In der schmalen Gasse, in der die oberen Stockwerke so dicht gegen�ber liegen, dass sie sich fast zu ber�hren scheinen, ist es inzwischen so finster, dass man kaum die Hand vor den Augen erkennen kann. Normalerweise werden �ber vielen Hauseing�ngen in den D�mmerungsstunden kleine Laternen entz�ndet, aber heute sind alle Laternen dunkel und die enge Stra�e ist in tiefe Schatten getaucht. Nur oben, zwischen den Dachkanten der einfachen, zweist�ckigen H�user schimmert der durch die in der Stadt w�tenden Br�nde r�tlich gef�rbte Abendhimmel in die Gasse.

Mehr stolpernd als laufend und leise wimmernd hastet der junge Magierlehrling durch das G�sschen. Immer wieder strauchelt er �ber Unebenheiten in dem nur grob verarbeiteten Pflaster, die teure Robe ist v�llig verdreckt und an mehreren Stellen sogar gerissen. Knie und Handgelenke sind von St�rzen aufgesch�rft, und das sorgf�ltig gepflegte Haar klebt in der Stirn oder h�ngt zerzaust herab. Ein einfacher Lichtzauber, wie ihn jeder Adept der Magie bereits in den ersten Wochen seiner Ausbildung erlernt, k�nnte dem jungen Mann seinen Weg erheblich erleichtern. Doch inzwischen hat Galef die Vorteile der Dunkelheit zu sch�tzen gelernt: Mehrere Male kann er sich in engen Nischen oder Hauseing�ngen vor vorbeilaufenden Piraten verbergen, was ihm mit einem aktiven Lichtzauber unm�glich w�re. Und f�r eine weitere Illusion wie vorhin hat er momentan nicht die Nerven. Zu sehr hat ihn das Gemetzel entsetzt, das sein kleiner Zauber ausgel�st hatte.

Anders als die erste, randalierende Gruppe, auf die der Magierlehrling getroffen war und die die umliegenden H�user pl�nderte, scheinen die meisten der Gestalten, denen er jetzt begegnet, kein Interesse an den zweifelhaften Reicht�mern der Bewohner der einfachen H�user zu haben. Zielstrebig laufen sie den Weg tiefer in die Stadt hinein, ohne auf ihre Umgebung zu achten. Da sie sich keinerlei M�he geben, dabei leise zu sein, kann Galef den kr�ftigen M�nnern rechtzeitig aus dem Wege gehen, ohne selbst entdeckt zu werden. Wer vermochte schon zu sagen, ob sie nicht ganz beil�ufig ein Entermesser schwingen w�rden und ihm den Kopf abschlugen, wenn sie ihn bemerkten? Nur einmal w�re er beinahe mit einer unvermittelt vor ihm aufragenden Gestalt zusammengeprallt, die ihn aber kurzerhand beiseite stie� und ihren Weg hastig fortsetzte, als w�re sie vor irgendetwas auf der Flucht.

Endlich steht der junge Magierlehrling vor dem etwas schiefen Haus, hinter dessen Lehmw�nden Ernestines Eltern eine kleine Kammer bewohnen und wo er seine Geliebte vermutet. Die Gasse ist hier etwas breiter und die Schatten weniger tief. Vom nahen Hafen dringen Geschrei und Waffengeklirr her�ber. Ein pl�tzlicher Blitz taucht die Umgebung sekundenlang in gespenstiges Licht. Unheilverk�ndend rollt fast augenblicklich ein krachender Donnerschlag durch die Gasse und l�sst den Adepten vor Schreck erbeben. Die T�r h�ngt schief in den Angeln, der innere Riegel ist zerborsten. Der Eingang und die dahinter liegende, steile Stiege, die zu der Kammer f�hrt, liegen in v�lliger Finsternis. Entsetzt f�hrt Galef zur�ck. Die g�hnende Schw�rze hinter der T�r erweckt den Eindruck eines drohenden, uners�ttlichen Schlundes und birgt die fast greifbare Gewissheit eines unbeschreiblichen Grauens, das in den undurchdringlichen Schatten lauert.

Tinchen! verzweifelt Galef, der jetzt, wo er sein Ziel erreicht hat, nicht den Mut aufbringt, in die bedrohliche Dunkelheit des Hausflures einzutreten. Die Fantasie des jungen Magierlehrlings zeichnet grausame Bilder, die er hinter der aufgebrochenen T�r zu finden glaubt. Ein Schluchzen sch�ttelt den schm�chtigen, fast noch knabenhaft anmutenden K�rper. Sie werden doch nicht... Das darf doch nicht sein! Das ist doch nicht m�glich! denkt er und versucht, mit seinen Augen die Schatten zu durchdringen. Einen kurzen Augenblick flammt in dem J�ngling die Hoffnung auf, dass die junge Frau noch gar nicht bei ihren Eltern sondern irgendwo in der Stadt in Sicherheit ist. Allerdings will ihm derzeit kein Ort einfallen, an dem sie sich �blicherweise aufh�lt und der unter diesen Umst�nden sicher w�re. Ein pl�tzliches Poltern aus dem Obergeschoss l�sst ihn erneut zusammenfahren, und als der spitze Schrei einer Frau und der zornige Fluch eines Mannes an seine Ohren dringen, verlieren seine �ngste und Hoffnungen schlagartig an Bedeutung. Mit einem Satz taucht er ohne nachzudenken in die Dunkelheit des Hausflures ein, nur noch beseelt von dem Gedanken, zu seiner Ernestine zu eilen und ihr in ihrer Not beizustehen. Stolpernd st�rmt er die steile Stiege ins Obergeschoss hinauf, dabei mehrere Stufen mit einmal nehmend. Immer wieder verfehlt er in der Finsternis die schmalen Holzstufen und schl�gt der L�nge nach hin, w�hrend von oben der L�rm umst�rzender M�belst�cke zu h�ren ist. Die Augenblicke nach einem Sturz, in denen er hilflos auf den Stufen liegt und nach unten rutscht, werden zu einer nicht endend wollenden Tortur, in denen sich der Adept f�hlt, als w�rde ihm kurz vor dem Ziel der Boden unter den F��en weggerissen. Schlie�lich jedoch, nach einer schier endlosen Ewigkeit, erreicht er schluchzend vor Angst und Verzweiflung das Obergeschoss. Die T�r zu der von Ernestines Eltern bewohnten Kammer ist nur angelehnt. Durch den schmalen Spalt sickert etwas Licht. Ohne l�nger zu z�gern st��t Galef die T�r auf und st�rmt in den Raum. In dem kleinen Ofen in der Ecke flackert nur ein schwaches Feuer und taucht die Kammer in ein mattes, warmes D�mmerlicht. Ernestine steht hinter dem schlichten Tisch vor dem Fenster, das mit einem schweren Segeltuch verhangen ist. Von ihren Eltern ist nichts zu sehen; vermutlich sind sie bei ihrem Tagesgesch�ft von den Ereignissen noch in der Stadt �berrascht worden, und nur die G�tter mochten wissen, wo sie jetzt waren oder ob sie �berhaupt noch lebten. Das Haar der jungen, h�bschen Frau ist zerzaust, ihre Augen weit ge�ffnet und voller Zorn. In den H�nden h�lt sie drohend einen Sch�rhaken. Ihr gegen�ber, auf der anderen Seite des Tisches befindet sich ein ungepflegt wirkender Mann, der Galef den R�cken zuwendet und das Erscheinen des jungen Mannes noch nicht bemerkt zu haben scheint.

"Hab' dich nich' so, du Luder! Sonst muss ick dich wehtun!" dr�hnt er gerade gackernd und will sich angesichts des gegen ihn gerichteten Sch�rhakens und der wehrhaften Sch�nheit fast aussch�tten vor Lachen.

Mit einem Wutschrei springt Galef dem Grobian in den R�cken. Der Aufprall ist heftig genug, um den v�llig �berraschten Piraten aus dem Gleichgewicht zu bringen. Hilflos rudert er mit den Armen in der Luft, w�hrend der Magierlehrling mit seinen zierlichen F�usten wahllos auf den drahtigen Mann eintrommelt. Schlie�lich gelingt es dem Piraten, wieder festen Halt zu gewinnen und den so unvermittelt aufgetauchten Angreifer von sich zu sto�en.

"Was bist'n du f�r einer?" will er eher verbl�fft als ver�rgert wissen und be�ugt den Magierlehrling neugierig. "Der gro�e Held, eh? Retter aller Schlampen, wie?" Dr�hnend rollt das Gel�chter des Mannes ob seines vermeintlich erstklassigen Witzes durch den Raum.

Mit einem erneuten Zornesschrei st�rzt sich Galef wie von Sinnen auf den Piraten, jede Vorsicht und Furcht au�er Acht lassend. Doch obwohl seine Hiebe hageldicht fallen und seine F�uste ein rasendes Staccato auf den muskul�sen Oberk�rper seines Gegners trommeln, richten die Schl�ge des untrainierten Adepten kaum Schaden an. M�helos packt der Pirat, der sich inzwischen wieder vollkommen von seiner �berraschung erholt hat, beide Handgelenke seines rasenden Angreifers und versetzt ihm einen harten Sto� mit seinem Sch�del. Blut spritzt aus der Nase des zur�cktaumelnden Lehrlings und erstickt dessen Schrei. Der an Raufereien gewohnte Pirat setzt sofort nach, legt seine Hand um den Nacken des Magierlehrlings und zieht ihn zu sich heran, um ihm sein Knie in die Magengrube zu rammen. Als der Getroffene �chzend und nach Luft schnappend nach vorne klappt, packt er ihn an den Schultern und schleudert ihn mit Schwung nach vorne. Krachend prallt Galef mit voller Wucht gegen die Anrichte und sackt zusammengekr�mmt und st�hnend zu Boden. Blut sickert aus einer Platzwunde an der Stirn und der gebrochenen Nase, und die Kammer dreht sich vor den Augen des Lehrlings, als er versucht, wieder in die H�he zu kommen, aber kraftlos mit dem R�cken an der Wand wieder zur�cksinkt.

Was habe ich mir nur dabei gedacht! durchzuckt es ihn. Warum habe ich nicht meine Magie benutzt!

"Zeit f�r 'n Heldentod, Bursche!" kichert der Pirat am�siert, der breitbeinig unmittelbar vor Galef steht und jetzt langsam und gen�sslich einen kurzen Dolch aus dem G�rtel zieht.