Reiße sie aus ihrer scheinbaren Anonymität heraus! Sie fühlen sich in der Menge sicher und unerkannt! Nimm ihnen diese Illusion! denkt inzwischen Dranner und lässt seinen Blick über die ihn Umstehenden auf der Suche nach weiteren bekannten Gesichtern schweifen. Und zeige ihnen schonungslos, wo der Weg endet, den sie eingeschlagen haben!

„Ich habe schon des öfteren einen eurer leckeren Fische gekauft.“ wendet er sich an die Fischverkäuferin, der Dranners plötzliche Aufmerksamkeit gar nicht recht zu sein scheint.
„Ihr versteht Euch meisterlich darauf, die Fische auszunehmen. Wollt Ihr jetzt wirklich mit Eurem Fischmesser einem Elf den Bauch aufschlitzen und auch seine Organe entfernen?“

Die Umstehenden wenden sich der bedauernswerten Frau zu. Jene, die ihr am nächsten stehen, rücken ein wenig zur Seite, so dass sich ein kleiner freier Raum um sie herum bildet. Jeder hier kennt sie und ihre Fische, doch in diesem Augenblick, im Mittelpunkt allgemeinen Interesses, möchte sie schier im Erdboden versinken. Die Frau wird bleich und schluckt schwer.

„Ich wollte nicht… ich meine… ich wollte eigentlich gar nicht mitkommen… und ich… ich…“ stottert sie verzweifelt.
„Aber Ihr seid hier!“ stellt Dranner unnachgiebig fest, klopft der Frau aber tröstend auf die Schulter, als sie in Tränen ausbricht.

„Und Ihr, Herr Miming?“ spricht er einen breitschultrigen, muskulösen Hünen an, der eine Lederschürze trägt und krampfhaft versucht, einen schweren Schmiedehammer hinter seinem Rücken zu verstecken. Erneut bewegt sich die Menschenmenge ein wenig, und nun ist es der Hüne, der unversehens im Mittelpunkt steht. Trotz der kalten Jahreszeit und seiner dünnen Kleidung glitzern einige Schweißperlen auf seiner kahlen Stirn.

„Ihr habt ein kleines Töchterlein, und es heißt, sie wäre ganz begeistert von allem Lebendigen. Ihr habt mit ihr zusammen schon so manchem Vogel den gebrochenen Flügel gerichtet und manche behaupten, Ihr würdet selbst eine Ratte lieber verscheuchen, als sie zu erschlagen. Wollt Ihr heute nach Hause gehen und Eurer Tochter freudestrahlend berichten, wie ihr einen Elfenschädel mit Eurem Hammer zertrümmert habt und das Hirn umherspritzte?“

Ein Schauder geht durch die Menge, und hier und da hört man ein leises Aufstöhnen.
Der Angesprochene zittert und hat Mühe, seinen Hammer zu halten. Mit entsetzten Augen starrt er den Feldwebel an und würgt an einem unsichtbaren Kloß in seinem Hals.

Einfache Bürger, die noch nie das Grauen einer Schlacht erlebt haben! geht es Dranner durch den Sinn. Sie sind sich über die Konsequenzen ihres Handelns nicht im geringsten im Klaren! Ein typischer Mob.
Er lässt seinen Blick weiter über die Menge schweifen, was die Meisten dazu bewirkt, weiter zurückzuweichen. Keiner möchte in den Mittelpunkt der allgemeinen Aufmerksamkeit gestellt werden und von Dranner mit solchen entsetzlichen Fragen und abscheulichen Vorstellungen konfrontiert werden. Jeder versucht, sich in den Hintergrund zu schieben, und einige stehlen sich sogar verstohlen davon. Andererseits drängen von hinten jene nach, die sich noch immer sicher fühlen und keine Entblößung eines der Anderen verpassen wollen.

„Ich bin überrascht, Euch hier zu sehen, Herr Doktor!“ fährt Dranner fort und fixiert einen schlanken Mann in sauberer und guter Kleidung, der etwas weiter hinten steht. Der Angesprochene, der sich außerhalb der Gefahrenzone wähnte, zuckt zusammen. Sofort bildet sich um ihn ein freier Bereich.
„Die Götter wissen, wie viele Wächter Euch ihr Leben verdanken. Ihr habt Verletzte zusammengeflickt, für die alle Hoffnung verloren schien und seltene und hässliche Krankheiten kuriert. Eine ganze Menge Leute in der Stadt verdanken euch viel. Ich war der Meinung, Ihr hättet Euch dem Erhalt des Lebens gewidmet. Warum seid Ihr hier?“
„Ich… Verletzte… ich bin nur mitgekommen, um mich um eventuelle Verletzte zu kümmern!“ rechtfertigt sich der Mann halbherzig und versucht seine Haltung zu bewahren oder vielmehr wiederzufinden.
„Aha.“ nickt Dranner und schafft es, mit nur diesem einem Wort die Glaubwürdigkeit der Antwort grundsätzlich in Frage zu stellen. Der Doktor setzt zu einer Erwiderung an, verzichtet dann aber doch darauf, als sich Dranner wieder dem Sohn des ermordeten Gyldensterns zuwendet.

„Und was ist mit dir, junger Gyldenstern?“
Das Gesicht des Jünglings ist ein Spiegel der Gefühle, die ihn ihm widerstreiten. Schmerz, Trotz und Ablehnung, aber auch Unsicherheit, Angst und Zweifel toben im Inneren des jungen Mannes und lassen seinen Körper beben.

Er weiß nicht mehr, was richtig oder falsch ist oder was er tun soll! denkt Dranner mitleidig. Er versteht den Tod seines Vaters nicht. Im Grunde genommen sind ihm die Elfen egal, aber sie sind in seinen Augen ein geeignetes Ventil, um seinen Schmerz abzulassen! Gib ihm ein neues Ziel, und dem Mob ist einer seiner Stacheln gezogen...

„Willst du das Andenken deines Vaters ehren, indem du die Falschen jagst und die Täter entkommen lässt?“
Dem Sohn des ermordeten Wächters schießen Tränen in die Augen, und vehement schüttelt er den Kopf.
„Ich wollte, mein Vater wäre nicht tot!“ stößt er hervor. „Aber ich will, dass er seinen Frieden findet!“
„Das wünsche auch ich.“ entgegnet Dranner und legt dem jungen Mann erneut die Hand auf die Schulter. „Dein Vater war ein guter Wächter, und wir sind es ihm schuldig, seinen Tod aufzuklären! Doch seine Seele wird nicht zur Ruhe kommen, auch wenn du noch so viele Elfen erschlagen würdest! Die Wache wird sich darum kümmern, darauf hast du mein Wort! Aber zuerst braucht dich deine Mutter. Ich bin sicher, dass es dein Vater gutheißen würde, wenn du jetzt ihr Trost spendest. Ich verspreche dir, dich von jeder Neuigkeit in Kenntnis zu setzen!“
Für einen Moment ist das Widerstreben des jungen Gyldensterns noch deutlich, doch dann nickt er langsam und bedächtig.