Netter Artikel im Spiegel:

Raus aus der Ego-Höhle!

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Er glaubt an seine Mannschaft und an den Gewinn der Fußballweltmeisterschaft. Das ist schön und löblich, und wir wollen auch alle gerne mitglauben.

Doch spätestens seit dem Debakel von Florenz vor einer Woche ist die Wirklichkeit in die deutsche Glaubensgemeinschaft eingebrochen. Nicht nur Klassenunterschiede, sondern "Welten" (Reinhold Beckmann) lagen zwischen dem Können der italienischen und der deutschen Mannschaft. Kein deutscher Fußballexperte, kein deutscher Fußballfan hat das anders gesehen, wenn er nicht völlig betrunken oder anderweitig, also viel angenehmer beschäftigt war.

Nicht einmal hundert Tage vor WM-Beginn herrscht also Alarmstufe rot.

Und was macht Klinsmann?

"Ich glaube an die Mannschaft!", beschwor er, nach einigen kleinlauten und wohlfeilen Beschwichtigungen unmittelbar nach Spielende, die deutsche Öffentlichkeit in sattsam bekannter Weise. Irgendetwas ändern? Iwo. Selbstkritik? Fehlanzeige.
Stattdessen Durchhalteparolen und Glaubensbekenntnisse.
Nur zur Erinnerung: "Zu Gast bei Freunden" lautet das WM-Motto.

Nicht "Willkommen in der Therapiegruppe!"


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All das aber sieht Jürgen Klinsmann, der sich immer mehr wie ein esoterisch inspirierter kalifornischer Sektenguru aufführt, in seinem persönlichen "Glauben" natürlich bestens aufgehoben. Im Glauben an die Mannschaft, an seine Trainingsmethoden, an sein "Konzept", an seine "Spielphilosophie", vor allem aber: an sich selbst.

Wenn es am Ende niemand mehr tun sollte - er wenigstens glaubt an sich selbst. Und das scheint ihm das Wichtigste zu sein. Wer nicht an ihn glaubt, sondern gleichfalls an sich selbst und die eigenen Fähigkeiten, der fliegt, wie Deutschlands derzeit bester Abwehrspieler Christian Wörns, hochkant aus dem Kader.

Womöglich steckt in dieser übersteigerten Ego-Gläubigkeit von "Klinsi" ein falsches Verständnis des amerikanischen Selbstbewusstseins. Das sagt keineswegs: "Ich bin der Größte", sondern "Ich kann es schaffen".

"Kann" nicht "bin".

Sei's drum.


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Doch ausgerechnet dem kalifornischen Großkommunikator Klinsmann, mit modernsten wissenschaftlichen Kenntnissen ausgerüstet, gelingt es nicht, seine Absichten zu vermitteln und jene Begeisterung zu erzeugen, die nicht auf reiner Einbildung und manischer Selbstsuggestion beruht, sondern auf nachprüfbaren Tatsachen.

Aber damit scheint Jürgen Klinsmann durchaus symptomatisch für jenes Land zu sein, dem er so oft entflieht. Ein Land ohne wirkliche Leidenschaft, ohne Fußballfieber und echten WM-Groove. Das wahre Drama hierzulande sind 18 Minuten Mehrarbeit pro Tag im Öffentlichen Dienst. Da schrillen die Ver.di-Trillerpfeifen.

Andererseits können ein paar fehlende Feuerlöscher im WM-Stadion schon echte Depression auslösen. Die "Stiftung Warentest" - das ist Deutschland.


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Nigel Powers: "There are only two things I can't stand in this world. People who are intolerant of other people's cultures... and the Dutch!"