Lu hörte inmitten des Meeresrauschens plötzlich Schritte und drückte sich dichter an die Holzplanken. Vielleicht war es so dunkel, dass der Besucher - ein Pirat? - ihn übersehen würde? Glücklicherweise entfernten sich die Schritte nach einer kurzen Verzögerung wieder. Kurz darauf vernimmt er plötzlich die Stimme einer jungen Ungeflügelten und ein Fauchen. Lu verdreht die Augen. Natürlich hatte auch er Hunger, aber dieser Mensch hatte scheinbar mit Miststück geredet und nicht mit ihm. Seine Nase verrät ihm allerdings, dass Katze und Ungeflügelte das gleiche ekelige Zeug essen, das auch in den Keksen auf dem Elfenschiff versteckt war.
"Warum bittest Du nicht einfach mich, Dir zu sagen, was ich bin?", fragt Lu etwas nörgelig in die Dunkelheit. "Ein Tier auf jeden Fall nicht."
Sarina schreckt auf der Bootskiste zusammen und zieht ihre Jacke unwillkürlich enger um sich. Spontan wünscht sie sich, dass doch lieber die Katze mit ihr geredet hätte als das dunkle, schuppige Bündel. Sie hatte Geschichten von blutrünstigen Seeschlangen gehört, die sich die angetrunkenen Seeleute nach einigen Humpen Rum schaudernd in der Gastwirtschaft erzählt hatten.
"Du kannst sprechen?", flüstert sie vorsichtig. "Du bist kein Tier? Wer bist Du dann?"
"Natürlich kann ich sprechen, du doch auch. Inzwischen spreche ich sogar eure eigenartige Menschensprache ganz passabel. Aber sprechen können alle Drachen von Geburt an. Erst über kleine Entfernungen mit dem Kopf und später auch mit der Stimme, so wie die Ungeflügelten."
"Ein Drache? Du bist ein richtiger Drache?", staunt Sarina und springt erschrocken von ihrem Sitzplatz auf. Sollte sie jetzt lieber schnell weglaufen? Aber irgendwie ist sie doch auch neugierig und bemerkt vorsichtig: "Ich dachte immer, die wären viel größer und stolz und majestätisch..."
Sarina schlägt die Hand vor den Mund, hoffendlich war das jetzt keine Beleidigung. "Ähhm, wo sind denn deine Eltern?", versucht die dann das Gespräch blitzschnell abzulenken. Ihr scharfer Verstand arbeitet nach dem ersten Schreck wieder mit gewohnter Schnelligkeit sie bemüht sich auch wieder ihre Stimme männlich tiefer klingen zu lassen.
"Ich bin noch ein kleiner Drache, mein Name ist LuSer", antwortet Lu ohne Arg. Schließlich ist er klein und gerade auch wenig stolz und majestätisch. Bei der Frage des Menschen muss er erneut an seine fernen Eltern denken und seufzt tief.
"Meine Eltern sind weit weg. Ich befürchte fast, meine Gefährten und ich müssen erst unsere Aufgabe erfüllen, bevor ich sie wieder sehen kann. Und wer bist Du? Weißt du wo meine Gefährten oder die Piraten sind?"
Neugierig versucht Lu sich aufzurichten und sinkt vor Schmerz stöhnend wieder zusammen.
"Wer ich bin? Ich heiße ..." Sarina stockt kurz "...Sarinus!". Ihre Stimme klingt plötzlich traurig. "Vor Jahren war ich das glückliche Kind guter Eltern. Dann starb mein Vater und meine Mutter. Vor kurzem wurde mein Großvater von den Piraten umgebracht... nun bin ich allein und schlage mich als Botenjunge durch." mit einer wütenden Geste wischt sie den aufkommenden Schmerz beiseite. "Würde ein Drachenjunge verstehen, warum sie sich als Mann verkleidet hatte?" überlegt sie kurz, aber dann holt das Stöhnen des Drachens sie wieder in die Realität zurück.
"Warum liegst du auf diesem Holzstück? Hast Du Schmerzen? Bist du verletzt?", sprudeln die Fragen aus ihr hervor. Vorsichtig nähert sie sich dem grauen Bündel.
"Meine Flügel sind ziemlich stark verletzt worden", konstatiert Lu sachlich, auch wenn er viel lieber selbstmitleidig jammern würde. Dann erzählt er kurz vom Angriff der Piraten, seiner Flucht, dem etwas glücklichen Angriff auf das Piratenschiff und seinem Missgeschick beim Retten der Katze. "Nun ja, die Freundlichkeit von Miststück hast du ja auch schon zu spüren bekommen", endet er.
Sarina hat mit immer größer werdendem Interesse zugehört. Ist die Vorstellung, dass ihr bei ihrer Flucht ein echter Drache - nun ja zumindest ein schuppiges Wesen, was sich als Drache bezeichnet - über den Weg läuft, schon mehr als abenteuerlich, so klingt die Erzählung von LuSer völlig unglaublich. Dennoch hat sie keinerlei Zweifel; denn die Schilderung des kleinen Schuppenbündels war so lebendig und voller selbst erlebter Emotionen, dass es schon eines erfahrenen Jahrmarkterzählers brauchte, solche Lügengeschichten zu verbreiten. Außerdem war ihre eigene Geschichte wohl kaum weniger abenteuerlich zu nennen.
"Ich weiß, wie die Piraten sind", schüttelt Sarina sich. "Wenn Du ein ganzes Schiff von denen verbrannt hast, dann bist du ja ein echter Held!"
Dann erzählt sie rasch, wie sie Lu ans Ufer gezogen hat.
Ein Held? Lu wendet diesen neuen Gedanken einige Male im Kopf, kann sich jedoch nicht wirklich damit anfreunden. Eigentlich hatte er nur viel Glück gehabt, diesen Lagerraum gefunden zu haben. Und seine Wut und Unbeherrschtheit? Sein Triumphgefühl? Nein, ein echter Held benahm sich sicherlich anders ... heldenhafter eben. Und er hatte ganz bestimmt nicht so eine große Angst wie er. Aber Sarinas Lob lässt ihn sich schon ein wenig besser fühlen.
"Nein, ein Held bin ich nicht. Da musst Du einmal Przyjaciel Stone kennenlernen! Und die anderen Gefährten! Das sind Helden!", begeistert er sich. Ehe Sarina ihn unterbrechen kann, hat er ihr schon eine kurze, euphorische Beschreibung seiner Gefährten gegeben. Erst dann erinnert er sich an seine Manieren und bedankt sich höflich für seine Rettung aus dem Meer.
"Ich muss möglichst schnell zu meinen Freunden. Ich muss ihnen beim Kampf gegen die Piraten helfen. Weißt du, wie der Kampf verlaufen ist? Ich muss unbedingt wieder fit werden. So werde ich nicht allzu weit kommen", sinniert er dann weiter.
In Lus Beschreibung des sympathischen Waldläufers hat Sarina sofort ihren Auftraggeber wiedererkannt. So viele Besucher hatte das Elfenschiff nicht, als dass hier eine Verwechslung möglich wäre. Vielleicht würde sie ihren Auftrag doch noch erfüllen können. Das käme ihrem ausgeprägten Gefühl für Ordnung und Verantwortung entgegen.
"Den Stand der Dinge in der Stadt kann ich dir leider nicht viel sagen", zuckt sie fast entschuldigend mit den Schultern. "Es gab schreckliche Kämpfe, viele Tote und Verletzte. Die Stadt brannte. Ich konnte mich gerade noch auf das kleine Boot retten."
Das Gefühl, zurück zu seinen Freunden zu müssen, wird für den kleinen Drachen immer dringlicher. Aber dafür brauchte er Heilung, Feuer!
"Ich muss etwas kräftiger werden. Dafür brauche ich Feuer, echtes Feuer, aus dem ich Energie für meine Heilung ziehen kann. Das Wasser hat mich geschwächt. Wäre es irgendwie möglich, dass du mir etwas trockenes Treibgut bringst, was ich dann entzünden kann? Mein Holzstück ist völlig wassergetränkt und wird kaum brennen."
Sarina betrachtet LuSer skeptisch. Er wird doch wohl hier kein offenes Feuer entzünden wollen. Nicht umsonst hatte sie sich so viel Mühe mit der Laterne gegeben. Andererseits brannten inzwischen sowohl die halbe Stadt als auch mehrere Schiffe im Hafen und auf dem Wasser. Ein kleines Feuer am Strand würde ebenso gut für ein angespültes Wrackteil gehalten werden können und beim derzeitigen Chaos wohl kaum Aufmerksamkeit erregen. Während sie noch zögert, sieht sie die Silhouette vor sich bereits auf das Ufer robben und selbst auf die Suche nach Brenngut gehen.
"Hey, warte!", ruft sie und ist mit wenigen schnellen Schritten heran. Der kleine Drache ist wirklich in einem jämmerlichen Zustand. Erleichtert lehnt Lu sich zurück und wartet ab, bis die nette Ungeflügelte trockenen Seetang und einige Holzstücke herangebracht hat. Sarina besteht darauf, dass sie das Feuer hinter einem steil aufragenden Felsen entzünden, um wenigstens ein wenig Blickschutz vom Wasser aus zu haben. Lu häuft das Treibgut auf und entzündet es vorsichtig. Dann schlängelt er sich eng um die Flammen und versucht sich erneut im Weben. Geschwächt wie er ist, wird er nur die gröbsten Blessuren heilen können. An Fliegen war in den nächsten Tagen ohne fachkundige Hilfe wohl kaum zu denken. Aber er musste wenigstens laufen können!
Sarina betrachtet Lus Aktionen mit sehr viel Skepsis. Weder erscheint es ihr heilsam, sich mitten in ein Feuer zu legen, noch wagt sie, überhaupt auf eine Wirkung der Behandlung zu hoffen. Immerhin hat sie so die Möglichkeit, sich das schuppige Geschöpf ein wenig genauer anzusehen, wie es so mit geschlossenen Augen im Feuerschein liegt. Nein, gefährlich sah es nun wirklich nicht aus. Erstaunlicherweise schien sich das Wesen wirklich in den Flammen wohl zu fühlen und sogar zu erholen.
Leider brennen die Flammen nicht entfernt so lange, wie Lu es sich gewünscht hätte. Aber immerhin fühlt er sich wieder kräftig genug, um aufrecht zu sitzen und zu laufen. Die glimmenden Reste strahlen immer noch Wärme aus.
"Danke, Sarinus! Nun hast Du mich heute schon zum zweiten Mal gerettet. Und was machen wir jetzt?"
In diesem Moment tritt Miststück erneut zu den beiden und legt eine fette Ratte vor Lus Pfoten. Nach dem Untergang der Piratenschiffe gab es genug entkräftete Ratten, die sich mit letzter Energie ans Ufer hatten retten können. Mit einem wie entschuldigend klingenden Maunzen verschwindet die Tigerkatze wieder in der Dunkelheit.
"Danke, dafür taufe ich dich ab jetzt Goldstück!", ruft Lu begeistert, bevor er sich über das unerwartete Mahl hermacht.
"Oh Du hast Hunger! Ich habe noch geräucherten Fisch im Boot! Was wir jetzt machen? Ich denke ich ziehe das Boot hoch bis an die Steilwand, dann liegt es auch wenn die Flut kommt noch auf dem Trockenen. Dort oben sind auch einige Löcher die von den Wellen ausgespült wurden. Wenn Du Dich in eine solche Kuhle legst und ich mich ins Boot lege könnten wir heute Nacht hier schlafen. Das Meer ist ruhig und ich denke hier sucht uns keiner. Morgen früh suche ich Dir dann noch etwas Holz. Notfalls verbrenne ich die Bootskiste. Dann überlegen wir weiter. Jetzt im Dunkeln kommen wir hier nicht weg. Morgen suchen wir Deine Freunde!"
Last edited by LuSer; 23/02/07 06:43 PM.