Chumana schüttelt den Kopf. Wie kann man nur so naiv und verstockt sein wie dieser Bücherwurm. Ein Gelehrter will er sein, dabei ist er kaum mehr als ein Kind. Nun ja, ein Kind mit erstaunlich großem Wissen über Schriften. Und wie kommt er nur darauf, dass Alrik die Wachen beseitigt hat? Ausgerechnet der Einhornfreund?
Und dass dieser Kangee sie anscheinend im Auge behält, behagt ihr gar nicht. Und was soll das mit den Zeugen? Dieser Rabe will doch wohl nicht ernsthaft durch die Stadt flattern und nach Zeugen suchen? Das könnte Schwierigkeiten geben. Vielleicht wäre es besser...? Nein, sie wird erst noch ein wenig abwarten, wie sich das alles entwickelt.
„Ich verstehe wirklich nicht, wie Ihr es mit Eurem kindlichem Weltbild von Korias bis hierher schaffen konntet“, Chumana wendet sich wieder Patarival zu. „Teilt Ihr die Welt etwa wirklich in Edle und Taugenichtse ein? Lurekar hat Recht, es gibt eine Vielzahl von Möglichkeiten. Glaubt mir, der menschliche Verstand ist vielschichtig und die Beweggründe und Denkweisen seiner Besitzer oft nicht leicht nachvollziehbar. Vor allem in Ausnahmesituationen.
Ich bezweifele ehrlich gesagt, dass Alrik in der Lage ist, auch nur eine Fliege zu erschlagen, solange es noch eine andere Möglichkeit gibt. Was Euch betrifft, bezweifele ich es sogar, wenn es keine andere Möglichkeit gibt, auch wenn Lurekar Euch da anscheinend mehr zutraut. Dieses Ding da“, Chumana weist auf das rostige Schwert, „solltet Ihr schnellstmöglich wegwerfen, bevor Ihr Euch noch selber ernsthaft verletzt. Besorgt Euch einen Stecken, so wie ich. Damit könnt Ihr sicher mehr Schaden anrichten als mit diesem stumpfen Ding und es dürfte Euch auch schwerer fallen, Euch selber damit zu verletzen.
Gut, Ihr wart unverletzt und hattet noch Euer Zeug bei Euch, aber was heißt das schon groß. Ihr habt ja nicht einmal eine Ahnung, wer oder was die Wachen getötet hat und vor allem aus welchem Grund sie getötet wurden. Woher wollt Ihr eigentlich wissen, dass derjenige Euch damit helfen wollte? Vielleicht war es ein anderer Reisender, bei dem sie mit ihrer Räubermasche zu weit gegangen sind. Oder sie haben Ärger mit Schmugglern oder Piraten bekommen, immerhin erwähnte die Marktfrau auch, dass die beiden einen unverhältnismäßig hohen Lebensstandard hatten. Sie waren also mit hoher Wahrscheinlichkeit korrupt. Möglicherweise hatte das Ganze auch persönliche Motive oder es war einfach ein Irrer, immerhin wurden ja mehrere Morde“, bei diesem Wort kommt Chumana leicht ins Stocken, als ob es ihr schwer fällt, dieses Wort auszusprechen, „begangen. Und wenn man auch nur einem Bruchteil der Schilderungen der Marktfrau glauben kann, muss zumindest der Mord an der Adligen äußerts grausam und blutig gewesen sein.
Und ob derjenige, der die Wachen getötet hat, auch derjenige war, der Euch zum Hafen brachte, ist ebenfalls völlig unklar. Vielleicht seid Ihr sogar selber zum Hafen gegangen. Oder es war ein ganz anderer, der aus welchen Gründen auch immer, Euch ein Stückchen mitgenommen hat. Möglicherweise sogar einfach ein Betrunkener, der Euch für einen anderen Betrunkenen hielt und mit Euch zur Hafenkneipe wollte oder gar der Stadttrottel.
Und in dieser Stadt scheint es sehr wenige Menschen zu geben, die mit den Magiern, Priestern oder anderen Institutionen was zu tun haben wollen. Und Heiler sind teuer und man bleibt hinterher selber auf den Kosten sitzen. Ganz zu schweigen von den Fragen, die man vielleicht beantworten muss. Selbst wenn jemand Mitleid mit Euch hatte und auch anständig genug war, Euch Euren Besitz zu lassen, heißt das noch lange nicht, dass er auch bereit ist, sich Ärger oder Kosten deswegen aufzuhalsen. Der Hafen und der Markt sind die beiden Orte, wo bei Tagesanbruch bereits viele Menschen unterwegs sind. Jemand wollte, dass Ihr gefunden werdet und man Euch eventuell hilft. Das dass unbedingt Elfen sein sollten, ist nur eine Spekulation. Es waren immerhin auch schon eine Menge Hafenarbeiter sehr früh bei der Arbeit und es liegen auch noch einige andere kleine Schiffe im Hafen. Und selbst wenn es mit den Elfen zu tun hatte, sogar in dieser Stadt dürfte es einige Bewohner mit elfischem Blut in den Adern geben oder zumindest mit verwandtschaftlichen oder guten Beziehungen mit ihnen. Und auch Lurekars Vermutung, es könnte sich um eine Intrige handeln, ist nicht unwahrscheinlicher als alles andere. Im Grunde könnte es eigentlich jeder gewesen sein“, Chumana stockt einen Moment, bevor sie etwas leiser hinzufügt, „sogar ich.
Nur ob es jetzt wirklich sinnvoll wäre, durch die Stadt zu laufen und Zeugen zu suchen, wo doch die Gemüter so erhitzt sind und Ihr anscheinend auch noch Probleme durch einen anderen Todesfall habt, ist fraglich.“