Beim Anblick der ins Wasser stürzenden Menschen zuckt Lurekar zusammen, aber nach einigen Momenten setzt er die Bända an den Mund und fängt an zu spielen, den Blick aus dem Fenster gewandt. Alles andere um ihn herum scheint er nicht mehr zu beachten.

Erstaunt und irritiert wenden die im Hafen versammelten Menschen die Köpfe, als plötzlich eigenartige Klänge laut vom Elfenschiff herüberdringen. Ein erster, fast unangenehm schriller Ton geht rasch in eine harmonische Tonfolge über, so als wolle er nur die Aufmerksamkeit aller auf die Musik ziehen, die wie von mehreren klaren Stimmen vorgetragen und von Flöten begleitet klingt.

Die Marktfrau inmitten der Menge lauscht gebannt. So etwas hat sie noch nie gehört. Ist das etwa elfischer Gesang? Er hört sich so rein an, so gänzlich frei von allen bösen Gedanken. Bilder entstehen vor ihren Augen, Bilder eines nahezu unberührten Waldes, die sich sanft über die umstehenden Menschen legen, ohne sie richtig zu verdecken. Das Rauschen der Wipfel ist in der verführerisch schönen Musik ebenso zu hören wie das vergnügte Zwitschern der Vögel, die voller Lebenslust auf den von warmen Sonnenstrahlen durchfluteten Lichtungen Fangen spielen. Selbst das leise Trommeln, das allmählich lauter wird, steht in perfektem Einklang mit dem Wald. Es stellt sich als das Hufgetrappel schneeweißer Pferde heraus, die mit schlanken, spitzohrigen Reitern in langen, feinen Gewändern durch den Wald preschen. Sind das die Sänger und Flötenspieler?

Fasziniert folgt die Marktfrau ihnen mit den Blicken einen schmalen Waldweg entlang, während die Musik schneller und mitreißender wird. Zarte Klänge locken die Waldtiere an den Wegrand, wo sie den Reitern vertrauensvoll, fast lächelnd, entgegenblicken. Zu den lieblich trällernden Stimmen stellen sich einige kleinere Tiere auf die Hinterpfoten, während einer der Reiter ihnen gütig etwas Futter hinwirft. Anmut und Eleganz der Reiter finden in den geschwinden, erhabenen Tonfolgen ihr ideales Gegenstück. Unwillkürlich wippt die Frau mit den Beinen.

So flink sind die Reiter, dass das Auge ihnen nicht lange folgen kann. Das trommelnde Trappeln wird leiser, die hohen Stimmen treten deutlicher hervor und verbreiten eine herrlich erfüllende, luftige Klarheit. Immer höher schrauben sie sich, und immer weiter entfernt sich das Bild vom Boden. Kräftiger Hörnerschall treibt den Blick von der Weite des Waldes zu den Zinnen des Elfenschlosses, das sich mit schmalen rosa Zinnen und spitzen, hellblauen Türmen vor der Sonne wie eine funkelnde Krone über die Bäume erhebt. Die jubelnden Triller der zauberhaft Singenden lassen die farbenfrohen Fahnen flattern, und wie auf Adlerschwingen gleiten die Augen der Betrachterin auf das prachtvolle Schloss zu.

Vergnügtes, sorgenfreies Lachen mischt sich in die hellen Stimmen, als sich das Tor zum großen Saal öffnet, in dem Harfen- und Flötenspieler zum Tanz aufspielen. Elfen in feschen, golden glänzenden Kniebundhosen und weißen Rüschenhemden verneigen sich vor Elfinnen in pastellfarbenen Kostümen, um sie beschwingt durch den Saal zu führen, ganz versunken in die himmlischen Weisen der Musiker. Wie können solche Wesen etwas Böses im Schilde führen? Beschämt senkt die Marktfrau den Kopf. Sie hätte sich der Menge nicht anschließen sollen. Im Grunde hasst sie die Elfen nicht, sie ist höchstens neidisch auf ihre Fähigkeiten, das erkennt sie jetzt. Sie sollte nach Hause gehen. Hier hat sie nichts mehr verloren.

Nur wie durch einen Schleier bekommt sie mit, dass sich ein Teil der Menge beruhigt und mit verklärtem Blick in die Luft starrt. Nicht weit von ihr entfernt bricht ein Mädchen sogar in Tränen aus und schluchzt: „Oh Vater, wie konnte ich mich bloß gegen dich stellen!“

Der rotbärtige Mann vorne in der Menge erlebt die Musik ganz anders. Die süßlichen Lieder der Elfen, die vom Schiff herüberdringen, klingen in seinen Ohren wie ein Spottgesang. Für ihn zeichnen sich nur blass und kaum wahrnehmbar Bilder in der Luft ab, und er wischt sie ganz fort, indem er sich kräftig die Augen reibt. „Vorsicht, ein Elfenzauber!“, ruft er warnend, aber bis auf seine Freunde scheinen ihn nur wenige zu hören. Selbst viele der Stadtwachen starren entrückt ins Leere. „Hilf mir, sie wachzurütteln, Yaka!“, schreit Gyldensterns Sohn, und der Rotbärtige packt ebenfalls einen der Umstehenden an der Schulter. Außer einem missmutigen Brummen ist ihm aber nicht viel zu entlocken.

Ein beklemmendes Gefühl beschleicht Yaka, als er das Trommeln der Pferdehufe vernimmt. Haben die verdammten Spitzohren auf ihrem Schiff etwa auch Gäule? Kommen sie gleich von Bord geritten? Oder ahmen sie die Geräusche nur täuschend echt nach? Ja, das muss es sein, es ist alles Teil dieser einlullenden elfischen Illusion. Durch Aufbietung seiner Willenskraft verdrängt er das undeutliche Bild der zum Krieg gerüsteten, angriffslustigen Reiter. Wie kann man die Elfen bloß zwingen, mit diesem grässlichen Gesang aufzuhören? Yaka hält sich die Ohren zu. Die Musik ist nur noch gedämpft zu hören, aber den Opfern in der Nähe hilft das natürlich nicht. Kurz entschlossen hält er dem Mann neben sich die Ohren zu. Dieser schüttelt seine Hände jedoch unwillig ab. Die elfische Magie muss ihn bereits verseucht haben.

Angst erfasst Yaka beim Erklingen der Hörner. Blasen die Elfen zur Jagd auf die Menschen? Nein, sie singen weiter. Ihr ekelhaft gellendes Gewimmer macht ihn wütend, noch wütender als zuvor. „Das werdet ihr alles büßen!“, schreit er und stimmt wieder die Parole „Tod dem Elfenpack!“ an, aber lediglich eine kleine Schar ruft mit.

Das Einsetzen der Tanzmusik überrascht den rotbärtigen Mann. Wie passt ein solcher Tanz zu den niederträchtigen Absichten der Elfen? Bilder von nackter weiblicher Haut drängen sich ihm auf, und er gibt ein wenig nach. Doch dann sieht er es: Zur Tanzmusik vergnügen sich diese widerwärtig lüsternen Elfen an Bord mit den menschlichen Sklavinnen, die sie in der Stadt gemacht haben! „Neeeeein!“, brüllt er, ein Auge noch dem schändlichen Treiben zugewandt, „Ihr elendes Rattenpack. Dafür sollt ihr sterben, sterben, sterben!“