Dieser Tag ist für Ragon ein Vakuum
OHNE WM!
Nun, wenn dem so ist (und in der Tat - einige `Entzugserscheinungen´ sind nicht von der Hand zu weisen
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),
dann laßt uns die Zeit doch mit etwas anderem überbrücken
- zum Beispiel einigen tiefschürfenderen Betrachtungen über das Fußballspiel und diese WM <img src="/ubbthreads/images/graemlins/biggrin.gif" alt="" /> <img src="/ubbthreads/images/graemlins/tongue.gif" alt="" /> :
Interview - Der romantische Mythos des Spiels stirbt nie[/b][b]Fußballphilosoph Jorge Valdano, einst Weltmeister mit Argentinien,
über die Faszination dieser WM, den "Kollektiv-Abenteurer" Jürgen
Klinsmann, und was ein Sieg der Argentinier für ihr Land bedeuten
würde.
Das Hemd hat keine Falte, obwohl er gerade in einer kleinen Box im
Internationalen Pressezentrum IBC für den mexikanischen Sender
Television Azteca zwei Stunden kommentieren musste. Jorge Valdano
sieht man weder seinen TV- Einsatz bei dieser Fußball-WM an noch
seine 50 Jahre – und auch nicht den schweren Unfall vor drei Monaten.
Anfänglich wirkt er zurückhaltend, er spricht mit leiser Stimme, die sich
selbst dann nicht hebt, wenn er vom argentinischen Fußballer Lionel
Messi schwärmt oder über den Fußball in Argentinien nachdenkt, den er
als „nationale Pathologie“ empfindet. Eines allerdings sieht man ihm
zwei Stunden lang an: Dieser Mann liebt das Spiel mit dem Ball.
SZ: Herr Valdano, Sie hatten Ende März einen schweren
Helikopter-Unfall? Wie geht es Ihnen?
Jorge Valdano: Die ersten Tage nach dem Absturz waren dramatisch,
ich hätte damals nicht gedacht, dass ich bei dieser WM dabei sein kann.
Aber mein Körper hat ein sehr gutes Gedächtnis und sich überraschend
schnell erholt.
SZ: Was genau ist bei dem Unfall in Mexico-City passiert?
Valdano: Wir sind mit einem nagelneuen Helikopter vom Dach eines
Hochhauses im Zentrum der Stadt losgeflogen. Zwei Minuten später
lagen wir zerschellt am Boden. Mein linker Sitznachbar ist ums Leben
gekommen.
SZ: Mit welchen Verletzungen wurden Sie ins Krankenhaus
eingeliefert?
Valdano: Mit über 30 Brüchen in den Rippen, einem gebrochenen
Wirbel und einer gebrochenen Schulter. Einige Rippenstücke haben
meine Lunge durchbohrt, die sofort operiert wurde.
SZ: Wie hat sich Ihr Blick aufs Leben verändert?
Valdano: Total. Für mich gibt es jetzt ein Vorher und ein Nachher. Ich
sehe die kleinen Dinge deutlicher und freue mich an ihnen. Zuneigung
spüre ich intensiver, ich fülle meine Zeit sinnvoller aus. Alles hat
plötzlich viel mehr Farbe.
SZ: Aber Fußball ist für Sie die schönste aller Leidenschaften
geblieben...
Valdano: So ist es. Ich habe immer eine fast sinnliche Beziehung zum
Fußball gehabt, da hat sich substantiell nichts verändert. Doch wenn
man so einen tragischen Moment erlebt, verändern sich die Relationen.
Fußball rutscht auf den Platz, auf den er gehört – er ist zwar sehr
wichtig, aber eben etwas, das außerhalb des wirklichen Lebens
stattfindet.
SZ: Ihnen sind als Spieler, als Trainer, Manager immer wieder deutsche
Mannschaften begegnet und damit auch der deutsche Fußball. Wie
empfinden Sie das Deutschland, das Sie gerade erleben?
Valdano: Ich habe niemals zuvor die Assoziation einer Fußball-WM mit
einem so großen Fest gehabt. Ich glaube, dies hier ist die
Weltmeisterschaft der Menschen. Mein Eindruck ist, dass hier eine Art
Kommunion zwischen dem deutschen Publikum und seiner Mannschaft
stattfindet. Dazu kommt eine pazifische Invasion von Tausenden von
Japanern, Australiern, Mexikanern – um hier nur die zu nennen, die um
den halben Globus gereist sind, um überhaupt in Deutschland
anzukommen und dabei zu sein. Die bestechende Energie des Fußballs
liegt in der Vielfalt und der enormen Anzahl von Menschen, die sich ihm
weltweit verschreiben und an ihm teilhaben wollen.
SZ: Hätten Sie den Deutschen so viel Enthusiasmus zugetraut?
Valdano: Fußball schafft jeden Tag neue Wunder der Identifikation. Das
neue Deutschland der Ideen gewinnt an Substanz über seine
Fußballmannschaft, die mehr symbolische Kraft hat als die Politik, die
Kultur oder die Kunst. Jürgen Klinsmann spielt dabei eine große Rolle.
SZ: Inwiefern?
Valdano: Ich habe vor ein paar Wochen einen Artikel von Franz
Beckenbauer gelesen, in dem er behauptet, Deutschland brauche
mindestens 20 Jahre, um zu lernen, ohne einen Libero – eine überholte
Figur – spielen zu können. Klinsmann hat bewiesen, dass es eben
entweder diese 20 Lehrjahre braucht, um verwegene Wechsel zu wagen
oder einfach einen mutigen verwegenen Trainer, einen wie ihn. Er
weiß den Spielern einen Sinn von Freude und Abenteuer zu vermitteln.
Beides strahlt diese deutsche Mannschaft auch aus. Das Deutschland
der neuen Ideen – die Idee ist Klinsmann. Jeder scheint zudem auf
Klinsmanns Art und sein jugendliches Aussehen einen neuen Habitus
zu projizieren. Wir haben hier schließlich auch die WM des Konsums.
Aber was er wagt und erreicht, schafft er nicht wegen seiner
Ausstrahlung, sondern meiner Meinung nach ausschließlich mit Hilfe
seiner Ideen. Um so höher schätze ich seine Courage ein: Klinsmann
arbeitet nicht mit dem Konsum, sondern mit dem Kopf.
SZ: Man hat noch nie so viele deutsche Fahnen gesehen, noch nie so
viel Schwarzrotgold. Die einen freuen sich über die Unbeschwertheit
dieser neuen deutschen Generation, die anderen fürchten
nationalistischen Missbrauch.
Valdano: Wir erleben doch zunächst einmal den Widerspruch zwischen
Globalisierung und nationaler Identität. Die Menschen haben zwar den
Wunsch, Teil der weiten Welt zu sein, gleichzeitig wollen sie aber an
einen bestimmten Ort gehören. Es ist ein Gefühl, das wir uns alle
wünschen: irgendwo zuhause zu sein. Die befreiende Kraft des
Fußballs enthemmt die Menschen. Und weil Fußball sich in einem
gelösten Ambiente abspielt, provoziert er instinktive Reaktionen, die
sehr interessante Interpretationen zulassen.
SZ: Und zwar?
Valdano: In der Vielfalt der Kulturen liegt die Spitzengeschwindigkeit
der Intelligenz, auch der kollektiven Intelligenz, die beim Fußball
entsteht. Schon deshalb ist es nicht zu verstehen, warum die
Intellektuellen sich so lange vom Fußball ferngehalten haben. Man kann
sich bei dieser Weltmeisterschaft als Nationalist fühlen, ohne Gefahr zu
laufen, Faschist zu sein. Das ist ein zentrales Element, das es zu
analysieren gilt.
...
...
SZ: Kann man in dieser globalisierten Fußballwelt eine
Nationalmannschaft überhaupt noch an ihrem nationalen Stil erkennen?
Valdano: Ich glaube schon. Den Fußball-Stil prägt nicht nur das
jeweilige Herkunftsland, sondern auch die Zeit. Wir leben in einer Zeit
der kulturellen Uniformierung. Die Unterschiede in den Stilrichtungen
sind nicht mehr so eindeutig wie noch in den fünfziger Jahren. Aber
trotzdem ist der Deutsche nicht wie der Argentinier, auch wenn beide in
Europa Fußball spielen. Die Entwicklung eines lateinamerikanischen
Spielers steht ja immer in enger Beziehung zum Klima seines Landes,
zu seiner Musik, zur Lebensart, zum Strand vor der Tür, steht also in
enger Beziehung zu seiner Heimat. Diese Prägung ist in seinem Spiel
immer sichtbar.
SZ: Warum sind die afrikanischen Mannschaft seit 1990 kaum weiter
gekommen in ihrer Entwicklung? Ghana scheiterte als letzter
afrikanischer Vertreter im Achtelfinale.
Valdano: In Afrika gibt es ein riesiges Potential an Talent. Die Afrikaner
sind wahre Athleten, es scheint, als ob sie geboren wurden, um Fußball
zu spielen. Aber zuerst hat man diese afrikanischen Talente in
brasilianische Trainerhände gegeben. Als sie nicht oft genug
gewannen, kamen die europäischen Trainer. Afrika hat damit sein
eigenes Spiel neutralisiert, seine unvergleichlich wilde Art zu spielen.
Die afrikanischen Spieler, könnten sie sich in einem perfekten Biotop mit
ihrer so temperamentvollen Mentalität entwickeln, wären für jedes
Team außerordentliche Konkurrenten.
...
SZ: Sind sie froh, als Kommentator für das mexikanische Fernsehen
nicht zu viel über das argentinische Team urteilen zu müssen?
Valdano: Ausgesprochen froh! Das Spiel Mexiko gegen Argentinien zu
begleiten war wirklich sehr schwierig. Ich habe das so gelöst, dass ich
mich innerlich als Argentinier gefühlt und nach außen hin Diplomatie
vorgetäuscht habe.
SZ: Aber natürlich hat Sie die argentinische Elf bislang am meisten
begeistert?
Valdano: Am meisten emotionalisiert. Wenn ich diese Frage aus dem
Blickwinkel der Angst beurteilen soll, die in mir langsam aufsteigt, dann:
der Stil Deutschlands! Zudem ist es unglaublich wichtig, was
Deutschland mit seiner neuen Art zu spielen bewegt. Es gibt in meiner
Phantasie zwar immer noch diese Scharen von Männchen, die unter
dem Rasen sitzen, wie die Teufel in die Pedale treten und dieses
beängstigende Geräusch machen: „rrrrrrrrrrrr“...
SZ: ...was ist das?
Valdano: Die deutsche Maschine. Aber die hat jetzt einen ganz
anderen Klang.
...
Ragon, der Sport-Magier-Philosoph
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