"Was zum Henker..." will Dranner fluchen, als er von der hellen Aura umschlossen wird. Es handelt sich eindeutig um Magie, doch die Ereignisse erfolgen so schnell, das Dranner der genaue Hergang verborgen bleibt. Für ihn hat es den Anschein, als hätte der Priester einen Zauber gewirkt, doch dessen maßlos verblüfftes Gesicht spricht dafür, dass dieser nicht die gewünschte Wirkung hatte. Wollte ihn der Priester zum Schweigen bringen und hatte dabei versagt? Oder war die Magie des Priesters von einer anderen Macht aufgehalten worden, einer Macht, die es offenbar gut mit ihm meinte und ihn vor Schaden bewahren wollte? Der Feldwebel fühlt sich durch den Zauber angenehm erfrischt und geborgen; das ermutigende, warme Gefühl der Sicherheit ist so stark, dass er für den Augenblick sämtlichen Kreaturen der Hölle trotzen zu können glaubt.

Während er noch verwundert den Vorhang aus hellem Licht betrachtet, der ihn umgibt, bricht um ihn herum Tumult los. Menschen schreien, und Bewegung kommt in die Menge.

Sie greifen das Schiff an! mutmaßt der Feldwebel und bemüht sich, wieder zurück in die Wirklichkeit zu finden. Noch kann er seine Umgebung nur wie durch einen feinen Schleier erkennen, als wäre er der wirklichen Welt ein wenig entrückt, doch die verzerrten Geräusche, die an sein Ohr treffen, werden allmählich wieder klarer und auch die Umgebung gewinnt ihre Schärfe zurück.

Dann hallt eine laute und klare Stimme über den Hafenplatz, der beginnende Aufruhr verebbt. Die Anschuldigungen, die die Stimme gegen Janus, den Leutnant und Hauptmann Carlo vorbringt, bestätigen den von Dranner schon lange gehegten Verdacht. Doch wenn diese Menge jetzt losziehen würde und dem neuerlichen Aufrührer folgt - wie wahr seine Worte auch sein mochten - dann würden nicht nur die Beschuldigten den Zorn der Menge zu spüren bekommen. Viele Mitarbeiter im Magistrat und Angehörige unter den Milizen des Hauptmanns waren sicher ahnungslos und nicht in die finsteren Machenschaften verwickelt. Doch würde dieser Mob differenzieren können? Würden sie nicht in ihrer blinden Wut alles und jeden niedermachen, der sich ihnen in den Weg stellte? Oder würden vielmehr sie niedergemacht werden? Der Feldwebel kannte sowohl den Leutnant als auch den Hauptmann. Beide waren in einer gewalttätigen Konfrontation furchterregende Gegner, die keinerlei Skrupel kannten. Wenn dieser Mob vor dem Magistrat auftauchen würde, würde es ein Massaker geben! Unter anderen Umständen könnte der größte Teil der Miliz sicher von einem gewaltsamen Vorgehen abgehalten werden, vielleicht sogar von der Schuld ihres Kommandanten überzeugt werden - immerhin rekrutierten sich ihre Mitglieder aus Rechemer Bürgern. Doch ein unvermittelt auftauchender, zu allem entschlossener Mob würde sie sofort in die Defensive drängen, und ohne Zweifel würden sie sich weit weniger zurückhaltend verhalten als die Elfen, erst recht wenn Frollo oder Carlo das Kommando hätten. Ohne Zögern würden beide ihre Untergebenen opfern, um sich selbst zu schützen.

Treibe eine Ratte in die Ecke, und sie wird erbittert kämpfen und wie wahnsinnig um sich beißen!
Nein, soweit durfte es nicht kommen! Er musste das bevorstehende Gemetzel verhindern! Den vielen Unschuldigen in der Miliz und im Magistrat, die von den Vorwürfen nicht betroffen waren, musste ein Ausweg gelassen werden! Aber dies war Aufgabe der Stadtwache, und auch die Vorwürfe mussten geprüft werden! Es gibt genügend vernünftige Männer in der Miliz, die ihn nicht aufhalten würden, wenn er die Situation in Ruhe erläutern könnte, dessen ist sich Dranner sicher. Immerhin war dies die Wache, und wer, wenn nicht sie, sollte den Leutnant und den Hauptmann ihres Kommandos entheben dürfen, ganz zu schweigen von Janus? Doch er musste hieb- und stichfeste Beweise haben, sonst war er nicht besser als Frollo. Gerade ihm gegenüber musste alles ganz korrekt zugehen, und auf keinen Fall durfte die Kontrolle verloren werden!

"Haltet ein, Leute!" ruft er laut, und tatsächlich verharrt die Menge. Dranner merkt nicht, dass seine Stimme wie ein Donner über den Hafen rollt, und die ihn noch immer umgebende Aura ihn wesentlich größer und gewaltiger wirken lässt. Wie eine Erscheinung aus einer anderen Welt steht der Feldwebel inmitten der Menge, und ihm haftet etwas Unwirkliches an, etwas, was selbst jene, die ihn ablehnen, zwingt, ihm zuzuhören. Hatte der junge Priester Undars Segen auf den Mann herabgerufen? War so das helle Licht zu erklären, das den Umstehenden jetzt wie die Antwort auf die Aktion des Priesters erscheint? War es womöglich gar kein höllischer Elfenzauber, sondern waren die Götter selbst herabgestiegen, um durch diesen Mann der Wache zu sprechen? Jeder Widerstand schmilzt dahin wie Butter in der Sonne - und hätte Dranner jetzt die Menge aufgefordert, ihm direkt in den Schlund der Hölle zu folgen - die meisten wären freudestrahlend an seiner Seite marschiert.

"Die Vorwürfe, die hier gegen Teile des Magistrats, der Wache und der Miliz laut geworden sind, sind in der Tat besorgniserregend. Ich werde nicht einfach sagen, dass sich die Wache darum kümmert, denn die Wache selbst scheint mitten drin zu stecken! Doch es ist Aufgabe der Wache, solchen Vorwürfen nachzugehen und Maßnahmen zu ergreifen! Jedes unbedachte Vorgehen könnte jedoch zur Flucht der Schuldigen führen - und ich sage euch: Ich will sie alle haben!"
Jetzt rede ich schon selber wie ein Aufwiegler. denkt lakonisch Dranner, als er das zustimmende Gemurmel vernimmt.
"Wir werden den Herren einen Besuch abstatten! Doch nicht einfach so!"

Und dann erläutert Dranner seinen faszinierten und gebannt lauschenden Zuhörern einen Teil seiner Gedanken, und wie er unter Führung der Wache gegen die Beschuldigten vorzugehen gedenkt.