"Wir sind nicht hier, um uns zu amüsieren!" zischt der Rotbärtige brodelnd vor Zorn. "Die Elfen ziehen mordend durch die Stadt, und deswegen werden wir das tun, was die Wache schon längst hätte tun sollen!"
"Die Wache hat noch nie einen Elfen durch die Stadt ziehen sehen, es sei denn auf dem Weg zu einem offiziellen Treffen und unter unserem Geleit." entgegnet Dranner ruhig.
"Ha!" macht der Rotbärtige, "als würde die Wache noch irgendwas bewirken können! Das Elfenpack macht doch, was es will, und tanzt der Wache auf der Nase rum!"
"Willst du damit andeuten, dass die Wache keinen Nutzen mehr für Rechem hat?" Der zuckersüße Tonfall Dranners lässt selbst in dem erregten Rotbärtigen die Alarmglocken klingen, so dass er vorübergehend auf eine Erwiderung verzichtet und den Wächter nur haßerfüllt anblickt.
"Und was ist mit dir, junger Gyldenstern? Dein Vater war ein guter Wächter!" Dranner versucht, möglichst überzeugend zu klingen. Er hat eine ungefähre Vorstellung, welcher Art die Nebeneinkünfte waren, die Gyldenstern und Rosenkranz hatten. Doch jetzt ist nicht der geeignete Zeitpunkt, ausgerechnet darauf hinzuweisen, zumal es die Wache nicht unbedingt in besserem Licht dastehen lassen würde.
Ich muss sie von der Ernsthaftigkeit der Wache überzeugen! Gütige Götter, lass sie mir genauso leicht Gehör schenken wie den Aufwieglern! durchzuckt es den Feldwebel. Er legt dem bleichen Jüngling, dem der Trotz und der Schmerz noch immer aus den Augen sprechen, die Hand auf die Schulter.
"Er und Rosenkranz sind nicht von Elfen getötet worden – darauf hast du mein Wort! Die Wache wird alles daransetzen, um die Täter zu stellen! Aber gerade eben lachen sich die Mörder ins Fäustchen, denn indem wir hier stehen und die Falschen beschuldigen, vertrödeln wir wertvolle Zeit! Zeit, die die Täter nutzen können, um ihrer gerechten Strafe zu entkommen!"
"Hör nicht auf ihn!" zischt erneut der Rotbärtige, der den warnenden Tonfall schon wieder vergessen zu haben scheint. "Das Elfenpack war’s! Er ist nur ein Wächter und steckt mit ihnen unter einer Decke!"
"Mein Vater war auch ein Wächter." sagt Gyldensterns Sohn langsam, den Blick starr geradeaus in weite Ferne gerichtet und jedes einzelne Wort betonend.
Falsches Argument, Rotschopf! triumphiert Dranner innerlich.
"Gyldenstern und Rosenkranz sind für Rechem den Heldentod gestorben!" sagt er laut und deutlich, damit ihn alle Umstehenden hören können. Dabei lässt er den Sohn des getöteten Wächters nicht aus den Augen. "Ihr heroisches Opfer wäre umsonst gewesen, wenn wir jetzt jene beschuldigen, die nachweislich nichts mit ihrem Tod zu tun haben! Während wir hier herumstehen, können die wahren Täter entkommen! Wir sind zur falschen Zeit am falschen Ort!"
Leises Germurmel setzt ringsum ein. Anders als der Leutnant genießt Dranner in Rechem beachtlichen Respekt, und sein Wort hat Gewicht. Mehr noch, der bedächtige Feldwebel ist allgemein beliebt, da er die rücksichtslosen Regeln des Leutnants für gewöhnlich zum Vorteil der Rechemer auslegt.
"Aber woher wissen wir denn, dass es nicht doch die Spitz... die Elfen waren?" ruft eine Stimme aus der Menge.
Dranner entgeht nicht die subtile Änderung in der Ausdrucksweise. Es war bereits nicht mehr die Rede von Spitzohren oder Elfenpack. Sollte er es so leicht haben?
"Ihr habt mein Wort darauf." entgegnet er einfach, in einem Tonfall, als wäre damit alles gesagt. Erneutes Gemurmel setzt um ihn herum ein.
"Was ist mit den anderen Toten?" verlangt eine weitere Stimme zu wissen. "Bei den Stoerrebrands soll die Tochter regelrecht in Stücke gerissen worden sein!"
"Die Handschrift eines wilden Tiers, eines blutrünstigen Monsters, ja." erwidert der Feldwebel. "Man erwartet regelrecht, dass der Täter von oben bis unten blutbesudelt ist und eine Blutspur hinterlässt, wo immer er hingeht, nicht wahr?"
Unwillkürlich wenden die Umstehenden den Kopf und schauen an dem schnittigen, sauberen Elfenschiff empor. Die Bilder, die die Musik in den meisten von ihnen hervorgerufen haben und der Anblick einiger feingliedriger, ganz und gar nicht blutverschmierter Elfen bleibt nicht ohne Wirkung. Nein, Elfen würden ihre Opfer ohne Zweifel mit chirurgischer Präzision töten. Aber selbst die Vorstellung messerschwingender Elfen will sich nicht so recht mit Dranners Worten und den noch sehr frisch und fast greifbar vorhandenen Bildern aus dem Geiste der meisten Umstehenden decken, und die Zweifel der Menge an ihrem gewaltsamen Vorhaben wächst weiter. Betretenheit und Scham breiten sich aus, und einige besonders betroffene versuchen sich sogar möglichst unauffällig davonzustehlen. Der größte Teil der Menge verharrt jedoch und verfolgt aufmerksam jedes Wort des Feldwebels.