Also schrieb der Zwiebelfisch (Ein Beispiel von vielen):
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Früher gab es eine Regel, die war so einfach und so logisch, dass es niemandem im Traum eingefallen wäre, etwas daran zu ändern. Sie lautete: Wird bei Zusammensetzungen aus Adjektiv und Verb nur das erste Wort betont, dann wird zusammengeschrieben; wird auch das zweite Wort betont, dann wird auseinander geschrieben. Und ob eine Fügung auf dem ersten oder auf dem zweiten Wort betont wird, richtete sich oft danach, ob ein neuer, ein übertragener Sinn entstanden war:

Man konnte seine Sache gut oder schlecht machen, und wenn man jemanden anschwärzen wollte, dann konnte man ihn schlechtmachen. Das ist heute anders, heute unterstreicht die Word-Rechtschreibprüfung das Wort "schlechtmachen" rot, wenn sie es nicht gleich automatisch in seine Bestandteile zerlegt. Früher gab es Aufgaben, die einem leichtfielen, und Bemerkungen, die leicht fielen, wenn man sich in Rage geredet hatte. Heute wird "leicht fallen" immer in zwei Wörtern geschrieben, ausnahms- und unterscheidungslos. Menschen, die leicht verletzt waren, waren eben besonders empfindlich, aber deshalb keineswegs immer gleich Unfallopfer, so wie die, die leichtverletzt waren. Da es heute nur noch "leicht verletzt" gibt, fällt auch hier die Unterscheidungsmöglichkeit weg.

Am deutlichsten wurde der Unterschied beim Friseur: Wenn der die Haare nur kurz geschnitten hatte, mussten sie deshalb noch nicht kurzgeschnitten sein. Heute ist die Zusammenschreibung von "kurz" und "geschnitten" nicht mehr erlaubt.

Die alte Regel richtete sich nach Betonung und Bedeutung der Wörter. Die neue Regel richtet sich nach Merkmalen, die längst nicht immer auf den ersten Blick erkennbar sind. Sie sieht Getrenntschreibung vor, wenn der erste Bestandteil ein Adjektiv ist, das gesteigert oder erweitert werden kann. Zusammenschreibung ist nur noch in den Fällen erlaubt, wo das Adjektiv absolut ist.

Eine ehemals organische Regel, die jedermann intuitiv beherrschen konnte, wurde durch eine abstrakte Regel ersetzt. Bevor man zwei Wörter zusammenschreibt, muss man sich Klarheit darüber verschaffen, ob sich das erste nicht vielleicht steigern oder erweitern lässt. Hat das die deutsche Rechtschreibung wirklich vereinfacht, so wie es die Reformer versprochen hatten?

Kreml-Flieger Mathias Rust war vor der Reform wohlbekannt. Ob er der heutigen Schülergeneration wohl bekannt ist?
Es wäre sicherlich interessant, sich hierüber mal mit einem Schüler zu unterhalten, der mit der neuen Orthografie großgeworden - Pardon: groß geworden ist. Vielleicht ist das alles für ihn ganz schlüssig. Wer seinen Schulabschluss noch nach den alten Regeln gemacht hat, für den ist das neue Prinzip der Getrennt- und Zusammenschreibung nur schwer verständlich. Es führte nämlich zu einer ganzen Reihe von Änderungen, die bis dato Gültiges teilweise ins Gegenteil verkehrten:

Früher wurde am Satzanfang groß geschrieben, während Tugenden großgeschrieben wurden. Heute ist es genau umgekehrt: Am Satzanfang wird großgeschrieben, Tugenden werden groß geschrieben.

Denn die Großschreibung am Satzanfang ist ein Absolutum, da kann man nicht mal größer, mal kleiner schreiben, sondern eben nur groß. Die Tugenden indes können zum Beispiel besonders groß geschrieben werden, "groß" ist also erweiterbar, und daher gilt hier Getrenntschreibung.

Wer gestern noch hochqualifiziert war, ist heute bestenfalls noch hoch qualifiziert, denn auch hier lässt sich das Adjektiv erweitern ("besonders hoch qualifiziert") oder steigern, sprich: Es könnte durchaus jemanden geben, der noch höher qualifiziert ist. Eine hochschwangere Frau ist hingegen nicht hoch schwanger; denn man unterscheidet normalerweise nicht zwischen höher und weniger höher schwangeren Frauen, "hoch" ist hier absolut gemeint, daher bleibt es bei der Zusammenschreibung.
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Ist dies nun eine Reform, die dem besseren Verständnis und dem leichteren Erlernen der deutschen Sprache dient <img src="/ubbthreads/images/graemlins/question.gif" alt="" /> (Auch Ziele der Reform!) <img src="/ubbthreads/images/graemlins/disagree.gif" alt="" />
Oder haben wir da nicht etwas an Differnzierungsmöglichkeiten und eindeutiger (!) Klarheit verloren?



In times of crisis it is of the utmost importance not to lose your head (Marie Antoinette)