Der kleine, dicke Mann, der von allen nur Seelöwe genannt wird, kocht vor Zorn. Ihm ist nicht entgangen, dass ausgerechnet Schwarzbart, der Initiator dieses Angriffs, sich mit seinem Schiff anfangs sehr zurückgehalten hat. Nun ja, es mag noch angehen, wenn der Hundesohn andere die Drecksarbeit für sich machen lassen will – schließlich bleibt dann weniger von der Beute für ihn – aber kaum dass sich das Blatt gegen die Angreifer wendete, hat er rücksichtslos unter die Kämpfenden gefeuert und viele von Seelöwes Leuten getroffen. Dieses wertlose Kumpanenschwein!

Und damit nicht genug ... Glatze hat gegen die Hänflinge von Elfen versagt, sein brennendes Schiff ist in Windeseile unter die anderen gesaust und hat sie in Brand gesteckt, doch gerade Schwarzbart hat einen Mordsdusel und entwischt den Flammen. Das stolze Schiff hingegen, das wie sein Kapitän Seelöwe heißt und in all den Jahren so viele ruhmreiche Schlachten durchstanden hat, ist verloren. Mit Tränen der Wut in den Augen sieht sich der Mann mit der blutroten Weste an Deck um. Nein, die Mannschaft kann das Feuer unmöglich unter Kontrolle bekommen. Ein Seelöwe tritt indes nicht kampflos ab!

„Zu mir, meine Furchtlosen!“, befiehlt er mit nur mühsam gezügeltem Groll in der markanten, tiefen Stimme. Während die Mannschaft zu ihrem Kapitän eilt, regt sich in diesem ein leiser Zweifel. Mit einem unwirschen Schnauben wischt er ihn aus seinen Gedanken. Nein, es war noch hell genug, Schwarzbart hat ganz sicher gesehen, dass dort eigene Leute kämpften, und seine Katapultmannschaft kann gar nicht so unfähig sein, dass man bei mehreren Salven mitten unter die Kontore von einem Versehen reden könnte. Das war volle Absicht!

„Wir können das Schiff nicht mehr retten.“, wendet Seelöwe sich an seine Leute, „Vielleicht können wir nicht mal mehr uns retten. Aber wir kämpfen bis zum letzten Atemzug wie die Löwen! Hier erwartet uns der Strang oder Schlimmeres. Dort erwartet uns das nasse Grab. Wir Löwen kämpfen uns einen Weg dazwischen frei – oder wir sterben bei dem Versuch. Kein Rechemer soll einen Löwen lebend fangen! Wir kämpfen mit Klauen und Zähnen!“

Trotz der verzweifelten Lage bricht die Mannschaft in zustimmendes Gejohle aus. „Aber vorher ...“, fährt Seelöwe fort, und der glühende Hass in seiner Stimme ist nicht mehr zu überhören, „vorher zeigen wir's dem Verräter. An die Katapulte, macht zwei Geschenke für ihn bereit!“

Grimmig deutet der Kapitän auf Schwarzbarts Schiff, das sich nur langsam entfernt und dabei den Hafen beschießt. Soweit das in der Dämmerung zu erkennen ist, schlagen die Geschosse nun unter den Verteidigern ein, aber das kümmert Seelöwe nicht mehr. Sofort eilen seine Leute zu den beiden noch nicht von den Flammen erfassten Katapulten, beladen sie und feuern auf Schwarzbarts verfluchten Kahn. Zwei Feuersäulen schießen dort an Deck empor.

Zufrieden grinsend wendet sich Seelöwe wieder an seine Leute: „Gut gemacht, Jungs! Und genauso wüten wir jetzt unter den Rechemern. An Land mit Euch! Für jeden toten Löwen sollen fünf Rechemer sterben! In dieser Gegend wird man unsere Namen niemals vergessen! Zeigt ihnen, warum man euch die Furchtlosen nennt!“

Während die Ersten das Schiff verlassen, wendet der kleine, dicke Mann mit der blutroten Weste sich noch einmal um und wischt sich eine Träne aus dem Auge. Mit fast religiöser Inbrunst kniet er nieder, streicht über die Planken und küsst seine Stolze, seine Tapfere, seine bis zuletzt Unbesiegte, sagt ihr zärtlich Lebewohl. Ja – der Tag, an dem sie untergeht, soll der Tag sein, an dem der Seelöwe zum letzten Male brüllt!

Als Letzter verlässt der Kapitän das Schiff. Seine Wut ist in eiserne Entschlossenheit übergegangen. Vielleicht schaffen es einige seiner Leute, diesem Gemetzel lebend zu entgehen ... und ein neues Schiff mit Löwen wird die Meere heimsuchen? Es sind mutige Kerle darunter, verzweifelte Seelen und auch ein paar Verrückte. Unter den anderen Piraten wird nicht grundlos gemunkelt, einige von ihnen – nicht ihr Schiff – seien im wahrsten Sinne des Wortes Seelenverkäufer.