Müde hebt Dranner die Hand und fährt sich durch das schüttere Haar. Er hatte es tatsächlich geschafft, woran er schon kaum noch geglaubt hatte, und die Menge hatte sich zerstreut. Nun fühlt er sich erschöpft und sehnt sich nach seinem gemütlichen Schaukelstuhl, einem kühlen Bier und einem Pfeifchen, doch die Nachricht von Hildebrand verspricht noch einen langen, anstrengenden Tag. Ein plötzlich einsetzender, scharfer Kopfschmerz erschwert ihm das Nachdenken und er ist froh, dass der Korporal selbständig aktiv geworden ist und nun die Rädelsführer vom Platz führt. Um sie würde man sich später noch kümmern.
Der Feldwebel reibt sich die Schläfen, um den Schmerz zu lindern, doch es stellt sich keine Besserung ein. Im Gegenteil, nun fühlen sich auch seine Gelenke an, als wären sie mit flüssigem Blei gefüllt, und zum ersten Mal in seinem Leben geht dem Wächter der Gedanke durch den Kopf, dass er inzwischen möglicherweise zu alt für seine Verantwortung sein könnte.
Langsam hebt er den Blick, noch immer die Stirn massierend, und schaut auf die Personen an der Schiffsreling. Neben einigen Elfen glaubt er auch den Hüter zu erkennen, den er mit seinen Gefährten vor den Toren der Stadt gestellt hatte. Er ist nicht verwundert, dass es die Abenteurer offensichtlich auf das Schiff geschafft haben, obwohl das noch keinem Rechemer Bürger gelungen war. Es scheinen Leute zu sein, die ihre Ziele beharrlich verfolgen und dabei auch unkonventionelle Wege gehen.
Seit jenem schicksalshaften Zusammentreffen in dem kleinen Wäldchen mit der Abenteurergruppe und dem Drachen war die Situation hier eskaliert. Der erfahrene Feldwebel ist sich sicher, dass die Gruppe nicht ganz unschuldig an den Vorkommnissen ist, die sich in diesen nicht einmal zwei Tagen ereignet haben, wenn sie sich dessen vielleicht auch nicht bewusst ist. Aber sie hatte einen Anteil, und das war offenbar kein besonders glücklicher. Ein ungutes Gefühl beschleicht Dranner, als er sich an die fantastisch anmutende Geschichte erinnert, die ihm der Hüter erzählt hatte. War nicht auch von einem Dämon und dem Ende der Welt die Rede gewesen? Womöglich war die Gruppe eine Art Vorbote für Unglück, vielleicht folgte ihr Tod und Grauen auf dem Fuße oder sie waren sogar die Sendboten des bevorstehenden Untergangs. In diesem Moment wünscht sich Dranner, er hätte die Abenteurer abgewiesen oder vertrieben, und sie hätten nie einen Fuß in die Stadt gesetzt. Doch das Geschehene konnte er nicht ungeschehen machen, und tief in seinem Inneren fühlt der erfahrene Mann, dass die Abenteurer der Stadt nichts Übles wollen. Wenn sie tatsächlich die Sendboten des Untergangs sind, dann sicher ohne ihr Wissen und ohne ihre Absicht. Doch das änderte nichts an der gegenwärtigen Situation. Rechem hatte es schon in der Vergangenheit des öfteren mit Dämonen zu tun gehabt. Doch sobald ein Dämon sein Unwesen in der Stadt trieb - sei es auf den Befehl eines Dämonologen oder weil der Beschwörer die Kontrolle verloren hatte - waren Priester und Magier fast augenblicklich in Erscheinung getreten. Man sagte, sie könnten die Anwesenheit dunkler Kreaturen spüren. Um so beunruhigender war die Nachricht, die ihm der Wächter überbracht hatte, denn wenn es stimmte, was der Hüter behauptete, dann wäre es diesem Dämon gelungen, sich vor den wachsamen Augen der klerikalen und arkanen Macht in Rechem zu verbergen, und dazu waren sicher nur mächtigere Dämonen in der Lage, vermutet Dranner. Der Hüter würde seine Behauptung erklären müssen, vor allem jedoch sein Wissen, wie er an solcherart Informationen herangekommen ist. Die Hüter Groß-Furtheims galten als praktisch ungeschult in allen arkanen Belangen, und darin unterschieden sie sich nicht von den meisten Rechemern, einschließlich Dranner und der Wache. Wenn nun ein Hüter die Existenz eines Dämons behauptete, der bisher weder von Priestern noch Magiern aufgespürt worden war, so zog das sicher Fragen nach sich, die dem jungen Mann womöglich zum Verhängnis werden konnten. Die Priester waren in solchen Angelegenheiten nicht gerade für ihre Zurückhaltung bekannt. Trotzdem beschließt Dranner, augenblicklich Boten mit einer entsprechenden Nachricht zur Akademie und zum Tempel zu schicken. Die Anwesenheit eines Dämons und das damit verbundene Risiko für die Stadt wogen für den Feldwebel schwerer als das Wohlergehen des Hüters, der es vermutlich ohnehin verstehen würde, glimpflich davonzukommen. Trotzdem wäre es angeraten, sich mit dem Abenteurer zu unterhalten und Näheres in Erfahrung zu bringen. Wo immer der Mann sein Wissen auch herhaben mochte – falls er Recht haben sollte, zählte jede Minute! Wenn nur diese plötzliche Schwäche und die bohrenden Kopfschmerzen nicht wären…