Chumana läuft unruhig in der Kajüte auf und ab, nachdem sie ihr Buch wieder sicher in der Gürteltasche verstaut hat. Es macht sie nervös, einfach nur herumzusitzen und darauf zu warten, dass die anderen zurückkommen und von ihren Erlebnissen berichten. Zu sehr ist sie es gewöhnt, ständig andere aus dem Verborgenen heraus zu beobachten. Wenn sie wenigstens alleine wäre. Frustriert schaut sie zu Patarival, der anscheinend ganz in Gedanken versunken dasitzt.
Aber es hat auch keiner gesagt, dass sie in der Kajüte bleiben muss. Irgendwo auf diesem Schiff gibt es doch sicher ein halbwegs geschütztes Örtchen, an das sie sich zurückziehen kann. Entschlossen, ihre Zeit nicht länger mit Nichtstun zu vergeuden, öffnet Chumana die Tür.
„Bin mal kurz weg“, ruft sie Patarival noch über die Schulter zu und tritt aufs Deck hinaus.
Die Elfen nehmen kaum Notiz von ihr, während sie ihren üblichen Tätigkeiten nachgehen. Langsam schlendert sie in Richtung Pumpe und inspiziert das Schiff aus den Augenwinkeln genauer. Es ist erstaunlich groß. Chumana kennt nur die Schiffe, die auf den Flüssen des Innenlandes fahren, und ein paar Fischerboote, die sie bei ihren seltenen Abstechern zu den Küstenregionen zu Gesicht bekommen hat. Jedes davon kann man bequem mehrmals in diesem Schiff unterbringen. Und trotzdem kommt es ihr zu klein vor, für die Menge an Elfen, die es beherbergt. Wo sie hinschaut, sind Elfen damit beschäftigt, Dinge zu reparieren oder zu säubern, Sachen durch die Gegend zu tragen oder sich zu unterhalten. Wie hält man es nur tage- oder gar wochenlang auf so engem Raum unter so vielen Leuten aus?
Chumana inspiziert ein paar Kisten genauer, die im vorderen Schiffsteil vertäut sind. Dahinter scheint noch ein wenig Platz zur Reling zu sein, so dass man einigermaßen bequem, aber doch vor neugierigen Blicken geschützt, sitzen kann. Nach einem kurzen Blick über die Schulter, anscheinend nimmt tatsächlich keiner weiter Notiz von ihr, zwängt sie sich an den Kisten vorbei in die Nische und macht es sich leidlich bequem.
Vorsichtig löst sie die Spiegelschnalle ihres Gürtels und streicht, untermalt von einigen gemurmelten Worten, mit den Fingerspitzen darüber. Die Sonnensteine um den Spiegel herum fangen an zu leuchten und das Spiegelglas verfärbt sich milchig weiß. Nach und nach bilden sich einige dunklere Konturen heraus, bis sich endlich ein klares Bild eines kleinen Raumes mit karger Ausstattung formt, in dem sich acht Menschen drängen.
Zufrieden registriert sie, dass ihre neuen Bekannten anscheinend unbeschadet an ihrem Ziel angekommen sind und sich auch frei bewegen können. Sie hätte es sowohl der Wache als auch den Priestern durchaus zugetraut, die drei erst einmal festzusetzen, um auf ganz spezielle Art und Weise an Informationen zu kommen. Aber was nicht ist, kann durchaus noch werden. Und ob eine adelige Elfe einen fanatischen Priester von einem intensiveren Verhör abhalten würde, nun Chumana zweifelt stark daran. Fanatismus ist einer der schlimmsten Krankheitsdämonen, die den Verstand befallen können. Dieser ganze Götterquatsch ist eine Krankheit, die man besser mit Stumpf und Stiel ausrotten sollte. Sie hat eine Menge Gräueltaten gesehen auf ihren Reisen, die im Namen des Glaubens begangen wurden. Aber nie hat sie jemanden getroffen, dem die Tempel und Priester je etwas Gutes getan hatten.
Neugierig schaut Chumana auf das Geschehen im Spiegel hinab. Nur schade, dass sie keine Zeit hatte, einem der Drei einen Zaubergegenstand zuzustecken, mit dem sie das Gespräch hätte belauschen können. So muss sie sich auf die Kunst des Lippenlesens beschränken. Und auch wenn sie darin eine gewisse Fertigkeit erworben hat, ist es eine ziemlich unzuverlässige Informationsquelle. Allerdings immer noch besser, als tatenlos in der Kajüte rumzusitzen.