gefertigt worden war, war in der Tat schon etwas Besonderes. „Du kannst ihn im Falle eines Falles auch gut als Waffe benutzen; schau dir diesen metallenen, vergoldeten Knauf an : Da ist ein Gewicht mit drin, daß ihn besonders schwer macht. Ein Metall, schwerer als andere Metalle. Und außerdem“ - hier nahm der Zwerg den Stab und fuhrwerkte mit ihm etwas herum - „ist er von innen hohl. Du kannst also etwas da hineinpacken.“ Wieder lächelt der Zwerg verschmitzt : Dies war in der Tat eine gute Arbeit : vor Allem sehr praktisch ! Der Waldläufer nickte, beeindruckt. Diesen Stab würde er auf seinen Wanderungen gut gebrauchen können, auch wenn er sich noch nicht vorstellen mochte, was er wohl in den Stab hineintun könnte.
Die Waldläuferin, seine Frau, bekam von dem Zwerg einen ebensolchen Wanderstock, und hinzu noch eine Halskette. „Diese Halskette fängt den leisesten Sonnenstrahl auf, und wandert ihn in Wärme um. Dir wird also nie kalt“ erklärte der Zwerg. „Und was ist, wenn es mir zu heiß wird ?“ fragte sie. „Es wird nicht zu heiß werden. Durch Magie ist sie immer an deine Körpertemperatur angepaßt.“ antwortete der Zwerg. „Dann kann ich sie auch als Handwärmer nehmen ?“ „Nun ... ja“ antwortete der Zwerg zögerlich, „hm, damit bringst du mich jetzt auf eine Idee ...“ Damit versank der Zwerg erst einmal bartkraulend tief in Gedanken.
Plötzlich wurde er wieder lebendig. „Mir selbst“ begann der Zwerg, „habe ich einen Ring aus Obsidian geschenkt. Wißt ihr, es war ganz schön schwierig und langandauernd, in so gut poliert zu bekommen... Nun ja, wenn mir mal das Feuer-Zeug ausgehen sollte, kann ich es vielleicht damit einmal versuchen !“ lachte der Zwerg.
Plötzlich griff er in eine seiner Taschen und holte vier kleine Säckchen heraus. „Das hier“ - damit verteilte er die Säckchen - „sind Erzeugnisse zwergischer Backkunst ! Leckere Plätzchen. Sie werden nur ein Mal im Jahr gemacht, und zwar für das heutige Fest. Sie sind anders als das, was wir sonst backen, nämlich süß und lecker - auch für Außenstehende !“ Damit zwinkerte er mit den Augen. Während alle in ihre Säckchen griffen, um von den Plätzchen zu kosten, holte er sein eigenes heraus - ein blaues Säckchen mit seinem eigenen in Gelb eingestickten Namen.
Er schob sich eines der sternförmigen Plätzchen in den Mund, und kaute daran. Als er fertig damit war und sich umblickte, und sah, daß die anderen ebenfalls am Essen waren, begann er zu sprechen.
„Dies ist die Nacht, in der wir dem Ende der Dunklen Zeit gedenken, dem Beginn des Wiederlichtes, dem Ende der Großen Kriege, und der Eröffnung des Lichtes, dem Tag, an dem wir seit Hunderten von Jahren erstmals wieder an das Sonnenlicht heraus konnten !“ erklärte der Zwerg geschäftig mit seiner eher tiefen Stimme. „Wir mußten während der Großen Kriege viele hundert Jahre in unseren Tunneln, Gebirgsstädten und Katakomben ausharren, weil die Welt da draußen zu unsicher war. Wir verteidigten unsere Eingänge, und gaben uns sonst keine Blöße. Es war eine harte Zeit. Die meisten unserer Kochrezepte mit Pilzen stammen aus dieser Zeit. Und unsere Entdeckung der Leuchtpilze.
Als wir von einem Herold erfuhren, daß wir wieder ans Licht konnten, war unsere Freude groß. Viele Wochen lang feierten wir überschwenglich unsere Feste, froh, wieder den Zugang zum Licht erhalten zu haben. Wir hatten viel nachzuholen !
Und wir taten auch unseren Anteil daran ! Die Welt lag in Trümmern, aber wir waren begierig darauf, unseren Anteil abzuleisten. In den Kriegen hatten wir wenig beigetragen - einmal von einigen wenigen überragenden Siegen abgesehen,“ er nickte kurz zur Waldelfin hinüber, „und daher empfanden wir es als Bringschuld, unsere aufgesparten Kräfte für den Wiederaufbau einbringen zu müssen. Daher dieser Festtag, den heute auf der ganzen Welt Zwerge jedweder Farbe feiern !“ Er räusperte sich kurz, dann fügte er etwas leiser hinzu : „Nebenbei : Dies ist auch der Gedenktag der Grundsteinlegung für das erste Zwergenhaus nach den Großen Kriegen außerhalb der Tunnel und Katakomben !“
Während der Pause knabberten alle weiter an ihren Zwergenplätzchen.
„Auch wir haben ein Fest zu feiern,“ begann die sanfte weibliche, fast mädchenhafte Stimme der Waldelfin. Während sie sprach, hielt sie mit beiden Händen eine rote Tontasse fest, in der sich ein Tee befand. Ihr blaues „Plätzchensäckchen“ hatte sie vor sich gelegt. „Unser Fest ist dem der Zwerge ähnlich. Wir feiern das Fest der Neugeburt des Lichtes, und der Wiederanpflanzung des Weltenbaums. Es war um diese Zeit herum, als die Großen Kriege endeten, und wir es wagen konnten, uns wieder offen zu zeigen, nicht mehr gejagt von den Kreaturen der Finsternis. Wir wanderten erstmals seit langer Zeit wieder durch die Wälder, und unsere starke Heilertradition profitiert noch heute davon. Wir mußten so viel heilen, solche Mengen an Verletzungen, und solche Größen an Verletzungen an Mutter Natur, daß es dafür kein Wort im zwergischen oder im menschlichen gibt. Nur wir haben ein solches Wort in unserer Sprache dafür, und es heißt, daß dieses Wort dem Mund der Heilerin Gelbblatt Goldenmond entschlüpfte, als sie voller Schrecken das erste Mal sah, was die Kriege an Mutter Natur angerichtet hatten. Es ist unübersetzbar, und niemand nimmt es gerne in den Mund. Wenn ihr erlaubt, ich möchte es nicht aussprechen müssen.
Trotzdem : Wir waren erfolgreich, und wir konnten auch einen Setzling des Weltenbaums wieder anpflanzen. Dieser Weltenbaum soll - so sagt es die Legende - ein Nachfahre des Ersten Baumes sein, der auf dem Land wuchs. Woher er kam, wissen wir nicht. Die Legenden und Sagen erzählen uns nichts darüber.
Der Erste Baum - oder einer seiner Nachfahren, so heißt es - habe uns gelehrt, den Stimmen der Bäume zu lauschen. Und so verehren wir ihn und seine Nachkommen als den ‘großen Stimmenschöpfer’ . Bis dahin waren uns nämlich die Stimmen der Bäume unbekannt gewesen.“ Damit wurde die Waldelfin ruhiger und nahm einen Schluck aus ihrer Tontasse, die mit einem Waldblatttee gefüllt war.
Dann war der nächste dran.
„Wir, die Schamanen, feiern an diesem Tag das ‘Öffnen der Türen’ . “ begann der Schamane, an seiner Pfeife rauchend. „Auch wir haben unsere Legenden, und eine davon sagt, daß diese Zeit die Zeit war, in der zum ersten Mal eine Göttin oder ein Gott mit uns sprach.“ Er hielt kurz inne, und zog ein paar Mal an seiner Pfeife, während die anderen aus ihren Tassen tranken oder an ihren Plätzchen knabberten. Alles war auf die Runde konzentriert; selbst das Reh und das Einhorn scheinen zu lauschen.
„Ihr kennt sie als „die Waldgöttin“, und sie war es, die zum ersten Mal ihr Wort an uns richtete. Wir Schamanen des Waldes hören seit dem immer noch ihre Stimme, und reden ständig mit ihr. Sie hat natürlich ihre eigenen Priester und Priesterinnen, aber für praktische Zwecke sind immernoch wir zuständig.“ sagte er mit einem Augenzwinkern. „Wir befinden uns gerade in ihrem Wald, und es würde mich nicht wundern, wenn sie uns besuchen käme. Ich kann sie aber nicht hören.“ Damit zog er noch ein, zwei Mal an seiner Pfeife. „Wir lernten und lernen alles von ihr, was wir hier so kennen, und was wir in ihrem Bereich anwenden können. Unsere Initiationsriten bestehen aus einem persönlichen Gespräch mit ihr, wie bei den Priestern. Aber wir sind Heiler, keine Priester oder Krieger. Wir könnten unsere Rituale sicherlich auch in anderen Gegenden anwenden, aber hier wirken sie stärker, weil sie uns aktiv dabei unterstützt. Sie informiert uns über Baumstürze, Steinschläge, Unwetter, Überfälle, und was weiß ich was es noch so alles gibt. Sie würde uns auch über Kriege informieren, wenn es in ihren Waldlanden welche gäbe. Aber auch so haben wir genug zu tun, da brauchen wir keine zusätzlichen Kriege, dankeschön.“ Damit nickte der Schamane und machte wieder eine kurze Pause, sah sich um, und fand weiterhin alle Augen (und Ohren) auf sich gerichtet. Er zog einmal kurz an seiner Pfeife, dann fuhr er weiter fort : „Wir feiern hier also das erste Mal, daß sie zu uns sprach.“
Nach einer weiteren Pause begann der Waldläufer, indem er zuerst einige Blicke mit seiner Frau austauschte. „Nun, wir feiern auch etwas in diesen Tagen.“ fing er an. „An diesem Tag haben wir hier unser Haus gegründet,“ fuhr er weiter fort, „und wir haben von der Waldgöttin diese Lichtung zugeteilt bekommen,“ ergänzte seine Frau. „Also nichts besonderes.“ ergänzte er lächelnd wieder, indem er Blicke mit seiner Frau austauschte.
Nun sprach das Einhorn. Ihre klare Stimme, klar wie ein sanfter, kühler Wind, der durch die Winternacht reist, getragen vom Atem einer Wärme, die einer Haselmaus oder einem Eichhörnchen das Gefühl von Geborgenheit gibt, klang durch die Nacht, nur unterbrochen vom Atmen der am Feuer sitzenden und liegenden Gestalten, und dem gelegentlichen Geräusch eines friedlichen, wie einem Welpen daliegenden Wolfes.
„Auch wir feiern etwas.“ begann das Einhorn mit einer Stimme, die der der Waldelfin nicht unähnlich war. „Was wir feiern, ist aber nur für uns von Bedeutung. Kaum einer von euch kennt Einhörner wirklich.“ Sie machte eine kurze Pause. „Ja, ich weiß, es gibt unzählige Legenden und Sagen über uns, aber nur wenige wissen mehr. Und wir Einhörner,“ damit nickte sie kurz zur Waldelfin und zum Waldläufer hin, „geben nur ungern Dinge von uns selber preis. Wissen ist Macht, sagen manche Magier, und je weniger Menschen und andere über uns wissen, desto unangreifbarer bleiben wir.“ Damit machte sie eine Pause, und gab den anderen Zeit, einen Schluck aus ihren Tassen zu nehmen oder an ihren Plätzchen zu knabbern. „Wir erzählen also wenig von uns - als reinen Selbstschutz. Auch wir haben unsere Geheimnisse.
Wir feiern also in der Tat etwas : Nämlich den Jahrestag des Erscheinens. An diesem Tag oder in dieser Nacht erschien „etwas“ : das erste Einhorn „erschien“ - auf dieser Welt. In dieser Welt. Ich bin ein jüngeres Einhorn, ich war nicht dabei, also weiß ich nicht, wie genau das damals war, aber es wird unter uns erzählt, daß das erste Einhorn einfach erschien. Einfach so. Und mit gutem Grund. Es war plötzlich da, mit einem Mal, in unserer Welt, und nahm Teil an dieser, an unserer Welt.
Wir wissen selbst nicht genau, woher wir kommen. Aber wir wissen, daß wir einmalig sind, so, wie Drachen. Wir sind göttlichen Ursprungs, und doch wieder nicht. Einige von uns sagen, daß wir uns selbst in unsere - in diese - Welt geträumt haben - ihr Schamanen könnt sicherlich bestätigen, daß die Welt, das, was ihr „Realität“ nennt, nichts anderes ist als ein großer Traum,“ dabei nickte sie zum Schamanen herüber, der seinerseits mit einem Nicken antwortete, „aber es muß eine Gottheit gewesen sein, die uns erlaubt hat, uns selbst zu erträumen, uns selbst zu dieser Schöpfung beitragen zu lassen, uns selbst zum Teil dieser Schöpfung werden zu lassen. Wir sind, und dazu gibt es nichts Sinnvolleres mehr zu sagen.“
Damit endet die Runde, und alle werden stiller. Nach einem telepathischen Gespräch stimmt der Schamane zu, und das Einhorn webt ein großes Netz aus den Fäden der Magie, der Energie des Waldes, der Energie des Lebensflusses, und der Energie der Erde mit um die Hütte und seine Gäste, so daß niemand sie stören kann. Für die Dauer einer Nacht werden sie von dieser Welt entrückt.
Ihre Blicke gehen hinauf in das Sternenzelt.
Sie werden für diese Nacht alle Eins sein mit dieser Welt, keinen Hunger, keinen Durst verspüren, nur Sein, in einer anderen Welt, und doch wieder dort, wo sie immer waren, denn dies war der Ort, in dem sich ihr Sein manifestierte, und dies war die Nacht, in der alle allem gedachten.
Diese Nacht war anders.
Mysteries of Time
In the Mysteries of time ...
Glistening in the night ...
Shining like a star ...
We all know ...
We are one ...