Nachdem Nimue den ersten Schreck verdaut hat, ärgert sie sich. Der Vorsitzende des Rates mag ja ein fähiger Lehrer sein, aber mit der Leitung der Magierakademie ist er überfordert – das wird in dieser ernsten Situation nur zu deutlich. Um niemanden zu verärgern, zaudert er erst einmal. Zudem vermisst er offenbar Johrams Empfehlungen. Wahrscheinlich wird jetzt alles laufen wie so oft: Sobald sich die Gelegenheit ergibt, tut jeder der älteren Magier das, was er selbst für richtig hält. Dabei wäre gegenwärtig eine starke Führungspersönlichkeit nötig, die der Gefahr durch gute Koordination aller verfügbaren Kräfte entschlossen begegnet; jemand wie sie selbst oder vielleicht der umsichtige Johram. Aber für so jemanden wird sich auch bei der nächsten Wahl zum Vorsitzenden keine Mehrheit im Rat finden. Zu sehr ist das Kollegium im Wettstreit um Ansehen, Geld und Einfluss von Neid geprägt. Und so hat es sich auf den schwächsten Kompromisskandidaten verständigt ...
„Professorin, gehen wir nicht zum Brunnen?“, reißt einer der Schüler die alte Frau aus ihren Gedanken. „Nein.“, antwortet sie energisch und fährt sich über die letzten Strähnen ihres weißen Haares, „Wir holen uns das konzentrierte Wasser. Damit lassen sich die Brände im Handumdrehen löschen, und wir können uns um die Abwehr des Angriffs kümmern.“
Noch befindet sich das konzentrierte Wasser zwar in der Erprobungsphase, und eigentlich wurde es für andere Zwecke entwickelt, aber alle Experimente belegen eindeutig, dass es Brände viel schneller und effektiver löschen kann als gewöhnliches Wasser. Ein paar Tropfen werden genügen, um jeden der Brandherde zu beseitigen. Und es wird keine größeren Schäden durch Löschwasser geben.
Die Magierin führt ihre Schülergruppe ins Labor, füllt mit ruhiger Hand das bläulich funkelnde konzentrierte Wasser in Schläuche, gibt diese aus und demonstriert ihre Benutzung kurzerhand am Schmelzofen. Dann teilt sie ein, wer sich wo auf dem Akademiegelände um Brände zu kümmern hat, und schickt die Magierlehrlinge los. Rasch überschlägt sie, wie lange die Vorräte an konzentriertem Wasser reichen werden, sollte der Beschuss anhalten. Sehr gut! Damit ließen sich sogar viel größere Brände noch stundenlang unter Kontrolle bringen.
Als die Professorin für Alchemie das Labor verlässt, fällt ihr Blick auf Rauchsäulen über der Stadt. Bestürzt bleibt sie stehen. Rechem brennt! Dass die Piraten nicht nur die Akademie unter Beschuss genommen haben, hat entweder keiner der Magier an den Seherkugeln bemerkt – oder der Ratsvorsitzende hat diesem Umstand nur geringe Priorität eingeräumt. Dabei kann die Akademie ohne die Stadt nicht bestehen, und Funkenflug aus benachbarten Gebäuden stellt auch für sie eine große Gefahr dar!
Nimue ist doppelt froh, dass sie das konzentrierte Wasser bereits verteilt hat. Damit sollte ein guter Teil der Schüler Rechem schützen können, sobald die Lage in der Akademie unter Kontrolle ist. Ob sie den Ratsvorsitzenden gleich um seine Zustimmung bitten soll? Aber was, wenn er diese verweigert? Auch mit der Entsendung der Kampfmagier hat er gezögert ... und weil er selbst Hunger bekam, hat er schon bald nach Auflösung des Mobs am Hafen gestattet, dass sich die Magier an den Seherkugeln geschlossen zum Essen begeben. Die alte Frau schüttelt den Kopf. In der jetzigen Situation darf man sich keine Nachlässigkeiten und kein Zaudern erlauben! Zur Not kann sie sich später darauf berufen, nur die ureigensten Interessen der Akademie vertreten zu haben. Nein – sie wird keine faulen Kompromisse eingehen!