Gelangweilt sitzt Chumana auf dem Dach eines Hauses und beobachtet das Treiben am Stadttor. Seit dieser kopflose Haufen von Taugenichtsen den Leuchtturm verlassen hatte, verbrachte sie nun schon ihre Zeit damit, sie zu beobachten. Dabei taten sie nichts anderes, als ziellos durch die Gegend zu rennen. Dummerweise teilten sie sich auch noch in Grüppchen auf, so dass sie eine Menge magische Kraft darauf verschwenden musste, alle halbwegs im Auge zu behalten. Na ja, zugegeben, ein Einhorn zu sehen war schon mal eine amüsante Abwechslung gewesen. Auch der magische Blick in die Akademie war recht erheiternd gewesen, auch wenn er einen Großteil ihrer magischen Kraft aufgezehrt hatte. Die Magier hatten ihr Haus nicht schlecht gesichert. Aber auch nicht gut genug für sie. Es war doch wieder mal typisch, dass dieser Kerl im schwarzen Umhang beinahe das ganze Haus aufgeweckt hätte. Sie würde sowieso nie verstehen, warum die anderen Völker Männer frei rumlaufen ließen. Dabei wusste doch jedes Kind, dass sie den Verstand von Eseln besaßen und zu ihrer eigenen Sicherheit weggeschlossen werden sollten.
„Taugen nur zum Arbeiten und machen mehr Ärger als sie wert sind“, murmelt sie vor sich hin, während sie sich erhebt um, dem Grüppchen zu folgen. „Wie lange soll ich meine Zeit eigentlich noch damit verschwenden, diesen Landstreichern hinterherzuspionieren? Gefährlich sollen die sein, dass ich nicht lache. Senil wird diese alte Kröte. Warum kann sich die alte Vettel nicht einfach selber mit ihren Blitzen in die Unterwelt befördern. Ich habe keine Lust mehr, mich zu verstecken und diesen Trotteln hinterherzulaufen.“
Seufzend macht sie sich daran, hinunter auf die Straße zu klettern. Kaum berührt ihr Fuß den Boden, als ein Neuankömmling am Stadttor ihre Aufmerksamkeit erregt. Den Kerl hatte sie doch im Wald gesehen, als sie nach der Gruppe Ausschau gehalten hatte. „Hätte nicht gedacht, dass der es bis hierher schafft.“ Chumana kann sich ein Lächeln nicht verkneifen. „Aber viel weiter wohl auch nicht, wie mir scheint.“ Gelangweilt schleicht sie der Gruppe hinterher, dreht sich aber nach ein paar Schritten schulterzuckend wieder um. „Was soll’s? Die gehen sowieso zum Meer, auf dieses Langohrenschiff. Ein wenig Abwechslung wird mir gut tun.“
Mit einem aufreizenden Lächeln schlendert sie auf das Stadttor zu. „Entschuldigung?“ Chumana schenkt den Wachleuten ihr verführerischstes Lächeln und einen treuherzigen Blick aus ihren olivgrünen Augen. „Ich bin neu hier in der Stadt und suche eine Unterkunft. Könnt ihr mir vielleicht den Weg zu einem Gasthaus weisen?“ Berechnend stellt sie sich so, dass der Lichtschein der Fackeln auf ihr goldblondes Haar fällt und ihren kaum verhüllten Körper in ein geheimnisvolles Licht- und Schattenspiel taucht. Oh ja, Männer haben wirklich den Verstand von Eseln. Und selbst dieses bisschen setzt beim Anblick einer Frau ganz aus. Das hatte sie schnell gelernt, bei ihren Reisen in die Außenländer ihrer Heimat. Und auch diesmal verfehlt das Spielchen nicht seine Wirkung. Der besinnungslose Mann am Boden ist vergessen. Wie zwei sabbernde Hündchen torkeln sie auf sie zu, bemüht einen starken und wichtigen Eindruck zu erwecken. Was in ihrem Zustand noch lächerlicher wirkt als üblich. Langsam taumeln sie auf sie zu, direkt in ihr Verderben. Mit einem einladenden Lächeln lässt sie es zu, dass einer der beiden den Arm um sie legt.
„N-na Schätz-chen.“ Der Mann stützt sich schwer auf ihre Schultern, um nicht umzufallen. „W-wenn du, al-so, w-wenn du wilscht, d-dann kannste bei mir, ich meine...“
Chumana lächelt aufmunternd und streicht zärtlich mit dem Handrücken über seine Wange.
„Autsch! Du L-luder hast mi-mich ge-gekratzt mit deinem R-ring.“ Der Wachmann torkelt ein paar Schritte zurück und betastet mit den Fingern einen blutigen Riss auf seiner Wange.
„Oh, das tut mir jetzt aber leid.“ Chumana grinst den Wachmann triumphierend an. Der schaut sie einen Moment irritiert an. Dann weiten sich seine Augen entsetzt, er fasst sich an die Kehle und bricht röchelnd zusammen.
„Was ist denn jetzt los?“ Der andere Wachmann schaut fassungslos zu, wie sich sein Kamerad röchelnd im Staub wälzt.
Lächelnd dreht Chumana sich zu dem anderen Wachmann um. „Ich glaube, er verträgt das Gift an meinem Ring nicht.“ Dann rammt sie ihren Wanderstab dem immer noch verdutzten Mann zwischen die Beine. Als dieser sich vor Schmerz zusammenkrümmt, schickt sie ihn mit einem weiteren kräftigen Schlag auf den Kopf ins Reich der Träume. „Männer, bis an die Zähne bewaffnet, aber absolut wehrlos, wenn sie ein paar nackte Beine sehen.“ Zufrieden mit sich zückt sie ihren Dolch, schneidet dem besinnungslosen Wachmann die Kehle durch und nimmt den Geldbeutel des Fremden an sich.
Dann wendet sie sich dem besinnungslosen Fremden zu. Rasch überzeugt sie sich davon, dass er keine schwereren Verletzungen davongetragen hat, dann steckt sie ihm die Geldbörse unter unverständlichem Gemurmel wieder zu.
„Heute ist dein Glückstag, Freundchen.“ Chumana packt den Besinnungslosen am Kragen und schleift ihn hinter sich her. „Du wirst zwar morgen ein paar recht unangenehme Kopfschmerzen haben, aber du wirst überleben.“ Unsanft zerrt sie den regungslosen Körper die Straße entlang. Den wenigen Passanten, die ihr begegnen, schenkt sie ein entschuldigendes Lächeln und macht ein paar Scherze darüber, dass ihr Mann mal wieder zu tief ins Glas geschaut habe und dass er was erleben könne, wenn er wieder nüchtern wäre.
Unbehelligt erreicht sie den Hafen und lässt ihre Last in der Nähe des Langohrenschiffes fallen. Wenn es hell wird, werden die Langohren den Besinnungslosen leicht sehen können, falls dieser Einhornfreund nicht vorher schon über ihn stolpert. Und so wie sie die Langohren und diese nervenden Landstreicher einschätzt, die sie beobachten muss, werden sie sich umgehend um den Unglücklichen kümmern.