Über Zwischen-den-Zeilen-lesen
... Und Terry Pratchett, ich sehe ihn ein bißchen an, wie ein Genie.
Aber „normale“ Leute würden mir ganz klar widersprechen. „Discworld“ („SCheibenwelt“) und Genie ? Nein, daran ist nichts geniales, noch nicht einmal etwas außergewöhnliches.
Sehen Sie, das liegt daran, wie Sie Terry Pratchett beurteilen.
Sie beurteilen ihn aufgrund seiner Bücher. Oder andersherum : Sie beurteilen seine Bücher auf Grund dessen, was drin steht, und nicht aufgrund dessen, wer es geschrieben hat und wie es geschrieben wurde.
Das ist genauso, wie wenn Sie einen Clown beurteilen : Ein Clown ist lustig.
Niemand aber kommt auf die Idee, einmal den Clown privat zu interviewen, und niemand kommt daher solche Meinungen zu hören wie „man muß sehr untelligent sein, um einen Dummen zu spielen.“ Ich gebe zu, daß ich noch nie in meinem Leben bisher einen Clown interviewt habe, aber es würde mich nicht ündern, wenn ich diesen Satz zu hören bekommen würde, wenn ich es täte.
Oder Hägar den Schrecklichen. Das Comic „Häger der Schreckliche“ lebt von der Vorstellung, von dem Klischee, es sei lustig, und dazu gedacht, jemanden zu unterhalten.
Niemand aber macht sich die Mühe, hinter die Kulissen zu schauen, weil er oder sie geblendet ist von dem Klischee, „Hägar der Schreckliche“ sei lustig. Niemand macht sich die Mühe, zwischen den Zeilen zu lesen
Nein, Dik Browne’s Hägar-Comics sind nicht alleine lustig, sie sind zudem auch weise. Aber das bemerkt niemand, weil sich niemand die Mühe macht, einmal zwischen den Zeilen zu lesen. Weil alle denken, das Comic sei lustig, weiter nichts.
Genauso ist es auch mit Terry Pratchett. Seine „Scheibenwelt“-Romane sind lustig, oder zumindest ist es das Klischee.
Wenige sehen mehr.
Zum Beispiel sehen nur die gebildeteren unter uns die vielen, ja unzähligen Anspielungen auf andere Dinge, Referenzen, Insider-Witze, „Ostereier“, und eingestreute Kommentare zu Dingen unseres täglichen Lebens, eingestreut wie Salzkörner in einer Suppe.
Oder wieviel Mühe darauf verwendet wird, diese Anmerkungen, Referenzen und dergleichen, in den richtigen, passenden Kontext einzustreuen, Referenzen übrigens, die sich auf die verschiedenartigsten Themen der Naturwissenschaft und Geisteswissenschaft beziehen, sichtbar nur für den, der a) bereit ist, zwischen den Zeilen zu lesen, und b) das zu diesem Erkennen nötige Hintergrundwissen hat. Das Fan-Projekt „The Annotated Pratchett File“ (APF) versucht, diesen Wissensschatz für alle gleichermaßen in verständliche Form zu gießen und aufzubereiten (und nicht zuletzt zu sammeln, denn diese Verweise und Referenzen müssen ja erst einmal gefunden werden, was für einen einzwelnern Lesetr sicherlich nicht ganz leicht ist).
Beurteilt man denn nun Terry Pratchett aufgrund - nicht ser „Lustigkeit“ seiner Bücher, sondern - aufgrund des breiten Wissens, das in seinen vierlfältigen Anmerkungen, Bemerkungen und Referenzen zu Tage tritt, dann gerate ich mehr und mehr zu der Meinung, daß dieser Autor ein sehr weites, und ebenso tiefes Wissen von vielen verschiedenen Wissensgebieten, sowohl Naturwissenschaft, als auch Geisteswissenschaft, besitzen muß.
In meinen Augen ist er ein Genie, verkleidet als Clown.
Andreas Krämer, 3.11.2003