Mkele erinnert sich an das Gesicht unter der Kapuze. Sie hat es einmal flüchtig gekannt, als er noch gutaussehend gewesen war, und sie war es gewesen, die ihn von seinen scheußlichen Brandwunden so gut es ging geheilt hatte. Innerlich seufzt sie kurz auf, denn damals hatten sie hier nicht so viele Zauberkundige gehabt, die in der Lage waren, Heilzauber zu sprechen. Sonst hätten sie ihm viel mehr helfen können ...
Aber trotz des Ernstes der Lage lächelt sie ihm kurz zu. Er ist ein guter Mensch, und das, was in seinem Herzen sitzt, macht sich auch durch seine Taten bemerkbar. Sein eigenes Schicksal hat ihn für das Schicksal der anderen sensibilisiert, und das honoriert sie jedes Mal aufs Neue.
Nachdem der Mann geendet hat, nickt sie ihm kurz zu. Sie versteht durchaus den Ernst der Lage. Das hier ist offenbar einer der Wächter, ein Mann des Gesetzes, wie sich der ehemalige Händler ausgedrückt hat, und er benötigt Hilfe.
Nun, so sei es. Er kämpfte gegen die Piraten, und vielleicht hilft es ihnen eines Tages, wenn er ein gutes Wort für ihr "Reich" einlegt. Beziehungen können nützlich sein.
"Wo genau sind seine Verletzungen ?" fragt Mkele den ehemaligen Händler, der daraufhin auf das Gesicht des Verletzten zeigt. Sofort deutet Mkele auf einen besonders exponierten Platz, eine Art steinernen Tisch, den gerade ein Helfer abfackelt, um unerwünschte Pilz- und andere Keime fernzuhalten.
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Hier sind alle Kräfte Mkeles gefordert. Dies ist eine der wenigen Gelegenheiten, an denen sie selbst ihre Zauberkunst einsetzen muß.
Während der Wächter auf einer Bahre auf dem grauen, uralten, steinernen Tisch liegt, von einem Zaubermittel betäubt, bereitet sich Mkele auf ihren schwierigsten Zauber vor.
Die Hexe und ein weiterer Zauberkundiger assistieren ihr. Mkele setzt sie als eine Art Notfall-Versorger ein, für den Fall, daß etwas schief gehen sollte. Der Zauberkundige konnte ein paar wichtige Heilungssprüche, deswegen war er so wertvoll für sie, obgleich sie ihn nicht näher kannte. Er hatte sich allerdings bereits mehrfach bewährt, weshalb sie ihn erlaubte, hier zu bleiben. Ihm war das recht, denn so brauchte er sich nicht durch die Wildnis zu schlagen, denn er war im Grunde ein gestrandeter Reisender, ohne Geld und ohne Gold. Und damit ohne Überlebensschance in dieser Stadt.
Zuvor hatten sie den Bereich mittels einem Gestellt mit hängenden Tüchern und Decken vom Rest der Halle abgeschirmt, und somit Mkele von den Blicken verborgen, damit sie sich voll und ganz auf diesen Schwerverletzten konzentrieren kann. Sie begibt sich in eine Art Trance.
Vorsichtig dringt ihr Geist in den Kopf des Schwerverletzten ein. Ihr Ziel ist es, die verletzten Strukturen zu "ertasten", damit sie ein Gefühl dafür bekommt, was repariert werden muß. Ob er sein Auge behalten wird, ist dabei noch völlig offen.
Im Schädel findet sie einige winzige Knochensplitter, von denen ein paar haarscharf an wichtigen Blutgefäßen liegen.
Vorsichtig zieht sie sie mit ihrem Geist-Körper heraus, eine Arbeit, die sie enorm anstrengt, vorbei an wichtigen Adern und Blutgefäßen, vorbei an wichtigen, noch gerade intakt gebliebenen Nervenenden, vorbei an den Resten des weitgehend zerstörten Auges ... bis sie am Rande der Augenhöhle heraussickern.
Leider blutet damit die Wunde wieder, aber Mkele weiß, daß sie und die anderen diese Blutung schnell wieder stillen können, daher geht sie dieses Risiko ein.
Nachdem diese Arbeit getan ist, dringt sie mit ihrem Geist noch einmal in den Schädel ein, um die Wunde zu inspizieren ... - offenbar hat die Dirne, die ihn versorgt hat, erstklassige Arbeit geleistet. Mkele ist beeindruckt. Die Wunde ist sauber.
In einer Kurzinspektion nimmt sie mit ihrem Geist ein Gesamtbild des Wächters auf, um festzustellen, ob es noch andere, bisher unentdeckte Wunden gibt, aber diese sind bereits ebenfalls versorgt worden. Auch dies beeindruckt Mkele. Sie beschließt, der Dirne einmal einen Besucht abzustatten, um sie persönlich kennenzulernen.
Dann, nach etwa einer halben Stunde schwierigster, tiefster Konzentration, wacht Mkele Mbembe wieder aus ihrer Trance auf. Erst jetzt bemerkt sie, daß ihr der Schweiß wie Wasser den Rücken herunterläuft. Sie fühlt sich total ausgelaubt.
Mit einer Hand wischt sie sich über die Stirn, ehe sie den beiden Assistenten Bescheid gibt, wie sie plant, weiter vorzugehen :
"Der Mann ist mein persönlicher Patient. Ich möchte, daß ihr ihm all eure Aufmerksamkeit gebt - eure besondere Aufmerksamkeit !
Hexe, ich möchte, daß du ihm einen Heilzauber zur Blutstillung über sein Auge und das ganze Gesicht sprichst. Er hat eine große Wunde dort, und er darf sich keinen weiteren Blutverlußt erlauben !
Ich habe einen anstrengenden Zauber gewirkt, um seine Verletzungen genau untersuchen zu können - jetzt brauche ich Ruhe ! Ich lege mich jetzt schlafen, und ihr weckt mich, wenn der Wächter aufwacht !"
Damit erhebt sich Mkele aus ihrem breiten, fast thronartigen Stuhl, und zieht die Decken und Tücher zur Seite, während der verletzte Wächter auf seiner Bahre von ein paar Helfern herausgetragen und an eine besondere Stelle in der Nähe der Türe zu Mkeles Kammer gelegt wird. Dort spricht die "Hexe" ihren Zauberspruch, bevor sie sich selbst ein wenig ausruht.
Mkele aber verschwindet nach einem prüfenden Blick über die Halle in ihrer Kammer. Sie fühlt sich diesmal wirklich erschöpft, und wird nun ein paar Stunden schlafen. Sie weiß, daß sie den Helfern in der Halle vertrauen kann, denn sie hat sie selbst ausgesucht.