Langsam schreitet Pizzio �ber den dicken Wollteppich hin und her wie ein gefangener Tiger. Sein modisch geflochtenes, langes, schwarzes Haar weht bei jeder Kehre wie ein dunkler Schatten hinter ihm her und verleiht ihm ein theatralisches Auftreten. Nur schwerlich kann er seine Ungeduld z�geln.
Das Oberhaupt der alten H�ndlerfamilie Stoerrebrand - von allen nur hochachtungsvoll �die Chefin� genannt - betrachtet den cholerischen jungen Mann aus alten und weisen Augen, die sich hinter zahlreichen Runzeln und st�rrischen grauen Haarstr�hnen zu verstecken scheinen. Doch schon h�ufig war sie wegen ihres Alters oder ihres gutm�tigen Aussehens untersch�tzt worden und hatte so nicht zuletzt mit einigen klugen Gesch�ften den beruhigenden Wohlstand der Familie sichern k�nnen.
"Ich will aber, dass sie nur mich liebt! Ich habe gen�gend Geld. Selbst ihr Vater hat meinen Antrag akzeptiert, weil er wei�, dass ich f�r mich und meine zuk�nftige Familie sorgen kann. Sie soll nur f�r mich da sein, meine Kinder geb�ren und erziehen, meinen Hausstand f�hren. Ich kann ihr drei Paar Schuhe kaufen und wenn sie will sogar ein seidenes Gewand. Sie muss nicht ins Armenhaus gehen und sie muss auch nicht im Siechenhaus Verb�nde wechseln und Stirnen k�hlen!", poltert Pizzio los und starrt Selmia Stoerrebrand aufm�pfig an.
Der eisige Blick ihrer blauen Augen l�sst ihn in seiner Tirade innehalten und den Blick senken. Zwar beginnt auch in diesem Hause das Tageswerk schon fr�h, doch noch liegt eine gesch�ftige Morgenruhe �ber dem Haus und nur ein paar flei�ige gute Geister bereiteten die erste Mahlzeit des Tages vor. In einer entschuldigenden Geste hebt Pizzio die goldberingte Hand und wirft sich dann vor dem mit reichen Schnitzereien verzierten Holzsessel der alten Dame auf die Knie.
Mit gesenkter Stimme aber nicht weniger eindringlich f�hrt er fort:"Ich liebe Sanibanda und ich w�rde mein Leben f�r die geben! Ihr werdet mir doch sicher zustimmen, dass es viel zu gef�hrlich f�r sie ist, regelm��ig ins Siechenhaus oder gar zur Suppenk�che in den Hafen zu gehen. Sie ist Eure Enkelin! So redet doch mit ihr und �berzeugt sie, mich zu ehelichen und all ihren unsinnigen �Taten der Barmherzigkeit� abzuschw�ren!".
Selmia Stoerrebrand blickt nachdenklich auf den hei�bl�tigen jungen Mann. Ihre Enkelin Sanibanda ist weder besonders sch�n noch klug, aber sie hat ein weiches, hilfsbereites Herz. In den Armen dieses ich-bezogenen, materialistischen Mannes w�rde das M�dchen niemals gl�cklich werden, aber die Heirat w�re ein gutes Band zwischen ihrer Familie und jener der Schnapper. Nachdenklich rollt sie ein Band ihres dunkelroten Kleides ein und wieder aus. Nein, die Familie stand immer noch �ber dem Gesch�ft. Zwingen w�rde sie Sanibanda nicht, aber noch einmal mit ihr reden vielleicht? Wie konnte sie den anscheinend in hei�er Liebe entflammten J�ngling abweisen, ohne die Familie Schnapper und insbesondere den alten Treibmich zu ver�rgern?
"Chefin!"
Der Griff an ihre schwielen�berzogene Hand schreckt sie auf.
"Ich werde gleich mit Sanibanda reden, das verspreche ich dir, Pizzio", antwortet sie dem jungen Mann mit den leuchtenden schwarzen Augen ausweichend. "Aber ich kann sie zu nichts zwingen. Wo bleibt sie �berhaupt? Man sieht schon die ersten Sonnenstrahlen und ich h�re sie noch gar nicht drau�en beim Federvieh singen. Sie wird doch nicht verschlafen haben?".
Mit einer raschen Bewegung zieht sie an der unauff�llig angebrachten Klingelschnur neben ihrem Sessel. Sofort eilt ein einfach, aber korrekt gekleidetes M�dchen ins Zimmer und knickst vor der alten Dame. Auch wenn sich die Hausangestellte bem�ht, den Blick gehorsam zu Boden zu richten, so kann sie einen bewundernden Blick auf den fr�hen Gast nicht vermeiden.
"Bitte geh und schau nach Sanibanda, Lieschen! Sie hat wohl verschlafen und soll schleunigst bei Tisch erscheinen. Die Sonne geht schon auf!". Der Tadel in ihrer Stimme f�r die Enkelin ist nicht zu �berh�ren.
Die Bedienstete knickst noch einmal und eilt dann aus dem Raum.
"Nun, Pizzio Ruino Schnapper. Ich kann dich nur bitten dich zu gedulden, bis Sanibanda eine endg�ltige Entscheidung getroffen hat. Sie ist ein junges und gutm�tiges Ding. Lass ihr doch das Gef�hl, etwas Gutes f�r ihre Mitmenschen zu tun. Sie ist bei allen Leuten hier im Viertel und selbst bei den Armen am Hafen sehr beliebt. Niemand w�rde ihr etwas zuleide tun. Vielleicht muss ihre Arbeit ja nicht unbedingt im Hafen oder im Siechenhaus liegen, aber ..."
Ein gellender Schrei zerrei�t in diesem Moment die Morgenstille. Selmia Stoerrebrand und Pizzio springen auf und eilen in den benachbarten Flur, der alle Zimmer des Untergeschosses miteinander verbindet und die nach oben zu den Schlafzimmern f�hrende Treppe enth�lt. Noch immer gellt der ohrenbet�ubende Laut durch das Haus. Ehe auch nur einer der herbeieilenden Hausbewohner reagieren kann, rennt Lieschen die obersten Treppenstufen hinab, bleibt in ihrer Panik in ihrer Sch�rze h�ngen und st�rzt als schreiender, um sich schlagender Ball die steile Holztreppe hinab in die Tiefe.
F�r einen kurzen Augenblick herrscht eine atemlose Stille. Dann setzt ein apokalyptischer L�rm aus Schreien, Weinen, Fluchen, R�cheln, Jammern und w�sten Anschuldigungen ein. Selbst Selmia Stoerrebrand gelingt es nicht, sich Geh�r zu verschaffen.
W�hrend sich ein anderes Hausm�dchen �ber Lieschen wirft und ihr panikverzerrtes, bleiches Gesicht mit Tr�nen benetzt, boxt sich Pizzio r�cksichtslos durch die Hausbewohner und st�rmt die Treppe nach oben. Ungeachtet jeglicher Sitte und Erziehung rei�t er im oberen Flur jede T�r auf, bis er Sanibandas Zimmer endlich findet. Die Leiche seiner Geliebten liegt in einer angetrockneten Blutlache in der wei�en Spitzenbettw�sche. Gesicht, H�nde und Brust sind mit einem Messer w�st zerschnitten worden und auch der �brige K�rper ist mit Stichen �bers�t. Die wenigen Haare, die nicht blutverklebt sind, flattern im leichten Windhauch, der vom offenen Fenster ausgeht.
"NEIN!!!"
Mit einem geradezu animalischen Wutschrei rennt Pizzio in das Zimmer. "Nein, nein, nein, nein!!!". Seine Fassungslosigkeit l�sst ihn wie betrunken durch den Raum torkeln, er ist zu keinem klaren Gedanken f�hig. Bestimmt ist dies alles nur ein Trick, eine letzte Pr�fung seiner Liebe! Gleich w�rde sie aufstehen, ihn auslachen und ihn endlich als Angetrauten akzeptieren. NEIN!!!
Pizzio wirft sich vor dem Bett zu Boden und lauscht auf ihre Atemz�ge, r�ttelt vorsichtig an ihrer Hand, legt ihr die Hand auf die zerfetzte Brust. Kalt! Wie kalt sie ist! Kalt wie der Tod! Und ihre Augen, kalt und halb geschlossen. Geradezu teuflisch scheint sie unter den halbgeschlossenen Lidern hervorzublitzen. NEIN!!!!! Das ist nicht Sanibanda! Mit r�chelnden, schmerzhaft brennenden Atemz�gen bricht Pizzio am Bett zusammen, viel zu verzweifelt zum Weinen.
Inzwischen sind Selmia Stoerrebrand, ihr Sohn und Sanibandas Vater Kalus sowie zahlreiche weitere Hausbewohner ins Obergeschoss geeilt. Auf ein Zeichen hin bleiben sie jedoch alle fl�sternd und tuschelnd im Flur zur�ck und lassen Selmia alleine das Zimmer ihrer Enkelin betreten.
Als das Familienoberhaupt die misshandelte Leiche ihrer Enkelin sieht, erbleicht sie und muss all ihre Kraft zusammen nehmen, um weiterhin einen Fu� vor den anderen zu setzen. Langsam n�hert sei sich Pizzio und legt dem zusammengesunkenen Mann ihre Hand auf die Schulter. Wie soll sei Trost spenden, wo sie selbst keine Worte hat und ihr der Ekel fast den Atem raubt? Das soll ihre Enkelin sein?
"Komm", kann sie endlich hervorquetschen. "Wir m�ssen hier weg und die Wachen rufen. Komm!".
Pizzio springt auf. "Die Wachen? Was sollen die Wachen hier machen? Schon seit Tagen gibt es in jeder Nacht Tote und was tun die Wachen? Nichts! Die Schmuggler bewachen, ehrliche Leute drangsalieren. Die Wachen!? Pah!". Haare und Oberhemd blutbesudelt spuckt Pizzio auf den Boden. Trauer und Wut haben in ihm jeden klaren Gedanken ausgel�scht und nur noch der Wunsch nach Rache, nach weiterem Blut liegt in seinem Blick.
"Wir wissen doch ganz genau, wer daf�r verantwortlich ist!", schreit er dann in tiefster Verzweiflung und Rachsucht.
Gegen den Protest der alten Dame, die er unsanft beiseite schiebt, nimmt er den geschundenen K�rper seiner Geliebten wie den eines Kindes in den Arm und tr�gt ihn auf die Empore und vor die Haust�r. Niemand traut sich, sich seiner Wut in den Weg zu stellen, jedoch bleiben die Hausbewohner dicht hinter ihm.
Auf der Stra�e hat sich schon l�ngst ein Menschenauflauf gebildet und verlangt zu wissen, was geschehen ist. Als sich Pizzio mit der Leiche Sanibandas auf dem kleinen Vorplatz zeigt, geht ein Aufschrei durch die Menge. Jeder will vorne stehen, um genau zu erfahren, was passiert ist, und wer die Leiche aus der N�he gesehen hat, w�nschte, er w�re weiter hinten geblieben.
"Diesmal sind die Elfen zu weit gegangen!", dr�hnt Pizzio. "Gesindel im Hafen, Huren, Abschaum zu t�ten, ist das eine. Aber hier ist die edle Sanibanda get�tet worden. Ihr alle kennt sie als gutes, hilfsbereites M�dchen. Sie wollte meine Frau werden. Und nun haben diese Bastarde sie get�tet! Handelbeziehung und Toleranz, ich h�re das leere Gerede der Oberen, aber k�nnen wir Menschen uns das bieten lassen? Die Oberen stecken doch mit den Spitzohren unter einer Decke! Wieso sonst sind die Morde der letzten Wochen immer noch nicht aufgekl�rt?"
"Dann kl�ren wir sie eben auf!", schreit eine Stimme in der Menge. Zustimmendes Gemurmel l�uft durch die Masse, die immer gr��er wird und inzwischen die gesamte Stra�e verstopft. F�uste werden gereckt und rhythmisch in die Luft gesto�en. Das Gemurmel geht in Geschrei �ber.
"Ruhe, Leute, Ruhe!", versucht Selmia Stoerrebrand die Vernunft in den K�pfen der Menschen zu beschw�ren. Aber derzeit regieren allein die rachs�chtigen Herzen der Masse, in denen sich seit Jahren jede empfundene Ungerechtigkeit, Neid und Hass auf alles Fremde angestaut hat.
"Rache!", br�llt Pizzio und "Rache!", antwortet die Menge. Selbst die Frauen stimmen in das Gebr�ll mit ein und mit der Leiche im Arm schreitet Pizzio flankiert von Kalus und Sanibandas Br�dern in Richtung des Magistrats.
Pl�tzlich ist ein schriller Pfiff zu h�ren.
"Anhalten! Ruhe! Was soll dieser Aufruhr hier? B�rger geht nach Hause und an eure Arbeit!", schreit ein leichtsinniger W�chter in die Menge.
"Ihr feiges W�chterpack! Klar, wir sollen uns verdr�cken und euch weiterhin das Gold der Elfen �berlassen. Und wir bezahlen mit unserem Blut daf�r!", erklingt eine Stimme.
Bei dem Versuch der Hintenstehenden, besser zu sehen, was vorne vor sich geht, wird der spitzb�rtige Sprecher von einem fetten Ochsenschl�chter gegen den sich immernoch drohend aufbauenden W�chter gerempelt. Sein junger Kamerad zieht in Panik einen Dolch und droht damit der umstehenden Menge. Ehe er sich versieht ist er von hinten �berw�ltigt worden und auch sein Streifenkollege geht in den w�sten Schl�gen des Mobs unter. Das Ger�cht vom Elfengold, das der Wache gezahlt wird, damit sie die Verbrechen der Langohren deckt, macht blitzschnell die Runde. Bald schon macht der Mob gezielt Jagd auf einzelne W�chterstreifen.
Pizzio und seine Gefolgschaft kommen immer langsamer voran, halten jedoch zielstrebig auf das Magistrat zu. Inzwischen brennt das Feuer des Wahnsinns in den Augen des jungen H�ndlersohnes.
Last edited by LuSer; 02/02/06 09:07 AM.