So unvermittelt wie er eingesetzt hat, ist der Hagelschauer wieder vorbei. Mit ausdruckslosem Gesicht betrachtet Frollo den zu seinen Füßen in einer Blutlache liegenden Feldwebel Dranner. Der Fall des Wächters hat ihm nicht die erwartet Befriedigung gebracht. Der eigentlich auf den Hals gezielte Hieb war durch irgendetwas abgelenkt worden, und obwohl dem Hauptmann der Treffer schwer genug zu sein scheint, um den Feldwebel in die jenseitige Welt zu schicken, ist er für einen kurzen Augenblick versucht, dem hilflos am Boden liegenden mit seiner Klinge die Brust zu durchbohren - nur um wirklich sicher zu gehen. Schon hebt er die Hand, bereit zuzustoßen, da erinnert er sich im letzten Augenblick an die umstehenden Milizionäre. Einige der Männer haben den kurzen Disput zwischen dem Feldwebel und ihm mitbekommen und starren nun fassungslos auf den blutüberströmten Körper des alten Wächters hinab. Unter ihren ungläubigen, entsetzten Blicken lässt der Hauptmann den zum Stoß erhobenen Arm mit der blutigen Klinge langsam wieder sinken.
"Er hat sich mir entgegengestellt!" versucht er sich mit heiserer Stimme zu rechtfertigen. "Ich bin Hauptmann der Miliz und ihm vorgesetzt! Er hat mir den Gehorsam verweigert!" Erneut flammt Unsicherheit in ihm auf.
Ganz allmählich kommt Bewegung in die Milizionäre. Sie wenden sich dem Hauptmann zu, als würden sie nun Front gegen ihn machen. Bei so manchem werden die Augen zu schmalen Schlitzen, die Fingerknöchel der Hände, die die Waffen fest umspannen treten weiß hervor. Dann übertönt ein schriller Wutschrei den Lärm der Schlacht und lenkt die Soldaten für einen kurzen Moment ab. Über die Kämpfenden hinweg, deren erbittertes Ringen durch den kurzen Hagelschauer für einen Moment nachgelassen hat, trifft Frollos Blick den des jungen Korporals, dem Dranner das Kommando über die Verteidigungslinie übergeben hatte. Die Augen des Wächters sprühen vor Zorn und scheinen den Hauptmann regelrecht zu durchbohren, nageln ihn fest und verheißen sicheren Tod.
"Er hat Dranner getötet!" hört der Hauptmann den jungen Mann brüllen und sieht, wie dieser mit dem ausgestreckten Arm in seine Richtung deutet.
Nun, wo die Ereignisse laut beim Namen genannt wurden, steigt Panik in Frollo auf. Gehetzt rast sein Blick vom Korporal zu den in seiner Nähe stehenden Milizionären, deren Haltung ihm gegenüber immer drohender wird. Langsam weicht er zurück, stolpert über einen hinter ihm liegenden Körper, kann sich aber gerade noch fangen.
Von der Linie der Verteidiger steigt ein vielstimmiger Schrei auf: "Der Feldwebel ist gefallen! Dranner ist tot!" Bestürzt klingen die Stimmen herüber.
"Es… es war mein gutes Recht!" stammelt Frollo. Im Gesicht des grobschlächtigen Hünen steht blankes Entsetzen geschrieben, während er vor den langsam vorrückenden Milizionären weiter zurückweicht. Die Augen der Männer blicken hart und gnadenlos. Abwehrend hält der Hauptmann das blutverklebte Schwert vor sich. Ein Schauder überläuft ihn, als sein Blick auf das frische Blut an der scharfen Klinge fällt.
Immer lauter werden die Rufe unter den Verteidigern, werden von anderen aufgenommen und weitergegeben. Sie klingen jetzt zornig und voller Wut, und allein die Kraft, die in ihnen steckt, lässt die Piraten in ihrem blutigen Gemetzel innehalten und zurückweichen.
Als die Linie der Verteidiger aus ihrer Position wie ein einziger Mann hervorbricht und die entsetzten Piraten, die zwischen ihnen und Frollo stehen, regelrecht zur Seite fegen, wendet sich Frollo um und flieht in panischem Entsetzen vor dem entfesselten Zorn der Wächter und Milizionäre, dem nichts und niemand jetzt noch zu trotzen vermag. Das Grauen setzt übermenschliche Kräfte in dem frischgebackenen Hauptmann frei, und blindlings, ohne auf seine Gegenüber zu achten, bahnt er sich mit wuchtigen Schlägen eine Bahn durch die überraschten Piraten, dicht gefolgt von den Wächtern und Milizionären. Als sei er gegen den Stahl der Piratenwaffen gefeit wirft er sich verzweifelt vorwärts, seine Verteidigung völlig missachtend. Wohl wird er getroffen, gerät ins Taumeln, doch die sich stetig nähernden Rufe hinter ihm, die ihm sicheres Verderben verheißen, treiben ihn immer wieder voran. Verzweifelt pendelt sein Schwert hin und her, so manchen Piraten niederstreckend. In seiner rasenden Angst hört er nicht den Jubel der verstreut kämpfenden Verteidiger und Tempelritter, die von den Ereignissen um ihn und Dranner nichts mitbekommen haben, und ihn nun im Glauben, er würde die Wächter zu einem letzten, entscheidenden Sturmangriff selbstlos und todesmutig anführen, hochleben lassen und neuen Mut fassen. Nur fort, nur fort! Fort von dem blutigen Körper des Feldwebels, fort von dem Zorn seiner Rächer, fort von dem brennenden Blick des Korporals. Vielleicht konnte er alles ungeschehen machen, wenn er nur schnell genug weit weg von diesem verfluchten Ort käme!