Alrik sieht sich suchend um – diese Kiste da, fast mannshoch, könnte ein gutes Versteck sein. Sie wird umrahmt von zwei weiteren sehr großen Kisten und der Kellerwand auf einer Seite. In der Mitte, in dem kleinen Hohlraum zwischen ihnen, ist genug Platz für ein Versteck. Alrik kriecht in den Hohlraum hinein, und zieht eine kleinere Kiste hinter sich, um den Zugang zu verbarrikadieren.

Gerade, als Alrik sich dort niederlassen will, sieht er eine liegende Person. Ist sie tot oder lebendig ? fragt er sich, als er sie näher in den Augenschein nimmt, um dies festzustellen.

Hinter der gerade geschobenen Kiste auf der anderen Seite des Kellers ist leises Fluchen zu hören.

Dunkelheit. Undurchdringliche Dunkelheit umgibt sie. Bedrohlich scheinen die Schatten um sie herum zu lauern. Und dann zeichnen sich vor ihr zwei unwirkliche Gebilde in der unendlichen Finsternis ab. Zwei ineinander verschachtelte Pyramiden, die eine schwarz, die andere Weiß bilden einen seltsam unwirklich erscheinenden Stern. Unwillkürlich zuckt sie vor dem merkwürdigen Gebilde zurück. Ohne zu sagen warum, erscheint es ihr noch erschreckender als die Schatten um sie herum. Und dann ist da noch das bedrohliche Gefühl nicht alleine zu sein...

Nicht allein. Schlagartig wird sie wach und setzt sich auf. Gegenüber im Zwielicht steht ein Person und schaut auf sie herunter. Es dauert einige Sekunden, bis sich ihre Augen an das Zwielicht im Lagerraum gewöhnen. Überrascht stellt sich fest, das sie einen aus der Gruppe vor sich hat. Den Einhornfreund, wie sie erleichtert feststellt. Mit dem würde sie leichtes Spiel haben, wenn es drauf ankam. Hoffentlich waren nicht auch noch die anderen in der Nähe. Auf eine nähere Bekanntschaft mit dem Drachen konnte sie dankend verzichten.

Alrik erschrickt leicht, als sich die Person plötzlich und unerwartet aufrichtet. Nachdem er sich gefasst hat, flüstert er lakonisch: „So, du bist also lebendig. Immerhin etwas. Das konnte ich dir nicht ansehen. Wer bist du ?“

Einen Moment starrt Chumana ihn einfach nur an. Dann wird ihr das Fluchen auf der anderen Kellerseite bewusst. „Wer ist das?“ flüstert sie und greift instinktiv nach ihrem Stab.

„Das weiß ich selbst nicht. Irgendwer oder irgendetwas schiebt da eine Kiste vor sich her. Ich wollte mich hier davor verstecken – solange, bis ich weiß, wer oder was da hervorkommt. Ich weiß also nicht mehr als du,“ flüstert Alrik zurück.

„Langsam habe ich die Nase voll von Überraschungen und Fremdlingen“ murmelt Chumana vor sich hin und ist mit wenigen Schritten neben Alrik. Vorsichtig lugt sie durch den schmalen Spalt hinüber zur anderen Kellerseite. Ein älterer Mann schlurft hinter der verschobenen Kiste aus einem Loch im Keller hervor. Sein Gang ist leicht gebückt, seine Kleidung unauffällig. Waffen kann sie auf den ersten Blick keine erkennen. Vor sich hin fluchend geht er Richtung Kellertreppe.

„Hey Freundchen? Was treibst du hier?“ Wütend stößt Chumana die kleine Kiste beiseite und tritt in den Lagerraum hinaus. „Was ist das für ein Loch da in der Wand?“ Schmunzelnd sieht sie zu, wie der Fremde fluchtartig versucht die Kellertreppe zu erreichen. Sie hebt die Hand und murmelt etwas in einer fremden Sprache vor sich hin. Mit einem Aufschrei taumelt der Mann vor der Treppe zurück, auf der sich auf einmal unzählige Schlangen tummeln. „Versuchs erst gar nicht, Alter. Und jetzt beantworte mir gefälligst meine Fragen.“

Der Alte taumelt mit vor Schreck geweiteten Augen zurück. „Schlangen ! Ich hasse Schlangen !“ Dann wendet er sich der jungen Frau zu, die dort hinten mit einem Stab in ihrer Hand steht. „Nehmt sie weg, bitte ! Ich kann sie nicht ausstehen !“

„Erst beantwortest du mir mal meine Fragen. Dann werde ich sie vielleicht wieder wegnehmen. Aber wage es ja nicht mich anzulügen. Denn dann werde ich dafür sorgen, das Schlangen das Letzte in deinem Leben sind, was du zu sehen bekommst.“

„Uh.“ Der alte Mann schluckt hörbar. „Gut. Ich werde alles sagen.
Ich bin hier, weil das Loch da ist. Und das Loch da ist da, weil da drin unsere Sachen lagern. Stinkendes Zeug. Mag ich gar nicht. Aber wir leben davon. Ich zumindest.“

„Stinkendes Zeug ?“ fragt Alrik, der langsam herangekommen ist. „Ich erinnere mich, eine penetrant riechende Fuhre gesehen zu haben, auf einem Esel und einer Handkarre. Seid ihr Schmuggler ?“

Der Alte zögert. „Jaa,“ antwortet er gedehnt. Ich geb’s zu. Will sowieso mit dem Zeug aufhören. Zu viel Gestank und zuwenig Gewinn. Mir geben sie sowieso nicht genug ab. Mir soll’s recht sein, wenn sie auffliegen.“

„Schmuggler also ? Hm ...“ antwortet Alrik. „Was wäre, wenn wir dir dabei helfen könnten, auszusteigen ? Was weißt du noch ?“

„Ich weiß nicht viel. Ich werde nie in den ganzen Kram eingeweiht. Den ganzen Transport und die Bestechungen haben immer die anderen gemacht. Ich war immer nur hier.“

„Ist da sonst noch jemand in dem Loch ?“ hakt Alrik nach.

„Nein. Ich war der letzte. Die anderen sind schon lange weg. Ich bin immer der letzte. Noch ein Grund, warum ich aufhören will. Ich will nicht der Letzte sein.“

Interessiert verfolgt Chumana das Gespräch zwischen dem Schmuggler und Alrik. Bei dem Satz, „Was wäre, wenn wir dir dabei helfen könnten, auszusteigen?“ Zuckt sie zusammen und wirft Alrik einen abweisenden Blick zu. Helfen? Warum sollte sie diesem Trottel helfen. Da kommt für sie doch nichts bei rum. Überhaupt, das ganze fängt an sie zu langweilen.

„Was soll das Gejammer, Alter?“ Ärgerlich unterbricht sie das Gespräch zwischen den Beiden. „Wenn du aussteigen willst, dann tu es doch einfach. Was hindert dich denn daran?“

„Ups,“ macht der Alte, „also, wenn ich könnte ... aber sie lassen mich nicht. Sagen, sie bräuchten so jemanden wie mich. Als Aufpasser. Also kann ich nicht.“

Chumana sieht den Alten fassungslos an. „Wenn du nicht willst, dann geh einfach. Ich kann beim besten Willen dein Problem nicht verstehen.“ Männer, denkt sie bei sich. Wann werden sie lernen, eigenständig zu denken?

Der Alte denkt nach. In der Stille sind fernab Stimmen und leises Geschrei zu hören. „Na gut, dann höre ich morgen ganz einfach auf. Ja, das ist es. Ich komme ganz einfach nicht mehr. Solln sie doch machen, was sie wollen !“ Seine Stimme wird fester, als er das sagt.

„Kannst du jetzt diese grässlichen Schlangen wegtun, junge Frau ?“

Chumana zuckt nur mit den Schultern. „Welche Schlangen? Da sind keine Schlangen und waren es auch nie.“

Der Alte seufzt vor Erleichterung. „Dann kann ich ja endlich gehen.“ Fügt er hinzu. „ich bin frei.“
Dann inspiziert er noch mal die Treppenstufen, um auch wirklich sicher zu gehen, dass da nichts ist, und geht dann die Treppe hinauf. Sekunden später ist der Alte verschwunden.