Nun noch einige Worte zur OSCAR-Verleihung selbst:

Es war wohl eine der spannendsten Veranstaltungen seit langem und auf jeden Fall - angesichts der weltweiten Ereignisse überraschend - auch die IMHO unterhaltsamste, seit die Zeremonie in Deutschland im Free-TV übertragen wird (das müßte seit etwa 5 Jahren sein)! Moderator Steve Martin präsentierte sich in Galaform, wesentlich besser als bei seinem Debüt vor zwei Jahren, und das sogar ohne jegliche Showeinlage. Vielleicht sogar gerade DESHALB - den so konnte Martin sich voll auf seine zahlreichen gelungenen Gags konzentrieren, die den Irak-Krieg übrigens nur am Rande streiften ("Als ich für die Moderation dieser Veranstaltung vorgeschlagen wurde, bekam ich volle Unterstützung von allen Seiten - außer von unseren Freunden in Deutschland natürlich ..." <img src="/ubbthreads/images/graemlins/winkwink.gif" alt="" />:D).

Dennoch muß ich zugeben, daß ich nach der ersten Stunde ziemlich sauer auf die Academy war: Denn zu diesem Zeitpunkt hatte "Chicago" bereits FÜNF OSCARs abgeräumt und ich befürchtete, das würde sich sogar noch bis in den zweistelligen Bereich fortsetzen ... was einfach lächerlich gewesen wäre! Mal ehrlich; viele waren ja vor einigen Jahren schon sauer auf den OSCAR-Regen für "Titanic". Aber: "Titanic" ist zweifelsohne - trotz allen Kitsches - ein epochaler Film, ein Film, der in fast jeder Beziehung herausragend gemacht war ... insofern mußte man über die vielen OSCARs nicht glücklich sein, objektiv betrachtet waren sie jedoch auch nicht unverdient. "Chicago" dagegen ... wenn sich jemand in 20 Jahren die Liste der "Besten Filme" durchsieht und entdeckt im Jahr 2003 "Chicago", dann dürfte er sich fragen: "War das wirklich SO ein schwacher Jahrgang?" Sorry, aber "Chicago" ist einfach kein SO toller Film. Und jeder einzelne der anderen vier Nominierten in der Kategorie "Bester Film" hätte die Trophäe IMHO eher verdient gehabt!

Naja, aber dann wurde ich ja ziemlich schnell wieder versöhnt: "Die zwei Türme" gewann immerhin die beiden Kategorien, in denen er klar favorisiert war, in allen anderen verlor er gegen "Chicago". "Frida" schnitt mit ebenfalls zwei OSCARs auch gut ab. Und dann ging es los mit den RICHTIG großen Überraschungen ... Adrien Brody als bester Hauptdarsteller für "Der Pianist"! Das prognostizierte Duell zwischen Jack Nicholson und Daniel Day-Lewis hat also ein krasser Außenseiter gewonnen - keineswegs zu Unrecht! Zudem war Brodys Dankesrede meiner Ansicht nach die beeindruckendste des ganzen Abends, samt seines beeindruckenden Friedensstatements.
Das übrigens ganz im Gegensatz stand zu Michael Moores Tirade nach dem Gewinn des "Besten Dokumentarfilms" für "Bowling for Columbine" - Moore holte alle anderen in dieser Kategorie Nominierten mit auf die Bühne, da sie ein gemeinsames Statement abgeben wollten ... das jedoch in eine reichlich undiplomatische Schmährede gegen George W. Bush ausartete, was im Saal neben Applaus auch viele Buhrufe erntete - immerhin erstaunlich, daß Moores Auftritt NICHT sofort von den Verantwortlichen abgewürgt wurde. <img src="/ubbthreads/images/graemlins/winkwink.gif" alt="" />
Dann gab es eine persönliche Freude für mich: Nicole Kidman erhielt endlich den lange verdienten OSCAR als beste Hauptdarstellerin! <img src="/ubbthreads/images/graemlins/up.gif" alt="" />
Bei der Kamera ging Michael Ballhaus - wie befürchtet - gegen den verstorbenen Conrad L. Hall leer aus, ebenso der deutsche Beitrag in der Kategorie "Bester animierter Kurzfilm".
Dafür umso erfreulicher: Caroline Links "Nirgendwo in Afrika" gewann als erster deutscher Beitrag seit 1980 (Volker Schlöndorffs "Die Blechtrommel") den OSCAR als bester nicht-englischsprachiger Film! Leider konnte sie die Trophäe aufgrund einer Erkrankung ihres Kindes nicht selbst in Empfang nehmen.
Horst Buchholz hatte übrigens die Ehre, im alljährlichen "in memorian"-Film gefeatured zu werden; das schaffen auch nur ganz wenige Deutsche. R.I.P., Hotte!

Dann gab es auch schon die nächste Riesenüberraschung: ROMAN POLANSKI als "Bester Regisseur"! Kein Martin Scorsese (der tut mir langsam wirklich leid ... <img src="/ubbthreads/images/graemlins/winkwink.gif" alt="" />), auch kein Rob Marshall für "Chicago", nein, es wurde tatsächlich Roman Polanski gewählt! Herzliche Gratulation! <img src="/ubbthreads/images/graemlins/up.gif" alt="" />

Zu diesem Zeitpunkt - "Chicago" hatte seit fast zwei Stunden NICHTS mehr gewonnen! - war ich mir fast sicher, daß "Der Pianist" auch "Bester Film" würde ... doch dieser Preis ging dann leider doch an "Chicago". Dennoch: "Der Pianist" hat alle drei OSCARs in Hauptkategorien gewonnen (Regie, Hauptdarsteller, Drehbuch), "Chicago" von seinen sechs OSCARs nur zwei (Bester Film, Nebendarstellerin): "Der Pianist" ist also sogar der eigentliche Sieger des Abends!
Die allergrößte Überraschung gab es für mich jedoch in einer Nebenkategorie: In HUNDERT JAHREN hätte ich NIE gedacht, daß die Academy allen Ernstes den OSCAR für den besten Filmsong an einen RAPPER verleiht! Der zudem noch Eminem heißt ... <img src="/ubbthreads/images/graemlins/smile.gif" alt="" />

Große Verlierer gab es allerdings auch, und zwar sogar einige: Martin Scorsese "Gangs of New York": Null! Niente! Nothing! Nichts!
Stephen Daldrys "The Hours": Nur der Sieg für Nicole Kidman.
Todd Haynes´ "Dem Himmel so fern": Leer ausgegangen!
Ebenso die zweifach nominierte Julianne Moore.

Alles in allem eine überraschend unterhaltsame Veranstaltung mit vielen Highlights, zahlreichen Überraschungen und vielen guten Gags (v.a. von Steve Martin).
Heute abend um 20.15 Uhr wiederholt Pro7 die Verleihung, und zwar untertitelt (so war es zumindest in den letzten Jahren <img src="/ubbthreads/images/graemlins/smile.gif" alt="" />).