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Keine Gnade

Nur Blut, Schmerzen und Hass: Mel Gibsons unchristlicher Christus-Film

(Von Jens Jessen)

Zwei Stunden Blut, sickerndes Blut, spritzendes Blut, vertrocknendes Blut. Zwei Stunden Folter, platzende Haut, klaffendes Fleisch, mit Sachverstand durchbohrte Hände und Füße. Zwei Stunden Schadenfreude, höhnische Gaffer, triumphierende Plebs, lüsterne Priester und eine schweinisch begeisterte Soldateska. Zwei Stunden dauert Mel Gibsons Film über Leiden und Sterben Jesu, und nur selten zeigt er etwas anderes als die Großaufnahmen langsam und genüsslich zerstörten Menschenfleisches. Er schildert nicht Die Passion Christi, wie der Titel behauptet, es handelt sich um kein Heilsgeschehen, um keine Erlösung von den Sünden dieser Welt, die Jesus um der Menschen willen auf sich nahm. Es handelt sich um ein kalifornisches Splatter-Movie.

Mel Gibson mag fromm sein; sein Film ist es nicht. Er gibt kein christliches Bekenntnis, er liefert christliche Pornografie. Sein Werk (man scheut sich, es so zu nennen) ist auf unvorstellbare Weise dumpf und dumm und blasphemisch. Die Passionsgeschichte, wie sie die Evangelisten schildern, folgt einem Heilsplan Gottes. Judas, der Jesus verrät, Petrus, der ihn verleugnet, die Hohenpriester, die seinen Tod fordern, Pilatus, der ihn zur Kreuzigung freigibt, sie alle sind Werkzeuge dieses Heilsplanes. Sie werden schuldig, aber sie können nicht anders. Mehr noch: Auch sie werden durch Jesu Tod von ihrer Schuld erlöst. Das ist die Frohe Botschaft des Evangeliums.

Wollust der Folter

Von diesem Evangelium weiß und erzählt der Film nichts. Sein Evangelium ist vielmehr eine Frohe Botschaft für die S/M-Szene von Los Angeles. Es gibt keine Erlösung von dem Bösen, aber ein geheimes Frohlocken über das Böse. Es ist die zitternde Erregung des Masochisten in der Erwartung von Schmerzen. Es ist die sabbernde Gier des Sadisten, den ersten Schlag zu tun. Das entzückte Auge der Kamera ruht auf den entzückten Augen der Folterknechte, die mit jedem Schlag dem Ziel ihrer Wollust näher kommen.

Mit Genuss weidet sich Gibsons Fantasie an der Bosheit der Juden und Römer. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass er den Juden größere Bosheit beimisst, aber es gibt auch keinerlei Erbarmen mit den Sündern, wie es das Evangelium predigt. Dieser Genuss und diese Erbarmungslosigkeit sind es, von denen die sinistre Wirkung des Films ausgeht und vielleicht auch der antisemitische Eindruck, den manche Zuschauer in Amerika empfanden.

Mel Gibsons Film, selbst wenn man ihn nicht als blasphemisch bezeichnen wollte, legt einen befremdlichen und begeisterten Nachdruck auf alles, was an der Passionsgeschichte nicht als christlich, sondern als heidnisches Opferspektakel aufgefasst werden könnte. Darin liegt eine doppelte Ketzerei: einmal gegen das Alte Testament, dem doch die Befreiung des Volkes Israel vom menschlichen Blutopfer zugrunde liegt, und das zweite Mal gegen das Neue Testament, das die Vergebung der Sünden verheißt. Gibsons Film lehrt nicht die Versöhnung, sondern die Unversöhnlichkeit. Die Guten bleiben die Guten und die Bösen die Bösen. Das ist nicht christlich, sondern gnostisch, vorsichtig gesagt. Man könnte auch sagen: Er predigt nicht die Liebe, sondern den Hass.

Das alles ist unfassbar traurig und dumm. Es ist aber auch unfassbar langweilig und lächerlich. In die Leidens- und Gewaltbegeisterung Mel Gibsons kann sich kein Zuschauer einfühlen, der diese Obsession nicht teilt. Es ist mit diesem Werk ein wenig wie mit Fassbinders kurioser später Genet-Verfilmung Querelle, in der unablässig muskulöse Matrosen auf einem Schiff hin und her laufen, es nimmt überhaupt kein Ende mit dem Auf-und-ab-Spazieren. Dem Heterosexuellen bleibt die besondere Schönheit dieser Szene naturgemäß verborgen; genau so, wie sich dem Homosexuellen der Reiz von David Hamiltons Zärtlichen Cousinen nur mühsam erschließt. Das ist unausweichlich; es ist aber auch komisch, und von dieser traurigen Komik hat Mel Gibson mehr in seinen Film eingeschleppt, als ihm bewusst sein dürfte.

Es gibt nämlich nicht nur eine Pornografie der Sexualität, sondern auch eine Pornografie der Gewalt. Beide lassen sich leicht an einem Indiz erkennen: Es ist die Verkümmerung der Handlung zu einem bloßen Vorwand. Bei Mel Gibson bleibt von der Vorgeschichte der Passion nur das Gebet Jesu in Gethsemane; und schon die Gefangennahme vollzieht sich als Orgie der Gewalt. Sie setzt auf dem denkbar höchsten Pegel ein und wird auch durch die Verhandlungen der Hohenpreister mit Pilatus nur unterbrochen, aber niemals so lange, dass der gewaltlüsterne Zuschauer sich etwa betrogen fühlen könnte. Pornografie duldet keine Ablenkung von der Hauptsache.

Sohn des Teufels

Unfassbar lustlos ist auch die Schilderung der Nachgeschichte, das heißt der Auferstehung. In der Grabhöhle scheint Jesus, vom Leichentuch umhüllt, zu liegen; vielleicht aber auch nicht, denn das blütenweiße Paket ist offenbar hohl, es sackt in sich zusammen wie ein Schlauchboot, aus dem die Luft entweicht, und dann erscheint Jesus frisch und wohlgemut am linken Bildrand und schreitet von dannen.

Noch ärgerlicher und verräterischer als die Beiläufigkeit der Rahmenhandlung sind aber die Hinzuerfindungen Mel Gibsons. Er hält sich im Allgemeinen an die Evangelien, wobei er sich freilich für keines entscheiden, sondern das Beste aus allen vier haben will. So offenbart sich Jesus nicht nur selbst den Häschern (nach Johannes), sondern wird außerdem noch zur sicheren Identifizierung von Judas geküsst (nach Matthäus, Markus, Lukas). Aber bei der Kreuzigung überkommt Gibson dann doch die Lust auf ein zusätzlich saftiges Detail. Dem mitgekreuzigten Verbrecher (es ist nur einer statt der biblischen zwei) hackt ein Rabe das Auge aus, tief taucht er in die blutige Höhle ein, nachher ist das ganze Köpfchen feucht verschmiert.

Begeisternd dagegen (um einmal etwas Nettes über den Film zu sagen) ist eine andere Hinzudichtung. Es ist der Teufel, der gelegentlich zwischen anderen Passanten durchs Bild läuft. Er hat das androgyne Gesicht eines Transvestiten; einmal krabbelt ihm eine Made ins Nasenloch. Man kennt ihn aus der Szene in Gethsemane, wo er Jesus beim Gebet durch Einflüsterungen des Zweifels stört; eine Schlange schlüpft unter seinem Gewand hervor, man ahnt den Pferdefuß. Das alles ist von köstlicher Blödheit, aber die köstlichste Szene ist doch die, wo der Teufel ein Baby an der Brust trägt. Gibson verrät hier einen Sinn für Gerechtigkeit, den man nicht erwartet hätte. Wenn Gott ein Menschenkind haben darf, will Gibson es dem Teufel nicht verwehren. Natürlich sieht es recht garstig aus; aber auch der Teufel blickt mit Fortgang der Passion immer missmutiger. Dass Jesus so gar nicht aufgeben will, schlägt ihm auf die Laune.

Der unfreiwillige Humor, den Gibson hier ein zweites Mal beweist, könnte am Ende versöhnlich stimmen. Aber vielleicht hat der Regisseur keineswegs nur seinen privaten Besessenheiten nachgegeben (deren Zurschaustellung immer peinlich ist). Vielleicht hat er im Gegenteil kühl kalkuliert, dass die Gewalt, die in den letzten Jahren zum beherrschenden Motiv des zeitgenössischen Films aufrückte, auch das geeignete Medium für eine Aktualisierung der Passionsgeschichte abgeben könnte. Vielleicht meint er, dass Jesu Blut, das sein Film bis zum Exzess feiert, überhaupt das Einzige ist, mit dem sich das Evangelium filmisch attraktiv machen ließe. Das hieße freilich, dass sein Film weder dumm noch privatistisch wäre – sondern ein schreckliches Zeichen für die Verfassung unserer Gegenwart.

(Quelle: DIE ZEIT 04.03.2004 Nr.11)


Nigel Powers: "There are only two things I can't stand in this world. People who are intolerant of other people's cultures... and the Dutch!"