Währenddessen im zentralen Wachhaus der Stadtwache...

"Doppelpatrouillen auf allen Routen!" donnert Feldwebel Dranner. "Und wenn ich 'alle' sage, meine ich wirklich alle - auch die, die ihr sonst vermeidet! Die Tore werden geschlossen, und auch hier meine ich alle Tore! Keiner verlässt die Stadt oder kommt herein! Verdoppelte Posten auf den Mauern! Den Hafenbereich abriegeln! Ach - und Urlaubssperre für alle! Sämtliche Wächter haben sich sofort zum Dienst zu melden - egal, was sie gerade anstellen! Ausführung, Soldat!"

Der junge, atemlose Mann, der vor dem Feldwebel steht, salutiert zackig.
"Ja, Herr! Übrigens bin ich Wächter, kein Soldat, Herr!"
Im Gesicht des Feldwebels flackert es kurz. "Wir sind im Ausnahmezustand, Soldat! Wächter werden jetzt zu Soldaten!"

Mit erstaunlich blassem Gesicht salutiert der junge Mann ein weiteres Mal, bevor er hastig seinen Befehlen nachkommt. Kaum ist er verschwunden, fliegt die schwere Holztür auf, die die Wachstube von den Räumlichkeiten des Leutnants trennt, und der grobschlächtige Leutnant kommt hemdsärmelig herein.

"Was ist hier los, Feldwebel? Warum hast du mich wecken lassen? Was hat das Geschrei zu bedeuten?" knurrt er ungehalten.

Der Feldwebel salutiert. "Wir haben zwei weitere Morde, Herr!"
"Soso, wieder zwei, wie?" brummt der Leutnant gähnend und versucht, den Schlaf aus dem Kopf zu schütteln. "Wen hat es diesmal erwischt? Wieder jemanden aus dem Hafenviertel, nehme ich an? Oder den neuen Leuchtturmwärter?"
"Herr, es waren zwei Wächter!" meldet der Feldwebel mit versteinerter Miene.
Auch der Leutnant erstarrt. Der Mord an Bürgern der Stadt war das eine - aber wenn Wächter umgebracht wurden, wurde sofortiges Handeln notwendig. Man durfte nicht erlauben, das irgendjemand die Autorität des Gesetzes derart in Frage stellte. Ein solcher Vorfall konnte und durfte nicht stillschweigend hingenommen werden.

"Die Wachablösung fand Gyldenstern und Rosenkranz am kleinen Tor." fährt der Feldwebel fort. "Der Mord muss erst vor kurzem geschehen sein, denn ihr Blut war noch warm! Beide Männer standen kurz vor der Pensionierung und..."
"Das sentimentale Gefasel will ich nicht hören!" unterbricht ihn der Leutnant, was ein kurzes Zucken im Gesicht des Feldwebels hervorruft. Sichtlich mit der Situation überfordert, greift er sich hilflos an den Hals. "Ja, Feldwebel, dann... veranlasse das Nötige..."
"Ich habe bereits Anweisungen gegeben, den Ausnahmezustand auszurufen! Alle Posten und Patrouillen werden zur Stunde verdoppelt, und die Stadt wird abgeschottet!"
"Sehr gut!" nickt der Leutnant.
"Ich würde weiterhin vorschlagen, die Miliz unter unser Kommando zu stellen, Herr! Wir können die Männer gut gebrauchen, und ich habe sie lieber unter mein... unseren Händen. Womöglich richten sie sonst nur Schaden an und behindern uns bei der Arbeit!"
"Ausgezeichnet!" strahlt der Leutnant, offensichtlich sehr angetan von der Vorstellung, auch noch die Miliz zu befehligen.
"Mir fehlen dazu die Befugnisse, Herr! Vielleicht solltet Ihr mit dem Oberkommandierenden reden, Herr! Nur Offiziere können derartige Unterstützung anfordern! Ihr könntet mir die ordinären Dinge hier vor Ort überlassen und Euch ganz um die wirklich wichtigen Angelegenheiten kümmern - die Miliz übernehmen, den Herzog in Kenntnis setzen und so..."
"Ich weiß, was zu tun ist!" erwidert der Leutnant scharf. Doch der Glanz in seinen Augen zeigt, dass ihm der Vorschlag seines Untergebenen zusagt.
"Feldwebel, während ich mich um das Oberkommando und den Herzog kümmere, hast du hier das Kommando! Kümmere dich um alles Nötige! Na los, Mann, wegtreten!"
Mit einer scharfen Bewegung, die fast den Anschein erweckt, als wäre der Leutnant vor seinem Feldwebel weggetreten, verschwindet der grobschlächtige Vierschroth in seinen Räumlichkeiten. Dumpf fällt die schwere Tür ins Schloss, und Feldwebel Dranner atmet aus.

"Den hast du schön eingewickelt!" lacht ein Gefreiter, der im Hintergrund stand. "'Die wirklich wichtigen Angelegenheiten! So ein Schlitzohr! Er wird tagelang beschäftigt sein, um die Miliz unter sein Kommando zu kriegen! Die wollen sich doch nicht von dem in die Suppe spucken lassen!"

Feldwebel Dranner wirkt müde und abgespannt, als er sich schwer auf den Tisch der Wachstube stützt.
"Vielleicht nicht tagelang, aber wenigstens einige Stunden." seufzt er. "Zeit genug, um Schritte zu unternehmen. Sobald die Morde bekannt geworden sind - und das werden sie -, wird der Mob zum Hafen ziehen. Wenn der Leutnant das Sagen hätte - dann kann keiner mehr für die Sicherheit der Elfen garantieren! Der Mob würde sie samt ihres Schiffes verbrennen, und die Stadtwache würde unter seinem Kommando nur zuschauen!"

Der Gefreite nickt langsam. "Du willst den Hafen abriegeln, um die Elfen zu schützen?"
"Sie sind den meisten hier verhasst, und viele würden sie lieber tot sehen. Schon vorher hat man sie für die Morde verantwortlich machen wollen - und das nicht nur hinter vorgehaltener Hand! Zwei neue Tote, und dann auch noch Wächter - du kennst die Macht des Mobs! Sie brauchen keine Beweise, um jemanden für schuldig zu erklären..."
"Du glaubst nicht, dass es die Elfen waren, nicht wahr?"
Der Feldwebel schüttelt vehement den Kopf.
"Warum sollten sie das tun? Es gibt nicht einen Hinweis, das sie ihre Hände im Spiel haben - und solange es diese nicht gibt, sind sie für mich unschuldig. Ich werde nicht zulassen, dass sie wegen Vorurteilen für Dinge verurteilt werden, die ihnen nicht nachgewiesen werden können! Verdammt, wir sind die Wache! Wir sind nicht nur dazu da, Leute zu verhaften, sondern auch sie zu beschützen!"

Nachdenklich blickt der Gefreite zu seinem Vorgesetzten, der gleichzeitig ein enger Freund von ihm ist. "Nicht alle Wächter sind dieser Meinung!" wirft er ein. "Einige von ihnen würden dem Mob wahrscheinlich liebend gern die Fackeln reichen, mit denen sie die Elfen verbrennen können."

"Ich weiß." seufzt der Feldwebel. "Wir werden nur Leute am Hafen postieren, die verlässlich sind. Und dann können wir nur das Beste hoffen..."
"Du hast den Ausnahmezustand ausgerufen, weil du eine Eskalation verhindern willst, nicht wahr? Weil du die Elfen vor der Wut der aufgebrachten Meute schützen willst, stimmts?"
Der Feldwebel nickt stumm. "Manchmal müssen wir uns auch vor uns selbst schützen. Die beiden Wächter - Gyldenstern und Rosenkranz - sie hatten Familie, nicht wahr?"

Das Gesicht des Gefreiten verzieht sich. "Ja, beide. Rosenkranz hat eine bildhübsche Tochter und zwei wunderschöne Enkelkinder. Seine Frau arbeitet in der Wäscherei. Und Gyldenstern hat zwei Söhne, und seine Frau macht den Haushalt."
"Hat sie schon jemand informiert?"
"Dazu war noch keine Zeit - meine Güte, es ist eben erst passiert!"

Der Feldwebel seufzt erneut und lässt die Schultern hängen. "Jemand muss es ihnen sagen. Ich schätze, das bleibt wieder mal an mir hängen. Aber besser, sie erfahren es durch die Wache als durch den Mob..."