Wie angewurzelt bleibt ein Pirat, der sich das lange Haar mit einem Band zusammengebunden hat, stehen.
"Was'n das da?" meint er und deutet er auf einen funkelnden Gegenstand wenige Schritte vor ihm, der mitten im Schmutz der schmalen Gasse liegt, offenbar achtlos fallengelassen von einem der fliehenden Bürger.
"Beim Klabautermann! 's is 'n Edelstein! 'n Diamant!" erwidert verblüfft ein mit zahlreichen obszönen Tätowierungen versehener breitschultriger Mann. Ein dritter, offenbar reichlich alkoholisierter Pirat torkelt einige Schritte vor und greift nach dem Stein. "So groß... *hicks*... wie meine Faust..." lallt er.
"Finger weg!" grollt der erste wütend. "Ich hab'n zuerst geseh'n! Der gehört mir!"
"Is' mir schnuppe, was de *hicks!* geseh'n hast!" entgegnet der Angetrunkene ungerührt. "Ich hab'n als erster aufgehob'n! Is' meiner!"
"Du Wurm! Gib' her!" zischt der Erste und greift nach der Hand des Trunkenen.
"Finger weg!" Der Betrunkene versetzt dem Ersten einen Stoß, der diesen zurücktaumeln lässt, und hält die Hand, die den funkelnden Stein umfasst, in die Höhe. Etwas metallisch Glänzendes funkelt in der Luft und beschreibt einen Halbkreis, dann fliegt die Hand samt dem Stein einige Schritte weiter. Der Betrunkene torkelt zurück und starrt fassungslos auf die grässliche Wunde, aus der ein Strom von Blut pulsierend hervorschießt, bevor er heulend auf die Knie sinkt und den Stumpf mit der gesunden Hand umklammert.
"Seid ihr wahnsinnig geworden?!" brüllt der Tätowierte und setzt seinen Fuss auf die abgeschlagene Hand. "Das gehört allen! S' is' reguläre Beute und wird geteilt wie immer!"
"Diesmal nich'!" schnappt ein sich nach vorne drängender weiterer Pirat. "Der Käpt'n hat gesagt, dass wa' diesmal behalten können, was wa' finden! Kann jeder nehmen, was a' will! Also geh zur Seite!"
"Hältst dich wohl für'n besonders Schlauen, wie?" Der Tätowierte packt den anderen an seinem weiten, schmutzigen Hemd und zerrt ihn mühelos heran. "Ich werd' dir Ratte jetzt mal erklär'n, wie das hier läuft..." Weiter kommt der Mann nicht. Seine Augen weiten sich vor Überraschung, dann taumelt er nach hinten und hält sich die Hand auf eine tiefe Bauchwunde.
"Das haste nu' davon!" brummt mit sichtlicher Befriedigung der andere und wischt das schmutzige Messer an seinem Hosenbein ab. Dann bückt er sich, um den Edelstein, der noch immer von den Fingern der abgeschlagenen Hand umklammert wird, an sich zu nehmen. Doch kaum hat er Stein samt Hand aufgehoben, fährt ihm ein Entermesser in den Hals. Mit zerfetzter Schlagader stolpert er einige Schritte vorwärts, bis er gegen eine Wand prallt, das Gleichgewicht verliert und rücklings zu Boden fällt. Entgeistert starrt er eine dunkle Gestalt an, die in einer Nische der Wand steht. Der junge, völlig verstörte Mann, der in einen dunklen, zerrissenen Umhang gekleidet ist, versucht verängstigt, sich noch dichter an die Mauer zu pressen und mit dieser förmlich zu verschmelzen. Mit vor Entsetzen weit aufgerissenen Augen starrt er auf das blutige Handgemenge und den Todwunden zu seinen Füßen und hält sich mit beiden Händen krampfhaft den Mund zu, um seinen verräterischen Schrei zu ersticken. Doch der schwerverwundete Pirat sieht nicht die lähmende Angst und die Furcht des Mannes, die ihn zu einem leichten Opfer machen würden. In seinen Augen steht dort eine finster dreinblickende, dunkel gekleidete Gestalt mit großen Augenhöhlen, einem bleichen Knochenschädel und einem furchtbaren Maul, dessen Grinsen sicheren Tod verheißt.
'Jetzt ist's aus mit mir!' durchzuckt die jähe Erkenntnis den Piraten, 'Der Tod kommt mich holen!'
Sein Schrei wird vom eigenen Blut erstickt und ist nicht mehr als ein Gurgeln. Verzweifelt versucht er, von dem bedrohlichen Schatten fortzukriechen und gleichzeitig zu verhindern, dass sein Lebenssaft fontänengleich aus der Wunde schießt.
Zwischen den restlichen Piraten ist inzwischen ein unbarmherziger, mit äußerster Brutalität geführter Kampf Jeder gegen Jeden entbrannt. Der von der Hand umklammerte Edelstein wechselt noch so manches Mal seinen Besitzer, nur um Augenblicke später in einem neuerlichen Schwall von Blut wieder auf das rot besudelte Pflaster der kleinen Gasse zu fallen.