Johram war der Erzählung des Halbelfen mit großem Interesse gefolgt. Zwischendurch war er einige Male durch das Zimmer gelaufen, ohne den Erzähler jedoch auch nur ein einziges Mal zu unterbrechen. Als Glance schliesslich geendet hat, giesst er wortlos aus einer Karaffe Wasser in einen wertvollen, filigran geschliffenen Kelch aus grünem Kristall und reicht ihn dem Halbelfen dar, seiner Bitte nachkommend. Dabei mustert er seine Gäste mit ernstem Gesicht.

"Das ist eine sehr... ungewöhnliche Erzählung." sagt er schliesslich, nur mühsam die Erregung unterdrückend, die ihn offenbar erfüllt. "Ich glaube zu wissen, um welchen Tempel es sich handelte. Jedoch war mit nicht bekannt, welches Geheimnis in seinem Inneren verborgen war... Wir hielten ihn immer für ein unbedeutendes Überbleibsel einer längst untergegangenen Kultur... - Ein Siegel, dass ein Tor zur Hölle verschloss, sagt Ihr? Das ist wirklich ungewöhnlich. Die Dämonologie ist zwar nicht mein Gebiet, doch es liegt für mich auf der Hand, dass das geschwächte Siegel und das dahinter versperrte Tor auf dämonische Wesenheiten wie ein Licht in dunkler Nacht auf Motten gewirkt haben muss. Mir ist jedoch gänzlich unklar, wer einst diese Tor errichtet haben soll, und wer für dessen Versiegelung verantwortlich ist. Es ist jedoch sehr wahrscheinlich, dass die Bibliothek darüber Auskunft geben kann."

Der Priester hatte einst erwähnt, dass die Ereignisse, die sich vor vielen Zeitaltern um den Tempel und die Dämonenschlachten abgespielt hatten, inzwischen fast völlig in Vergessenheit geraten waren. Nur noch wenige Auserwählte bewahrten das Wissen auf, und selbst jenen waren längst nicht mehr alle Zusammenhänge bekannt. Johram gehört trotz all seines Wissens offenbar nicht zu diesen Auserwählten, wie seine Reaktion auf den Bericht des Halbelfen zeigt.

"Ein permanentes Tor kann wie ein Riss im Gefüge des Universums aufgefasst werden, ähnlich einer Wunde in der Haut eines Lebewesens." fährt der alte Magier nachdenklich fort. "Und das Siegel ist für gewöhnlich nicht mehr als eine Art Verband, mit dem man diese Wunde abdeckt, damit nicht das Blut aus ihr hervortritt. Natürlich ist die Wahrheit nicht ganz so simpel, da es sich bei dieser Art der 'Wunde' um ein ausgesprochen metaphysisches Phänomen handelt. Nach dem, was Ihr berichtet habt, habt ihr weniger das Siegel als solches instand gesetzt als vielmehr das Tor selbst geschlossen. Zumindest würde dafür die gewaltige magische Eruption sprechen, die wir selbst hier noch spüren konnten. Ihr müsst wissen, dass zur Aufrechterhaltung eines Tores in eine andere Welt ein permanenter Niveauunterschied der Kraft erforderlich ist. Natürlich ist das nichts anderes als ein Ungleichgewicht im Strom der Magie, der nur durch äußeren Zwang erhalten werden kann, aber dafür sorgt, dass die Kraft vom höheren Niveau auf eine tieferes strömen kann. Das Tor selbst speisst sich aus der Energie, die dadurch frei wird. Indem ihr diesen erzwungenen Kraftstrom unterbracht und seinen natürlichen Lauf wiederherstelltet, konnten sich die Energien entspannen und wieder zurück ins Gleichgewicht fliessen - ähnlich einem Fluss, dessen Lauf durch einen Damm beeinträchtigt ist und dessen Kraft vor dem Damm unnatürlich aufgestaut wird. Wird der Damm eingerissen, so entspannt sich die Kraft schlagartig, bevor der Strom des Wassers wieder normal und gleichmäßig seinem natürlichen Weg folgt."

Johram, der die ganze Zeit ruhelos auf und ab gelaufen ist unterbricht sich und wendet sich wieder seinen Gästen zu.

"Nun, das ist die Theorie, und ich will euch damit nicht länger langweilen. Was viel wichtiger ist: die Erschaffung eines solchen Tores als auch dessen Versiegelung erfordern ohne Zweifel eine Macht, die die eines jeden gewöhnlichen Sterblichen bei weitem übersteigen dürfte. Wie ich schon sagte, habe ich keinerlei Vorstellung, wer einst dafür verantwortlich gewesen sein könnte. Aber auch das ist jetzt ohne Bedeutung. Viel wichtiger ist, dass ihr in der Lage wart, das Siegel unnötig zu machen und den Riss gänzlich zu verschliessen! Theoretisch ist das Einreissen eines Dammes zwar einfacher als dessen Aufbau und Sicherung, aber euch ist es obendrein gelungen, das alles zu überleben! Eigentlich hättet ihr von der magischen Eruption in Stücke gerissen werden müssen. Etwas muss euch davor bewahrt haben, möglicherweise etwas, von dem ihr selbst gar nichts wisst."

Erneut wird der Blick des Mannes scharf und durchdringend. "Vielleicht wird das Ungewöhnliche klarer, wenn Ihr mir sagt, was Ihr eigentlich hier zu finden hofft. Ihr seid doch gewiss nicht den weiten und gefahrvollen Weg hierhergekommen, um von einem alten Mann eine Erklärung der Theorie zu hören, die hinter euren Erlebnissen steht! Ihr sagtet, Ihr würdet Hilfe benötigen - der Tempel ist zerstört, das Tor wurde vernichtet, die Magie befindet sich wieder im Gleichgewicht - und die Gefahr scheint gebannt, will mir scheinen. Was also ist der eigentliche Grund eures Besuches hier in der Akademie?"