"Ihr seid nicht mein Vater...!" Schallend trifft die offene Hand der ungestümen Kriegerin des Gesicht des Priesters, lässt ihn unter der Wucht zurücktaumeln. Hitze steigt in der getroffenen Wange auf.

Lautlos zuckt der heilige Mann in die Höhe. Wieder so ein Traum! Sollte es sein Schicksal sein, jedesmal durch diese Ohrfeige aus dem Schlaf gerissen zu werden? Vorsichtig berührt er das Mal, das seit dem auf seiner Wange prangt. Er spürt ein leichtes Prickeln dort, wo ihn einst die Hand traf, und es scheint ihm, als würde die Stelle erneut in silbernem Glanz schimmern. Noch immer benommen von dem tiefen Schlaf, der mehr Änlichkeit mit einer Ohnmacht hatte, schüttelt er den Kopf, um wieder gänzlich zu sich zu kommen. Wo war er? Was war geschehen?
Die Erinnerung kehrt mit elementarer Gewalt zurück. Scharf zieht der heilige Mann die Luft ein. Das Unwetter! Und diese Reise...! Er wusste um seinen Zustand und war selber erstaunt, wie lange er dem Verlangen des Körpers nach Ruhe zu widerstehen vermochte. Ohne Zweifel war das einzigartige Hochgefühl, das er auf der Reise hierher verspürt hatte, mit der Grund dafür. Wie nahe hatte er sich Undar gefühlt!
Still lächelnd horcht der Priester in sich hinein, und fast scheint es, als würde er dem Nachhall der Erinnerung an jene Reise lauschen. Er fühlt sich ungewöhnlich frisch, obwohl sein Äußeres stark gelitten hat und dringender Pflege bedürfte. Doch der Schlaf war außerordentlich erholsam gewesen und hatte ihm mehr zurückgegeben, als natürlich war. Er ahnt nicht, dass dieser Schlaf eine Gratwanderung gewesen war. Zu viel hatte der Priester von sich verlangt, zu unbarmherzig hatte er seine Kraftreserven verbraucht. Schliesslich hatte er seine innersten Essenzen angreifen müssen, jene Essenzen, die die Lebenskraft selber ausmachen. Nicht viel hätte gefehlt, und der geschwächte Lebensfunke in ihm wäre für immer erloschen. Erneut berührt der Priester das silberne Mal auf seiner Wange. Stark fühlt er die silberne Macht Undars in sich, und ein unerklärliches Gefühl der Dankbarkeit und Demut breitet sich in ihm mit angenehmer, belebender Wärme aus...

Wo aber war der Fremde? Ihm war bereits bei ihrem ersten Zusammentreffen ein Blick tief in das Innere des mysteriösen Hünen erlaubt worden. Doch ein Blick auf eine potentielle Macht ist etwas anderes als das leibhaftige Erleben derselben, und so war die Achtung des Priesters vor dem Fremden erneut gestiegen.

Der Priester entdeckt den Fremden einige Schritte weit entfernt. Der Hüne hockt entspannt auf einem umgestürzten Baum, dessen Stamm bereits seine Rinde verloren hat, den Blick durch den zum Ufer hin lichter werdenden Pinienwald auf das Wasser gerichtet. Selbst in dieser sitzenden Position wirkt der Fremde groß und ehrfurchtsgebietend. Seine wirkliche Macht jedoch ist wieder tief in seinem Inneren verborgen.
Der Sturm hat über Nacht nachgelassen, und im Schutz der Bäume ist es sogar fast windstill. Die im Dämmerlicht bedrohlich wirkenden Schaumkronen weisen jedoch darauf hin, dass das Wasser noch immer von den Naturgewalten aufgepeitscht wird.

Dem Fremden scheint das Erwachen des Priesters nicht entgangen zu sein. Mit einer Geste weist er auf das aufgewühlte Wasser.
Der Priester folgt der stillen Aufforderung. Am Horizont ist die dunkle Wolkendecke aufgerissen, und hell schimmert es dort zwischen der unheilverkündenden Dunkelheit hervor. Und dann geht die Sonne auf...


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