Zusammengesunken sitzt Hauptmann Carlo im privaten Audienzraum des Magistrats Janus.
"Es ist aus." murmelt er tonlos, den Blick starr ins Leere gerichtet. "Es ist vorbei. Wir sind erledigt. Restlos erledigt."
"Reißt Euch zusammen, Mann!" Janus Stimme ist eindringlich, fast schmeichelnd. "Ihr seid immer noch Hauptmann der Miliz! Wenn wir jetzt gegen die Piraten vorgehen, können wir das für uns verbuchen, und all die Anschuldigungen gehen ins Leere! Wessen Stimme wird schon mehr Gewicht haben? Die eines lumpigen Dieners oder eins Stadtrates?"
Der Hauptmann setzt zu einer Erwiderung an, schüttelt dann aber nur den Kopf. Er vergräbt das Gesicht in den Händen und lässt seinen Oberkörper haltlos auf den schweren Ahorntisch sinken, wo er, unzusammenhängend vor sich hin stammelnd, liegen bleibt.
"Der Mann ist fertig." wendet sich Janus leise an Leutnant Frollo, der stumm neben dem Tisch steht und den Kommandeur der Rechemer Miliz verächtlich anschaut.
"Fix und fertig. Ich brauche einen geeigneten Nachfolger für sein Kommando! Leutnant Frollo - hiermit befördere ich Euch zum Hauptmann! Ab sofort werdet ihr das Kommando über die Miliz übernehmen!"
Der grobschlächtige Leutnant scheint einige Zentimeter in die Höhe zu wachsen. "Hauptmann? Die Miliz? Herr, das ist - jawoll! Danke, Herr!"
Die Augen in dem kindlich wirkenden Gesicht strahlen, und die Brust des frischgebackenen Hauptmanns schwillt vor Stolz an.
"Fähige Männer wie Euch bekommen, was sie verdienen, Hauptmann Frollo!" fährt Janus fort und ist sich sicher, dass Frollo weder die Zweideutigkeit noch den Sarkasmus in seinen Worten versteht.
"Ich will, dass Ihr die Miliz zum Hafen führt und dort für Ordnung sorgt!"
"Aber... Schwarzbart wird nicht zufrieden sein, wenn ich seine Männer niedermache! Soll ich..."
"Schwarzbart wird es egal sein, wenn einige seiner Männer dran glauben müssen! Er will Rechem ja nur einschüchtern - und wir werden unsere Position in der Stadt enorm stärken, wenn wir sie - natürlich nur nzum Schein - vertreiben! Niemand wird danach an unserer Redlichkeit zweifeln - und wir werden ein Vermögen verdienen!"
Die Augen des ehemaligen Leutnant beginnen vor Gier zu leuchten. "Das klingt logisch!" räumt er ein, "Ich werde sofort aufbrechen!"
"Tut das, Hauptmann der Miliz!" entgegnet Janus in fast beschwörendem Tonfall.
Gehe und schaffe mir damit die nötige Zeit, mich abzusetzen, du armer, dummer Narr! denkt er dabei bei sich und schaut dem mit weiten, schwungvollen Schritten Davonstürmenden kurz nach. Schwarzbart ist sicher nicht daran gelegen, dich als Retter der Stadt auftreten zu lassen! Der opfert uns ohne mit der Wimper zu zucken, jetzt, wo er keine Geschäfte mehr mit uns machen kann! Aber wenn seine Männer hier alles kleinschlagen, werde ich schon weit weg sein und woanders ein Leben als reicher Mann beginnen!
Der zurückgebliebene ehemalige Kommandant der Miliz hebt den Kopf, als Janus durch eine kleine, kaum zu erkennende Nebentür davoneilt.
"Aus! Es ist aus! Wir sehen uns alle in der Hölle wieder!" schreit er dem korrupten Stadtrat hinterher.
Dann zieht er seinen Dolch. Eine Weile dreht und wendet er die scharfe Klinge und betrachtet sie staunend, als würde er das erste Mal eine solche Waffe sehen.
"Ich, ich, ich..." stammelt er, dann kichert er wie ein Irrsinniger.
"Ich werde der erste dort sein! Bis gleich, Jungs!"
Mit einer kurzen, heftigen Bewegung stößt sich der Mann den Dolch in den ungeschützten Hals. Ein Strom von Blut ergießt sich über die helle Tischplatte und den Boden aus poliertem Edelholz. Ein Röcheln dringt aus dem sich öffnend und schliessenden Mund des Mannes, als er sich den Dolch aus der Wunde reißt, der Körper zuckt noch einige Male krampfartig, dann erschlafft er und sinkt in dem Stuhl zusammen. Die Arme fallen haltlos zur Seite, der Dolch entgleitet den blutigen Fingern, das Kinn sinkt auf die Brust, und mit einem letzten Seufzer verlischt das Lebenslicht des Hauptmanns.