Begeistert hatte Lu inmitten des Flammenmeeres getanzt und die Vergeltung für jeden einzelnen toten Nestling gefeiert. Die Piraten, die sich - viel zu spät - zum Löschen in den Lagerraum gewagt hatten, waren in wilder Panik vor dem tobenden Klabautermann im Bauch ihres Heimatschiffs geflohen. Wer keinen Platz mehr auf einem der Beiboote gefunden hatte, sprang lieber über Bord, als es mit dem Feuer und dem Dämonen an Bord aufzunehmen.

Siegestrunken durchstreift Lu das Schiff, um auch den letzten Piraten von Bord zu scheuchen. Was für ein Vergnügen, die Piraten grunzend und zischend ins Meer zu treiben! Leider sind kaum noch Piraten an Bord. Aus einem weiteren Raum hört er plötzlich neben dem Prasseln und Brüllen des Feuers ein eigenartiges Geräusch. Ein Maunzen? Der Tempel und die stolze Wächterin Fenia kommen ihm in den Sinn. Schnell folgt er dem Geräusch. Eingeschlossen in den Flammen sitzt eine grau-getigerte Katze auf einer Kiste und versucht sich so schlank wie möglich zu machen, um den immer höher leckenden Flammen zu entgehen! Erschreckt eilt Lu zu ihr, um sie zu befreien. Unschuldige Wesen hatte er nicht in seinen Rachefeldzug verwickeln wollen!

Kaum hält er jedoch das wild strampelnde und fauchende Tier in den Pfoten, da bricht das höher liegende Deck polternd zusammen. Panisch versucht Lu den brennenden Planken und Balken zu entgehen, die Katze schützend an seinen Bauch gepresst. Siedendheiß fällt dem kleinen Drachen ein, dass er sich auf einem Seelentöter befindet. Unter ihm befinden sich Berge von Wasser! Er muss hier weg! Ein Holzstück fällt Lu schwer in den Rücken und zwingt ihn, schmerzverkrümmt innezuhalten. Die Katze nutzt die Gelegenheit, um ihm eine krallenbewehrte Pfote in die empfindliche Nase zu schlagen. Lus Augen beginnen zu tränen und er greift das Pelzknäuel wieder fester. " Du blödes Mistvieh, halte still!" flucht er. "Ich will dir doch nur helfen!". Da! Ein Stückchen Himmel! Lu öffnet seine Flügel und stürzt sich mit letzter Kraft dem Himmel entgegen.

Der kleine Drache hat schwer flatternd schon einige Meter Höhe gewonnen, als der Hauptmast des Piratenschiffs dem Ansturm der Flammen nachgeben muss und sich mit einem lauten Knarren zur Seite senkt. Zunächst langsam wie eine fallende Ascheflocke, dann jedoch schneller und schneller stürzt der Mast dem Wasser entgegen. Immer noch tränenblind und aus zahlreichen Wunden blutend wird Lu von Mast, Segeln und Takelage aus der Luft gerissen. Heftig schlägt er auf einem im Wasser treibenden Trümmerstück auf, das durch den Aufprall halb unter Wasser gedrückt wird, dann jedoch wieder aufschwimmt. Prustend und spuckend umklammert Lu weiterhin die Katze mit einer Pfote. Die übrigen Krallen bohren sich tief in das rettende Holz. Dann schwinden dem kleinen Drachen die Sinne.

Als Lu wieder zu sich kommt, sieht er zunächst in zwei große, graue Katzenaugen. Scheinbar verächtlich wendet sich die Katze von ihm ab und beginnt sich zu putzen. Lu kneift seine vor Salzwasser brennenden Augen zusammen und versucht sich aufzurichten. Seine rechte Pfote patscht ins Wasser und er fällt erneut bäuchlings auf das Trümmerstück. Wasser umspült ihn und brennt in seinen Wunden. Irritiert schaut der kleine Drache um sich. Es dämmert. In seinem begrenzten Blickfeld ist nichts als Wasser zu erkennen. Der schwankende Untergrund, nur wenige Handbreit größer als er selbst, macht ihm Angst. Weg, nur weg hier! Auch der zweite, nun vorsichtigere Versuch sich aufzurichten misslingt. Lu stöhnt vor Schmerz. Seine Flügel sind völlig zerfetzt und bestimmt mehrfach gebrochen. Auch sein linker Arm sollte nicht in diesem Winkel abstehen. Der restliche Körper ist übersäht von Prellungen und kleinen Wunden.

Stöhnend erinnert Lu sich an seinen Absturz. Er muss zurück zu seinen Gefährten und ihnen im Kampf gegen die Piraten helfen! Wenn doch nur Big Claw hier wäre. Sie könnte seine Wunden bestimmt heilen! Wenn er doch nur im Anatomieunterricht besser aufgepasst hätte ... Unsicher beginnt er sich zu konzentrieren und die richtigen Fäden zu suchen. Diesen hier drehen und mit diesem wieder verbinden ... Lus linker Arm zuckt kurz, als die Knochen wieder zurechtrutschen und mitsamt der Muskeln heilen. Gleichzeitig brechen die hinteren Planken seiner kleinen Insel mit einem trockenen Knacken ab, so dass Lus Schwanz nun im Wasser baumelt. Erschreckt hält Lu im Weben inne und rutscht etwas von der Bruchkante weg. Hochkonzentriert und ganz, ganz vorsichtig greift er erneut nach den Fäden. Ein langgezogenes Seufzen stoppt ihn jedoch sofort wieder. Ängstlich schaut Lu sich um, bis er bemerkt, dass die sich streckende und gähnende Katze die Geräusche verursacht. Langsam verwünscht Lu die Idee, die Katze gerettet zu haben.

Trotz aller Sorgfalt und Vorsicht gelingt es Lu nicht, die Fäden vollständig zu kontrollieren. Jeder zurechtgerückte Knochen, jede geschlossene Wunde kostet ihn ein weiteres Stück seiner Insel. Die Katze, die er inzwischen Miststück getauft hat, scheint ihn zudem kontinuierlich zu verspotten. Immer noch ist der kleine Drache viel zu schwach, um sich aufzurichten. Schließlich schläft er erschöpft und in der Gewissheit, versagt zu haben, ein.