Dranner jagt einem Piraten das Schwert in den Leib, der seitlich von ihm einen Wächter bedrängt. Als er die Waffe wieder herausreißen will, trifft ein heftiger Schlag seine Beine und wirft ihn zu Boden. Ohne seinen Gegner zu sehen rollt sich der erfahrene Kämpfer sofort zur Seite, dorthin, wo er seinen Feind vermutet. Überrumpelt stolpert der Pirat nach vorne, als der Körper des Feldwebels gegen seine Schienbeine rollt, und die Enteraxt, die den Kopf des Feldwebels hätte spalten sollen, prallt funkenstiebend vom Pflaster ab.
Dranner gelingt es inmitten der umherstampfenden Beine der Kämpfenden nicht, sich wieder zu erheben. Schon tritt ein weiterer Pirat auf seinen Unterarm und nagelt ihn mit seinem Gewicht förmlich am Boden fest. Der Feldwebel sieht das lange Entermesser über sich zum Stoß bereit erhoben, da verschwindet plötzlich das Gewicht auf seinem Arm.
"Liegenbleiben!" dröhnt die Stimme des Schmieds zu ihm herab, der seinen wuchtigen Hammer gleichmäßig in einem Halbkreis von links nach rechts pendeln lässt und ihm so die nötige Luft verschafft. Die meisten der in der Nähe stehenden Piraten weichen vor dem Hünen und seinem Hammer zurück - wer es nicht tut, wird mit zerschmetterten Knochen zur Seite gefegt.
Hastig rollt sich Dranner ein Stück zurück und springt wieder auf die Beine. Sein Schwert ist irgendwo verloren - so greift er sich die Axt des Mannes, der ihn zu Fall gebracht hatte, und der mittlerweile mit zerfetzter Halsschlagader sein Leben aushaucht.
Für einen kurzen Moment steht er in einem freien Bereich und hat Zeit, Atem zu schöpfen und sich einen Überblick über die Situation zu verschaffen.
Mit Erleichterung nimmt der Feldwebel zur Kenntnis, dass sich seine Wächter und die zu seiner Unterstützung herbeigeeilten Rechemer Bürger gegen die angreifenden Piraten erstaunlich gut behaupten. Er hatte befürchtet, die Piraten würden sie einfach zur Seite fegen, doch im Wesentlich hatte die Front seiner Männer dem Ansturm standgehalten. Tatsächlich hatten sie sogar einige Schritte gut machen können. Trotzdem war der Kampf keineswegs entschieden, ja genaugenommen war das wohl erst der Auftakt, und niemand vermochte zu sagen, wie lange die Kraft der kleinen Truppe ausreichen würde, um der Flut ihrer Gegner standzuhalten.
Vom Kai stürmen weitere Piraten heran, doch anstelle sich der kleinen Streitmacht zum Kampf zu stellen, brechen viele johlend und schreiend in die Häuser ein, von der Gier auf Beute getrieben, oder setzen Fliehenden nach, von denen etliche grausam niedergemacht werden. An vielen Stellen leisten kleine Gruppen Rechemer Bürger verzweifelten Widerstand. Etwas abseits kann Dranner den hünenhaften Hüter ausmachen, der in einen aussichtslosen Kampf mit gleich mehreren schwarzgekleideten, sehr gefährlich wirkenden Männern verwickelt zu sein scheint.
Typisch für diesen Heißsporn! denkt Dranner kurz. Gerne würde er den jungen Mann entsetzen und ihm den Rücken decken, doch momentan sieht der Feldwebel keine Möglichkeit, zu ihm zu gelangen.
Auf die Schnelle ist kein Plan in dem Angriff der Piratenstreitmacht zu erkennen. Vorstürmen, niederhauen, wer sich in den Weg stellte, plündern - das schien ihre ganze Strategie zu sein. Bis auf wenige Ausnahmen kämpfte jeder für sich allein, ohne Rücksicht auf seine Kumpane. Tatsächlich kann der Feldwebel erkennen, wie sich zwei Piraten um ein Beutestück streiten, bis einer der beiden dem anderen kurzerhand sein Messer in den Leib rammt. Es steckte keinerlei Einigkeit, kein gemeinsames, gezieltes Vorgehen in diesem Angriff - und das war die größte Schwäche der Piraten. Eine als Einheit operierende Gruppe in dieser Zahlenstärke hätte schon längst jeden Widerstand hinweggewischt. Wenn es ihm gelang, seine Truppe zusammenzuhalten und geschlossen agieren zu lassen, dann hatte er möglicherweise eine Chance. Dann konnten die Piraten keinen Vorteil aus ihrer zahlenmäßigen Übermacht ziehen. Dann würde Rechem bestehen.
Entschlossen packt der Feldwebel die Axt fester.
"Haltet die Linie!" brüllt er über den Lärm hinweg. "Bleibt zusammen!" Er wirft noch einen Blick zu dem Hüter und seinem einsamen Kampf. Er könnte ihn erreichen, wenn seine Männer gemeinsam vorstießen. Sie könnten es schaffen! Wenn er sich nur lange genug behaupten würde...
Wenige Augenblicke später hat das Toben der Schlacht den Feldwebel bereits wieder erfasst.