Schwarze Wolken hängen wie verstümmelte Leiber über den fahlen Wassern der grauen Teiche. Der Duft versengten Fleisches wird vom Zephir herangetragen. Das liebliche Wehgeschrei der Gequälten erfüllt die dunstige Abendluft.
Lurekar fliegt über die Kuppen der kahlen Hügel, hinter denen die Stadt wartet. Undeutlich ist im grünlichen Licht der Fackeln zu sehen, wie Schergen am Fuß der Hügel neue Opfer auf die Räder flechten. Lohnt es sich vielleicht, eines davon auszusondern und auf persönlichere Art zu bestrafen? Ein kräftiger, dicht behaarter Kerl mit Hörnern gibt einen grunzenden Laut von sich, der sein animalisches Äußeres noch unterstreicht.
Nein, das wird warten müssen, bis die Einzelheiten des Auftrags abgeklärt sind. Lurekar steuert wie immer auf die Lichtung zwischen den toten Bäumen am Obsidianweiher zu. Das Knirschen ihrer morschen Zweige im Wind ähnelt seltsam dem Ächzen von Schiffsplanken. Plötzlich brüllt jemand „An Deck!“.
Der Musiker schaut auf. Er ist in seiner Kabine auf dem Elfenschiff; vor ihm liegt aufgeschlagen das Büchlein des Bibliothekars. Ich muss wohl kurz eingenickt sein., fährt es ihm durch den Kopf, Was für ein eigenartiger Traum! Diese trostlose Landschaft, die ich garantiert nie zuvor erblickt habe und die dennoch seltsam vertraut wirkte – warum habe ich sie bis in kleinste Einzelheiten vor mir gesehen, warum waren Gerüche und Geräusche so deutlich? Das war fast wie ... wie eine ferne Erinnerung.
Verwirrt reibt sich Lurekar die Schläfen. Ein kleines Blatt Papier liegt neben dem Buch; die verschnörkelten Schriftzüge darauf ähneln den Randbemerkungen in dem schmalen Band. „Und dem verbundenen Gegensatze allein wird zufallen die Aufgabe, zu öffnen das vertrackte Siegel, auf dass ihm Beachtung, Anerkennung und Liebe zuteil seien immerdar.“, lautet der letzte Satz. Von Deck sind Schreie zu hören. Der Musiker schüttelt den Kopf, legt das Stück Papier in das Buch, klappt dieses zu und steckt es ein. Dann eilt er zum Bullauge der Kabine und späht hinaus.
In diesem Augenblick wird das Elfenschiff von einer Folge heftiger Erschütterungen erfasst. Krachend zersplittert Holz unter der ersten Katapultsalve des gewendeten Piratenschiffes. Auch mit ihren Langbögen haben die Elfen nicht verhindern können, dass die Freibeuter sich in Schussposition manövrieren und feuern. Einige ihrer Waffen sind offenbar mit Scherben und Glassplittern geladen, denn direkt nach den schweren Steinbrocken prasselt ein Hagel aus scharfkantigen Geschossen auf das Deck der Elfen nieder. Mehrere Personen schreien auf. Wegen der bedrohlichen Situation von vorhin tragen noch einige, aber nicht alle elfischen Soldaten ihre Rüstungen.
Unsicher tritt Lurekar ein paar Schritte zurück. Diese verdammten Ostküstler! Können sie nicht wenigstens ab und zu versuchen, ihre Probleme auf zivilisierte Weise zu lösen? Der hagere Mann zwingt sich, ruhig zu bleiben. Das Elfenschiff ist deutlich größer als der Angreifer, den er von hier aus sehen kann; der Kapitän macht einen erfahrenen Eindruck. Er sollte wissen, wie man mit der Lage fertig wird. Und noch ist nichts entschieden. Von Deck aus wäre zwar ein Sprung ans sichere Ufer möglich, aber es wäre leichtsinnig, jetzt ungeschützt an Deck zu gehen. Und auf diese Entfernung kann man dem Feind höchstens Gleiches mit Gleichem vergelten. Daher dürfte es klüger sein, vorerst unter Deck zu bleiben und abzuwarten, was passiert.