Wie hübsch, die SPD demontiert sich zunehmend selbst. Das zeigt, wie wichtig die neue Linke für die deutsche Politik ist und noch werden wird. Aber zumindest ist es ein wichtiger Ansatz in der SPD, die Konservativen und Neo-Liberalen auszusortieren und wieder einen deutlichen Schritt nach Links zu treten.
Vielleicht schafft es die SPD nun nach dem Ende des unsäglichen Schröder-Klüngels ja wieder, glaubhafte Sozíaldemokratie zu vertreten. Die Basis hat dafür zumindest ein erstes Signal gesetzt.
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Analyse: Putsch von unten in der SPD
Berlin (dpa/odg) - In der SPD-Zentrale herrschte Sprachlosigkeit. Auch die Sieger des Tages konnten sich über ihren Triumph nur kurz freuen. Als Franz Müntefering am Montag um kurz vor halb vier Uhr ans Podium trat, um seinen abrupten Abgang als Parteichef anzukündigen, war bedrückende Stille spürbar.
"Unter den gegebenen Bedingungen kann ich nicht mehr Parteivorsitzender sein", sagte Müntefering mit versteinertem Gesicht in das Mikrofon. "Ich werde nicht weglaufen", fügte der 65-Jährige in Anspielung auf den Abgang seines Vorvorgängers Oskar Lafontaine hinzu. Die Übergabe der Amtsgeschäfte wolle er noch regeln. Ob er dem künftigen Kabinett als Arbeitsminister und Vizekanzler angehören werde, daran ließ Müntefering deutliche Zweifel aufkommen. Dies werde er endgültig nach dem Parteitag in zwei Wochen entscheiden.
Der Paukenschlag im Willy-Brandt-Haus hat die bundespolitische Szene schlagartig verändert. Die Folgen sind noch nicht absehbar. Die SPD steht nach diesem "Putsch von unten" gegen den eigenen Vorsitzenden, der so fest wie kaum einer vor ihm im Sattel zu sitzen schien, vor einem einzigen Scherbenhaufen. Sie steht zumindest vor quälenden Richtungskämpfen und womöglich diesmal sogar ernsthaft vor offenen Spaltungstendenzen. Ob die große Koalition tatsächlich noch zu Stande kommt, scheint erst einmal fraglich zu sein. Die Union könnte versucht sein, sich angesichts des absehbaren Linksrucks bei der SPD doch noch nach neuen Partnern umzusehen.
Ob alle Akteure in dem intrigenreichen SPD-Stück um den künftigen Generalsekretär diese Entwicklung so einkalkuliert haben, werden wohl erst die nächsten Tage zeigen. Den meisten Teilnehmern der Vorstandssitzung war aber jedenfalls klar, dass ein offener Affront gegen den eigenen Vorsitzenden nicht ohne schwerwiegende Konsequenzen bleiben würde.
"Ihr müsst wissen, dass das wichtig für mich ist", beschwor Müntefering unmittelbar vor der Abstimmung zwischen Andrea Nahles und Kajo Wasserhövel noch einmal die Anwesenden. "Beide können das. Es ist aber meine dringende Erwartung, dass Kajo das Amt ausführen soll. Ihr könnt mir glauben, dass ich das Beste für die Partei will", fügte der Parteichef werbend hinzu. Trotz solcher Mahnungen ließ eine klare Mehrheit ihren Vormann kalt abfahren.
Müntefering ließ auch deutlich anklingen, dass in dem Stück mit vielen unsauberen Mitteln gearbeitet worden ist. Es seien viele Gründe für Andrea Nahles gefunden worden, "einige auch erfunden", fügte er verbittert in der Sitzung hinzu. Dieser Vorwurf richtete sich insbesondere an das Zweckbündnis von SPD-Linken und den pragmatischen Netzwerkern, die sich in einer ungewöhnlichen Allianz zusammengetan hatten, um ohne Rücksicht auf Verluste Nahles gegen den erklärten Willen des Parteichefs in den Sattel zu heben. Laut Berichten aus beiden Lagern soll bei diesem Manöver hinter den Kulissen Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul eine besonders aktive Rolle gespielt haben, um sich ihren Posten als Partei-Vize zu sichern.
In der SPD verstärken sich inzwischen die Rufe nach einem sofortigen Rücktritt Wieczorek-Zeuls. In einer Erklärung der Führung des rechten "Seeheimer Kreises" heißt es: Es gebe keinen Grund mehr für Wieczorek-Zeul, "durch ihr Beharren auf der Position des Vize-Parteivorsitzenden der eingeleiteten personellen Verjüngung im Wege zu stehen". Auch der designierte Umweltminister Sigmar Gabriel hatte Wieczorek-Zeul sowie Schatzmeisterin Inge Wettig-Danielmeier in der Vorstandssitzung in massiver Form vorgeworfen, sie klebten an ihren Posten.
Nach Ansicht der "Seeheimer" ist die Wahl von Nahles als Generalsekretärin auf dem Parteitag in zwei Wochen nach ihrem Vorgehen im Vorstand "unvorstellbar". Jetzt müsse erst einmal ein neuer SPD-Chef gewählt werden. "Der von der Basis gewählte Parteivorsitzende braucht einen Generalsekretär seines Vertrauens und nicht der Generalsekretär einen Parteivorsitzenden seines Vertrauens", hieß es in der Erklärung weiter. Dei Nominierung von Nahles nannte die SPD-Rechte eine "gigantische Dummheit".
Andrea Nahles kann sich zusammen mit anderen Weggefährten von Links mit dem Etikett schmücken, dazu beigetragen zu haben, schon drei SPD-Vorsitzende innerhalb eines Jahrzehnts politisch aus dem Weg geräumt zu haben. Bereits 1995 organisierte die damalige Juso-Chefin auf dem Parteitag in Mannheim entscheidende Stimmen gegen Rudolf Scharping, um Oskar Lafontaine putschartig zum SPD-Vorsitz zu verhelfen. Sie gehörte in den vergangenen Jahren zu den schärfsten Kritikern am Reformkurs von Lafontaines Nachfolger im Parteiamt, Bundeskanzler Gerhard Schröder, den sie als "die Abrissbirne sozialdemokratischer Politik" titulierte.
Zum großen Teil dieselben Leute, die in den vergangenen Tagen offen und versteckt gegen Müntefering Stimmung machten, sorgten auf dem Bochumer SPD-Parteitag vor zwei Jahren durch fein gesponnene Intrigen dafür, dass Schröder endgültig die Lust auf den SPD-Vorsitz verlor und ihn wenig später an Müntefering weiterreichte. Ausgerechnet am 10. Jahrestag des "Putschs von Mannheim" muss sich die Partei nun wieder einen Vorsitzenden suchen. Ob der Andrang auf den Posten diesmal besonders groß sein wird, bleibt abzuwarten.
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