Beunruhigt sieht Lurekar mit an, wie Stone seine Armbrust hervorholt. „Bitte überstürzt nichts, Ferrwars Sohn!“, meint er beschwichtigend, „Mein Erscheinen muss Euch eigenartig vorkommen, das ist mir bewusst, aber ich kann Euch vieles erklären. Ich versichere Euch, dass mir in dieser ganzen Situation nicht wohler ist als Euch. Vielleicht werdet Ihr das verstehen, wenn ich Euch berichte, was vorgefallen ist, aber dazu muss ich weiter ausholen. Habt also Geduld.“
Mit einem schwachen Lächeln richtet der Mann seine Kleidung und senkt kurz den Kopf, wie um seine Gedanken zu sammeln. „Zunächst zu meinem Beinamen“, beginnt er dann, „ – wie Ihr sicher schon vermutet, ist er aus 'Von Ritter Jochim, der Maid Sulaika und dem Dunklen Gesellen' übernommen. Das ist immer noch eine meiner Paraderollen, und als wir uns dann verstärkt der Musik zuwandten, brachten unsere besonderen Namen auch unserem Trio schnell die Aufmerksamkeit der Leute ein. Ach so, falls Ihr das noch nicht erkannt haben solltet: Ich gehöre zum Fahrenden Volk. Und das ist meine Bända.“. Lurekar zieht seinen Umhang ein Stück zurück und zeigt auf die zusammengerollte Schnur oder Peitsche, die an seinem Gürtel hängt. Dann deutet er eine Verbeugung an.
„Wie ich in diese Gegend gekommen bin,“, fährt er fort, „weiß ich auch nicht genau. Wir spielten auf dem Weinfest in Tuchstadt an der Westküste, und bis in die späte Nacht vergnügten wir uns noch in der 'Tanzenden Ratte'. Ich erinnere mich, dass ich dem jungen Wein zusprach ... vielleicht stärker, als gut für mich war. Als ich erwachte, konnte ich mich nicht bewegen und lag im Wald nicht weit von hier. Wie ich inzwischen beobachten konnte, ist dies die Ostküste, von der ich noch nie zuvor gehört habe. Deswegen bat ich Euch so eindringlich, mir mehr über diese Gegend zu erzählen. Von der Westküste weiß ich, dass man Fremden in verschiedenen Ländern und Städten sehr unterschiedlich begegnet. Mancherorts sind sie sehr gern gesehen, weil sie Kunde aus der Ferne bringen, aber an bestimmten Orten werden sie feindselig behandelt, nur weil sie von anderswo kommen. Aus diesem Grund würde ich auch gern wissen, wie das in Rechem ist und unter wessen Herrschaft die Stadt steht.“
Lurekar atmet tief durch. „Aber zurück zu meiner Erzählung. Nach einiger Zeit erschien eine sehr seltsame Frau. Sie verstand es offenbar, ihre Gestalt zu wandeln, denn erst wirkte sie nicht weiter außergewöhnlich, doch später hatte sie hellblaue Haut und seltsame Schwingen, außerdem war sie deutlich größer. Dennoch sprach sie mit derselben Stimme. In ihrer merkwürdigen Gestalt trug sie sehr freizügige Kleidung und war ... äh, von sehr ausgeprägter Weiblichkeit. Sie besaß die Kraft, meine Lähmung aufzuheben und mich nach Belieben erneut zu lähmen. Nicht nur ich war ihr Gefangener, sondern noch ein weiterer Mann, mit dem ich mich jedoch nicht unterhalten konnte, da auch unsere Zungen gelähmt waren, wenn die Frau uns allein ließ. Was genau sie von uns wollte, kann ich immer noch nicht sagen, aber es war sicherlich nichts Gutes. Sie befahl uns manchmal, ihr zu folgen, und wir gehorchten, um uns wenigstens die Beine vertreten zu können. So betraten wir auch den Leuchtturm und standen neben ihr, wenn sie das Land überblickte und aufs Meer starrte. Was in dieser Zeit mit dem Wärter geschah, weiß ich nicht. Gestern jedenfalls führte die Frau den anderen Mann fort, und nach einer Weile hörte ich aus der Ferne einen Schrei. Der Mann kam nicht mehr zurück. Da ahnte ich, dass ich verloren war, wenn ich nicht bald handelte. Ich ... ich bin niemand, der anderen Leuten Gewalt antut, aber ich hatte keine Wahl, versteht Ihr?“
Der Schwarzgekleidete blickt in die Runde, offenbar auf zustimmende Kommentare hoffend. „Vorhin bot sich mir dann eine Gelegenheit.“, erzählt er weiter, „Zusammen mit ihr in den Büschen versteckt, musste ich zunächst mit ansehen, wie die Piraten hier eindrangen. Als sie weg waren, liefen wir kreuz und quer durch den Wald. Dabei ging ich direkt hinter ihr und konnte ihr einen glänzenden Kristalldolch aus dem Gürtel ziehen. Bitte bedenkt, dass es um mein Leben ging! Ich ... ich stach also zu. Und ... und die seltsame Frau zerfiel einfach zu Asche!“. Mit zitternden Händen holt Lurekar einen Wasserschlauch hervor und trinkt einige Schlucke. „Ich war entsetzt und gleichzeitig so froh, dass es vollbracht war ... dass meine Peinigerin ihr Ende gefunden hatte. Aber es war Notwehr! Daran kann es gar keinen Zweifel geben, nicht wahr?“
Erneut trinkt Lurekar, bevor er fortfährt: „Bitte entschuldigt, wenn sich manches noch ein wenig verworren anhören sollte. Ich bin noch immer sehr aufgeregt ob der Geschehnisse, doch da ich hoffentlich alle Fragen zur Zufriedenheit beantwortet habe, könntet Ihr ja jetzt mein Vertrauen erwidern und mir ein wenig mehr über Euch erzählen. Und falls mir jemand etwas über diese seltsame Frau sagen kann, möchte ich natürlich gern erfahren, was sie mit mir gemacht hat.“