Wie glücklich ihre Mutter aussieht. So friedlich und zufrieden. Keine Spur mehr von dem ständigen gehetzten, misstrauischen Blick, den sie im Leben immer hatte, während sie unablässig die Umgebung beobachtete. Und dann war es die einzige Person, der sie je vertraut hatte, die ihr Leben hinterhältig und eigennützig ausgelöscht hatte. Wie viele Jahre hatte sie, Chumana, daraufhin in Una’s Haus verbracht, ohne je merken zu lassen, das sie um deren Geheimnis wusste. Und wie unwichtig erschien ihr das alles jetzt. Ihre Angst, ihre Wut, ihre Rachegedanken und alle ihre geheimen Aktivitäten, um sich heimlich mehr Wissen und Macht anzueignen. All das verblasst an diesem Ort. Hier gibt es nur Licht und Wärme.

Glücklich spürt sie, wie sich der vertraute Körper der Riesenkobra an ihr hoch windet. Die Zunge Chuma’s streichelt ihr über Stirn und Wangen. Mit leisen Zischen wird sie von der alten Gefährtin begrüßt. Aber deren Worte machen keinen Sinn für Chumana. Warum soll sie zurückgehen und diesen stillen, friedvollen Ort verlassen?

Hilfesuchend schaut sie zu ihrer Mutter. Doch diese schüttelt nur lächelnd den Kopf. „Du hast noch etwas zu erledigen, bevor du bei uns sein kannst.“

„Du musst bald eine Entscheidung treffen, die maßgeblich für den weiteren Verlauf deines Lebens sein wird.“ Das vertraute Zischen ihrer Vertrauten, wie sehr hatte sie es in den letzten Monaten vermisst.

Plötzlich wird sie von einer magischen Kraft erfasst und von diesem friedlichen Ort weggerissen. Ein scharfes Zischen dringt an ihr Ohr. „Komm zurück, Schlangenmädchen, dies ist die falsche Zeit“

Verzweifelt wehrt sie sich gegen diese Macht. Sie will zurück an diesen Ort, an dem nichts mehr von Bedeutung ist. Doch eine weitere Macht gesellt sich dazu und reißt sie immer weiter zurück. Diese Macht kennt sie, das ist die Magie des Amuletts von diesem Einhornfreund. Mit aller Macht sträubt sie sich dagegen, klammert sich an den dunklen, kalten Ort, an dem sie jetzt ist und sucht den Weg zurück ins Licht.

Und dann dringt eine weitere Kraft zu ihr vor. Sanft und warm. Wie ein Streicheln auf ihrer Seele. Ein flüsterndes Versprechen von den vielen schönen Dingen, die im Leben noch auf sie warten. Neugierig folgt sie schließlich dieser sanften Verlockung. Lässt sich von ihr durch die Finsternis führen, immer weiter weg von dem Hort des Friedens. Hin zu einem anderen, viel trüberen und lauteren Ort...

Hustend und würgend erwacht Chumana. Ihre Glieder schmerzen vor Kälte und ihre Lungen brennen. Gierig atmet sie die frische Seeluft ein. Vorsichtig richtet sie sich ein wenig auf und schlingt zitternd die Arme um die angezogenen Knie, um sich zu wärmen. Was ist passiert?

Langsam schleicht sich die Erinnerung in ihr Bewusstsein. Der Keller, Alrik, der Mob. Der Betrunkene, der Alrik gestoßen hatte. Alrik, der stürzend nach ihrem Arm gegriffen hatte und sie mitriss. Die Kälte und Dunkelheit des Wassers. Die Wärme und Geborgenheit, die sie umgeben hatte und wie grausam sie wieder herausgerissen wurde.

Vorsichtig schüttelt sie den Kopf um die Benommenheit loszuwerden und schaut sich dann um. Sie ist auf dem Elfenschiff und die anderen Unglücksvögel, die im Hafenbecken landeten anscheinend auch. Ein Elf versorgt die nassen und frierenden Personen mit Decken, ein anderer kümmert sich um zwei am Boden liegende Personen.

Sie sieht Alrik, mit einer Decke um der Schulter neben dem jungen Krieger aus der Gruppe stehen. Auch er ist tropfnass und in eine Decke gehüllt. Wie ist der denn ins Wasser gekommen, fragt sie sich verwundert. Ist er etwa reingesprungen um den anderen zu helfen? Welchen Nutzen hat er denn davon?

Dann fällt ihr Blick auf die völlig erschöpfte Elfe, die neben ihr auf dem Boden hockt. Instinktiv streckt sie den Arm nach ihr aus und berührt ihren Arm. Sie spürt die gleiche warme Ausstrahlung, die sie letztlich zurückgeführt hat. Sie scheint ihre gesamte Energie darauf verwendet zu haben.

Warum tut sie das? Warum hilft sie ihr und verschwendet ihre ganze Energie an eine Fremde?

Ein merkwürdiges, unbekanntes Gefühl schnürt ihr die Kehle zu. Sie muss mehrmals schlucken, bevor sie endlich hervorwürgen kann: „Geht es euch gut?“

Misstrauisch wartet sie auf die Antwort. Wird die Elfe eine Gegenleistung von ihr fordern? Oder hat sie ihr tatsächlich ohne den geringsten Eigennutzen geholfen. Wieder steigt dieses merkwürdige Gefühl in ihr auf, das sie nicht zu benennen vermag.