Um mal wieder auf das eigentliche Thema zu kommen:

DIE RHEINPFALZ — NR. 278 o
HINTERGRUND
MONTAG, 29. NOVEMBER 2004

Wie türkische und arabische Jugendliche ihr Leben in Deutschland sehen - Islam spielt wichtige Rolle
Türkische Jugendliche sind stolz auf ihre Herkunft. Viele haben Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache. Der Islam spielt für sie eine wichtige Rolle, Das alles sind Ergebnisse von Untersuchungen. Aber wie sehen türkische und arabische Heranwachsende ihre Situation selbst? Beispiele aus Ludwigshafen.
„Hey, Mann, lass“ der 14-jährige Ibo schnauzt seinen Freund Savas an, der ihn zum Billard-Tisch ziehen will. Savas reagiert mit einem Schwall deutscher und türkischer Schimpfwörter. Der Umgangston ist rau. „Das istt normal. Wir nehmen‘s net krumm‘, erklärt Ibo. Unter der Woche kommen die beiden fast jeden Tag in das Joseph Schwartz-Haus in Ludwigshafen-Hemshof, einem Stadtteil mit einem sehr hohen Ausländeranteil. Mit von der Partie ist an diesem Nachmittag auch Lawin, Kurde aus Irak und 14 Jahre alt.
In der katholischen Jugendfreizeitstätte sind 99 Prozent der Besucher - zwischen 50 und 100 täglich - türkische oder arabische Jugendliche. Man(n) - Mädchen betreten das Haus nicht - ist unter sich, die Umgangssprache: ein Mix aus Deutsch, Türkisch, Arabisch.
Lawin geht auf die Realschule, lbo und Savas (13) besuchen die siebte beziehungsweise achte Klasse einer Hauptschule, in der über 8o Prozent der Schüler Ausländer sind. Das Gros tut sich schwer mit der deutschen Sprache und hat Probleme, ein gutes Abschlusszeugnis zu erreichen.
Viele ohne Schulabschluss
Jedes fünfte Migrantenkind in Deutschland hat keinen Schulabschluss. Bei den jungen männlichen Türken verlassen 70 Prozent die Schule ohne oder mit geringem Abschluss. Ihnen fehlt auch oft von Zuhause der Anreiz, nach höherer Bildung zu streben. Martina Sauer, Wissenschaftlerin im Zentrum für Türkeistudien an der Universität Essen, spricht von „Bil- dungsfernen sozialen Schichten“, die es aber auch unter Deutschen gebe. Die Folgen: Die Chancen auf einen qualifizierten Beruf sind gering, das Gefühl wächst, ausgegrenzt zu sein, nicht dazuzugehören. Martina Sauer sieht einen wichtigen Ansatz- punkt in der frühkindlichen Sprachförderung .„ Wenn sich in der Schule die Probleme zeigen, ist es meist zu spät.“ Als positives Beispiel führt sie Nordrhein-Westfalen an. Dort werden alle Kinder ein Jahr vor der Einschulung einem Sprachfeststellungstest unter- zogen. Wer Defizite aufweist, wird in speziellen Kursen g fördert.
Für Ibo und Savas gab es diese Förderung nicht. Ihr Deutsch haben sie auf der Straße oder in der Schule gelernt. Deutsche Freunde haben sie keine, und auch im Fußballverein kicken sie unter Landsleuten. Zwar spielt nach einer Studie bei der Auswahl der Freunde die ethnische Herkunft eine untergeordnete Rolle. Wichtiger sind persönliche Eigenschaften. Trotzdem bleiben viele ausländische Heranwachsende unter sich. In der Schule und im Wohnviertel seien nun einmal fast nur Türken und Araber, sieht Ibo einen Grund,
Ibo und Savas sind in Deutschland geboren. Ihre Väter kamen einst aus der Türkei. Lawin kam als Kleinkind mit seinen Eltern aus Irak. Zu Hause wird türkisch beziehungsweise ara- bisch gesprochen, laufen türkische oder arabische Fernsehsender. Die Mütter der drei Jungen sprechen nur wenige Worte Deutsch.
Das zumindest soll sich mit dem neuen Zuwanderungsgesetz ändern. Von 2005 an sind lntegrationskurse für Neuzuwanderer und Spätaussied1er vorgeschrieben. Diese Kurse wer- den mit 264 Millionen Euro überwiegend vom Bund finanziert und umfassen einen Deutschkurs von Goo Stun den sowie 30 Stunden Orientierung über die deutsche Rechtsordnung, Kultur und Geschichte. Bundesweit rund 8oo Einrichtungen -Volkshochschulen und private Träger - sollen jährlich bis zu 200.000 Ausländer betreu en, darunter etwa 6.ooo Ausländer, die seit Jahren hier leben und noch immer nur über bruchstückhafte Sprachkenntnisse verfügen. Es könne nicht schaden, dass die Heiratsmigranten die hiesige Sprache lernen, befürwortet Sauer diese Regelung. Doch die schulischen und sozialen Probleme vieler türkischer und arabischer Kinder würden dadurch nicht gelöst.
Nach einer Untersuchung über türkische Jugendliche in Berlin sind weder Schulbildung, Sprachkompetenz noch Pass die entscheidenden Faktoren für den Grad der Anpassung - wohl aber das kulturelle Kapital der Familie, der Erziehungsstil der Mutter so- wie die Religiosität der Familie. Und der Islam spielt bei den Jugendlichen eine große Rolle. Das Zentrum für Tür keistudien sieht unter den europäischen Muslimen gar einen Trend hin zur Religion, aber weg von islamischen Organisationen. So würden 88,9 Prozent der Jüngeren (i8- bis 25-Jährige) die religiösen Speisevorschriften weiter befolgen. Bei den über 60-Jährigen seien es 89,2 Pro- zent. Dagegen stehe der regelmäßige Moschee-Besuch bei den Jüngeren nicht mehr hoch im Kurs: Nur 13 Prozent der i8- bis 25-Jährigen besuchten regelmäßig die Moschee, gegenüber 50 Prozent bei den Älteren.
Ibo und Savas gehen mehrmals die Woche in die Moschee, halten die Fastenregeln im Ramadan ein, besuchen die Koranschule. Mehr als 2500 Koran schulen gibt es nach Schätzungen von Experten in Deutschland. Die Kurse im Auslegen des heiligen Buches erfol- gen meist kostenlos und auf Arabisch. 15 Prozent aller muslimischen Kinder sollen 2003 eine Koranschule besucht haben. lslamunterricht auf Deutsch in den Schulen gibt es bisher noch nicht flächendeckend.
An ihrer christlichen Umwelt fällt Lawin und Ibo auf, dass viele Christen ihre Religion nicht ernst nähmen. „Die machen Witze über ihre Religion oder sagen ‚Bin ich Jesus?“ Das würden Muslime nie über ihren Propheten sagen, sind sich die drei Jungs einig.
Auch wenn es um das Bild der Frau geht, herrscht Übereinstimmung. „Die Frau ist für den Haushalt und die Kinder da, der Mann arbeitet“, findetLawin es richtig, wie in seiner Familie die Rollen verteilt sind. Und auch bei Savas, dessen Vater eine Kneipe hat, sind die Regeln klar: Seine Mutter gehe morgens in das Lokal zum Putzen, doch bevor um elf Uhr die Männer kämen, würde sie gehen.
Die drei Jungs fühlen sich in Deutschland, genauer in Ludwigshafen, wohl. Ibo und Lawin haben gar die deutsche Staatsbürgerschaft, sind also dem Gesetz nach Deutsche. Doch fühlen sie sich auch als solche? Das „Nein“ kommt sofort. „Ich bin Türke“, „und ich bin Kurde - halt mit einem deutschen Pass“ . Trotzdem denken sie an eine Zukunft in Deutschland und schmieden Pläne. Ibo will später mal „was mit Autos machen“, Lawin zu- nächst einen guten Realschulabschluss erreichen. Und Savas - der will Fußballspieler werden. Ein Traum, den auch viele deutsche Jungen in seinem Alter haben.
Deutsche Freunde haben sie keine
Türken und Deutsche sie gehen in dieselbe Schule und leben doch oft in zwei Welten.


Sorry, wenn nicht alles optimal rüberkommt. Der Artikel wurde eingescannt.


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