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Was es allerdings mit Ehre zu tun haben soll, einer Frau in den Kopf zu schiessen, weil sie den Mann verlassen hat, nachdem er sie jahrelang misshandelt hat, kannst Du mir als Kenner sicher besser erklären...

Ich denke, ich habe schon zu Protokoll gegeben, daß ich solche Taten nicht gutheiße. Auch stehe ich nicht in Gefahr, solch einer Denkart nachzugehen, um sog. "Ehrenmorde" gutzuheißen. Insofern würde ich mich nicht als "Kenner" bezeichnen. Gutmütig wie ich bin, nehme ich an, daß Du gemeint hast, daß ich aufgrund meiner Herkunft ein "Kenner" der kulturellen Hintergründe bin. Oder sollte ich mich täuschen? <img src="/ubbthreads/images/graemlins/suspicion.gif" alt="" />

Abgesehen davon möchte ich Marian zustimmen... Basel liegt nicht in der Türkei. Wenn dort Frauen erschossen werden, ist es zwar genauso schändlich wie Morde in der Türkei, und auch sehe ich den Zusammenhang, trotzdem ist es in erster Linie ein Schweizer Problem, wenn die Bürger erschossen werden, genauso wie es ein Deutsches Problem ist, wenn hier deutsche Bürger erschossen werden. Man darf nicht vergessen, daß die junge Frau, die hier unlängs erschossen wurde, eine Deutsche war. Zwar türkischer Herkunft, aber trotzdem eine Deutsche.

Und ja, Deine Aussage ist überspitzt und verallgemeinernd und zudem auch noch so unnötig wie noch etwas.

Zur Verallgemeinerung: Wenn wir verallgemeinern wollen, könnten wir ja auch "die Deutschen" als Volk von Kinderschändern brandmarken - schließlich liest man andauernd in den Medien von Kinderleichen in Deutschland. Und solch ein Land in der EU?! Undenkbar. Daß dieser Ansatz vollkommen bescheuert ist, dürfte jedem klar sein. Aber im Falle der Türkei ist es ja auch nicht anders. Nur weil Du in den Medien, die Du liest, daß es "halt einfach ziemlich viele 'patriarchalische Vollidioten'" dort gibt, heißt das noch lange nicht, daß das der Alltag in der Türkei ist.

Zur Überspitzung: Ich habe nicht behauptet, daß solche sinnlosen Morde in der Türkei nicht vorkommen. Allerdings finde ich es fahrlässig so zu tun, als ob sie scheibar an der Tagesordnung wären, denn das ist nicht der Fall. Aber sicherlich ist jeder noch so seltene "Ehrenmord" verwerflich, insofern ist die Frage, was dagegen getan wird. Im Zuge der juristischen Modernisierung der Türkei für den Einzug in die EU wurde vor einiger Zeit z.B. ein Gesetz gekippt, daß bei solchen "Ehrenmorden" strafmindernd wirkte. Nun ist es eine Unverschämtheit, daß solch ein Gesetz überhaupt vorhanden war, aber man kann sich statt darüber aufzuregen, auch darüber freuen, daß das Gesetz endlich weg vom Fenster - zu einem gewissen Teil ein Verdienst der möglichen EU-Mitgliedschaft. Ich bezweifle übrigens, daß dies in den so geschätzten Medien breitgetreten wurde.
Ein anderer Aspekt dieser eventuellen Mitgliedschaft ist der "Erziehungseffekt". Es mag sein, daß die Türkei vor allem in ländlichen Gebieten im Landesinneren und im Osten (in den Großstädten weht schon seit langer Zeit ein sehr moderner Wind und da dürften solche "Ehrenmorde" nur in Ghettos der Armen vorkommen, die man de facto auch zu diesen ländlichen Gebieten zählen kann) noch dümmlichen Traditionen angehangen wird - das muß nicht einmal dieser "Ehrenmord" sein, sondern kann auch ungleich harmloser, aber dennoch total überholt sein wie etwa der Brauch, daß ein Mann die Frau seines Bruders zur Frau nehmen muß, wenn dieser ums Leben kommt, oder etwa die (im übrigen nicht nur in der Türkei sehr beliebte) Gier nach Jungfrauen in der Ehe und damit einhergehende Verpönung von Sex vor der Ehe - selbstverständlich nur bei Frauen.
Aber wie soll man solche eingefahrenen Probleme anders lösen, als mit Hoffnung, Modernisierung, Geld, Arbeit etc.? Es wurde schon oft gesagt, daß die EU bei der Erweiterung nicht nur an sich selbst denkt, sondern auch an die Staaten, die aufgenommen werden sollen. Es geht um die Synergieeffekte, die eine Aufnahme oder sogar Gespräche um eine Aufnahme mit sich bringen. Ich werde nicht müde darauf hinzuweisen, daß der Ausblick auf die EU-Mitgliedschaft einen dermaßen positiven Effekt auf die Türkei hat, daß alleine schon die Vorgespräche und Verhandlungen mehr Veränderungen gebracht haben als die letzten 20 Jahre.

Aber das scheint noch nicht bis zur Schweiz durchgedrungen zu sein...


P.S: Zu der Annahme, daß die genannten jungen Männer solch eine Tat gutheißen: Zum einen handelt es sich um junge Teenager, die man kaum ernst nehmen kann... wie oft hast Du, Fenwulf, in Deiner Jugend Sachen gesagt, die Du so nicht gemeint hast? Wie oft hast Du den Ernst einer Lage nicht richtig einschätzen können und hast einfach Blödsinn von Dir gegeben?
Zum anderen frage ich Dich: Wenn nun in Mainz GWB erschossen werden würde - was denkst Du, wie viele Leute sagen würden, daß sie das gutheißen? Und wie viele Leute würden dabei ernsthaft nachdenken?


Nigel Powers: "There are only two things I can't stand in this world. People who are intolerant of other people's cultures... and the Dutch!"