Oh, es kommt noch viel besser!
Einige empfehlen sogar schon:
"Abandon All Hope!"Und das ziemlich unaufgeregt, mit nüchtern auf Fakten aufbauenden Szenarien vor recht umfassenden Horizont, sowohl erdgeschichtlich bzw. anthropologisch als auch klimatechnisch.
Klimawandel - Grillfest am Ende eines kurzen Sommers[/b][b]Alaska wird löchrig, die Tiere fliehen nach Norden, und alle
Prognosen wurden vom Schmelzwasser überholt: Zwei Bücher zeigen,
wie tief wir schon im Klimawandel stecken.
Von Alex RühleOft geht es einem mit Umweltbüchern wie einem Durstigen mit einer
Tüte Zwieback: Ein einziges sprachkarges Gebrösel aus Zahlen und
Statistiken, das den Wissensdurst nur verstärkt. Oder aber man
verspürt schnell diesen pappigen Kirchentagsekel, weil Pamphletöses
mit Mahnendem verrührt wird.
Tim Flannery aber hat mit „Wir Wettermacher“ eine Art Weißbuch
der Klimaforschung geschrieben, das sich liest wie ein Krimi.
...
Klimageschichtlich ist der Mensch schlicht Nutznießer eines einmalig
schönen, ruhigen Sommertags. Ackerbau, Viehzucht und Kultur konnten
überhaupt nur entstehen, weil vor 8000 Jahren ein mildes Allzeithoch
einsetzte, wie man es sonst aus der jüngeren Klimageschichte nicht
kennt.
Das erklärt, warum die Menschen all die Jahrtausende zuvor als Jäger
und Sammler umhergezogen sind, ohne Häuser bauen, Tiere domestizieren
und ab und zu ein Gedicht schreiben zu können. Das Einzige, was
von ihnen blieb, sind ein paar Höhlenzeichnungen und Mastodonknochen.
Entscheidende Ereignis der MenschheitsgeschichteDamals versiegte immer wieder der Golfstrom, was zu extremen
Klimaschwankungen führte. Die Temperaturkurve jener Jahrtausende
muss ausgesehen haben wie eine expressionistische Fieberkurve. „Und
dann wich der klimatische Irrsinn plötzlich der gelassensten Ruhe... Der
nun schon 8000 Jahre währende Sommer ist zweifelsohne das
entscheidende Ereignis der Menschheitsgeschichte.“
Was aber macht der Mensch am Ende dieses Sommers? Er startet das
größte Grillfest in der Geschichte des Planeten und bläst täglich sechs
Millionen Tonnen Kohlendioxid in die Luft.
Für Flannery ist es nur noch eine Frage von Jahrzehnten, bis die
Menschheit ähnlich verheerende Klimaumstürze durchleiden muss wie
damals, als sie unbehaust über die Kontinente zog.
Die Tiere haben weltweit schon 1950 begonnen zu wandern: Die
Artenverteilung verlagert sich seither pro Jahrzehnt sechs Kilometer in
Richtung der Pole und um sechs Meter die Berghänge hoch. Dennoch
sind sie zu langsam, als dass sie dem Klimawandel entkommen
könnten. Der Biologe Chris Thomas von der University of Leeds
untersuchte 1103 Pflanzen- und Tierarten an den verschiedensten
Orten der Erde im Hinblick auf ihre Überlebenschancen.
Wenn heute Abend alle Kohlekraftwerke abgeschaltet würden und die
Menschen nur noch Rad führen, würde sich die Erde um 0,8 bis 1,7 Grad
aufheizen. Selbst in diesem Märchenszenario würden zwanzig Prozent
der Tiere aussterben.
Ein Großteil des Kohlendioxid, das im Ersten Weltkrieg von Kohleöfen an
der Front von Verdun aufstieg, heizt noch heute die Atmosphäre an.
„Die Auswirkungen der Treibhausgase, die bereits heute in der
Atmosphäre sind, werden erst um 2050 zu spüren sein.“ Bis dahin aber
sollen nach heutiger Planung weltweit nochmal 1500 Kohlekraftwerke
dazukommen.
Von L.A. wird bleiben der WindDie Halsband-Lemminge werden bis dahin verschwunden sein. Von
ihnen wird nur die falsche Redensart bleiben, die ihnen der Mensch
verpasst hat, das einzige Wesen, das tatsächlich offenen Auges auf
den Abgrund zurast: 1961 verbrauchten die Menschen die Hälfte der
Gesamtressourcen, die das globale Ökosystem nachhaltig zur
Verfügung stellen konnte.
1986 war unser Hunger schon so groß, dass wir die gesamte
nachhaltige Produktion der Erde aufbrauchten. Seither betreiben wir
Raubbau, leben auf Pump, plündern die ökologische Kapitalbasis.
Sollten 2050 tatsächlich neun Milliarden Menschen auf der Erde leben,
bräuchten sie die Ressourcen von zwei Planeten.
Es gibt aber nur einen. Eine blauweiße Kugel, von der es kein
Entkommen gibt....
Das ist vielleicht das Unheimlichste an beiden Büchern: Der leise Ton, in
dem die Forscher, die zu Wort kommen, sich darüber wundern, dass
ihre Prognosen, die ohnehin nicht allzu optimistisch waren, von der
Wirklichkeit überholt werden.
Flannery selbst beschloss dieses Buch zu schreiben, als er 2004 las,
dass Grönlands Gletscher zehnmal schneller abschmelzen als erwartet.
Kolbert fuhr mit einem Geophysiker durch die Weiten Alaskas, dessen
Böden überall wie morscher Dielenboden einbrechen: Der
Permafrostboden ist durchsetzt von Eiskeilen, die bis zu hundert Meter
mächtig sein können.
Da er langsam auftaut, öffnen sich erdbebengroße Risse in den
Straßen, Häuser brechen ein, ganze Wälder sehen aus, als seien die
Bäume betrunken. Das ist schlecht für die Immobilienpreise und für die
Autofahrer.
Noch viel schlechter aber ist, dass sich abgestorbene
Pflanzen, die seit Jahrtausenden in den Frostböden konserviert
wurden, zersetzen.
450 Milliarden Tonnen Kohlenstoff sind in den Permafrostböden
gespeichert. „Es ist wie bei einem Fertiggericht, man erhitzt es leicht,
und schon fängt es an zu kochen“, sagt der Geophysiker, während er
mit Kolbert durch die zerlöcherte Tundra schunkelt.Klimanomaden auf den KanarenViele Klimabücher enden nach rundum apokalyptischem Panorama mit
einem überraschenden Kapitel, in dem die Vernunft Hand in Hand mit
einem so unerschütterlichen wie kiefermahlend muskulösen Idealismus
plötzlich doch noch alles regelt.
Bei Flannery und Kolbert wird gar nichts mehr gut.
... "
Ragon