TÖDLICHE ENTSCHEIDUNG:

Andy (Philip Seymour Hoffman) und Hank Hanson (Ethan Hawke) sind Brüder, wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten: Andy ist ein durchaus erfolgreicher, aber drogenabhängiger Buchhalter, Hank ein kleiner Loser, der die Alimente für Ex-Frau und Tochter kaum aufbringen kann. Eines haben sie gemeinsam (eigentlich sogar zwei Dinge, aber das zweite wäre ein kleiner Spoiler ;)): Sie brauchen dringend Geld! Daher fällt es Andy nicht schwer, seinen kleinen Bruder zur Teilnahme an einem narrensicheren Plan zu überreden. Natürlich geht der Plan - ein kleines Juweliergeschäft auszurauben - furchtbar schief. Der Film zeigt nun in kunstvoll erzählten Rückblenden, wie es dazu kam und welche Folgen der gescheiterte Raub zeitigt ...

Zunächst muß ich wieder mal mit dem deutschen Titel schimpfen: "Tödliche Entscheidung" - geht´s noch ein wenig langweiliger, bitte? Zum Vergleich: Der Originaltitel lautet in voller Länge: "(May you be in Heaven half an hour ...) Before the Devil knows you´re dead". Na, ist das ein Titel? Zugegeben, an der Kinokasse ist die deutsche Version wohl effektiver - aber halt so unfaßbar langweilig! down

Naja, genug gemeckert. smile
Sollte dies der letzte Film des 83-jährigen Regie-Altmeisters Sidney Lumet sein, dann wäre es ein außerordentlich würdiger Abschluß seines filmischen Schaffens, das immerhin Meisterwerke wie "Die 12 Geschworenen", "Hundstage", "Network", "Serpico" und "The Verdict" umfaßt! (Allerdings ist bereits ein weiterer Film namens "Getting Out" in Vorbereitung, der 2009 in die Kinos kommen soll)
Man sieht "Tödliche Entscheidung" an, daß Lumet aus einem riesigen Erfahrungsschatz schöpfen kann und sich nebenbei auch die besten Elemente anderer Filme zusammensucht. Die Art und Weise, wie die Rückblicke Stück um Stück von etwas enthüllen, was sich mit fortlaufender Handlung zu einer Tragödie wahrhaft altgriechischen Ausmaßes entwickelt, erinnert beispielsweise an "Rashomon", "Memento" oder "Irreversibel". Aber natürlich, ohne bloß einfallslose Kopie zu sein. Dafür ist ein Sidney Lumet immer noch viel zu gut.
Zugestanden, manchem Zuschauer mag die Story etwas zu sehr konstruiert vorkommen, aber warum sollte sich ein Lumet von solchen Kleinigkeiten noch stören lassen? Die Geschichte funktioniert. Auch, vielleicht sogar gerade WEGEN der immer neuen unglaublichen Puzzle-Teilchen, die aus einem einfachen mißglückten Raubversuch innerhalb von etwa 100 Filmminuten ein regelrechtes Monster an Unglück und Tragik werden lassen.
Im Zentrum der Geschichte steht stets Andy. Was allerdings nicht mal unbedingt am Drehbuch (das natürlich auch von Lumet stammt) liegt, sondern primär an seinem Darsteller Philip Seymour Hoffman. Wie schon in seiner OSCAR-prämierten Rolle als "Capote" bringt er all seine körperliche und darstellerische Wucht in den Film ein und schafft es tatsächlich, seinen Andy - eigentlich ein ziemlicher Arsch - beinahe sympathisch rüberkommen zu lassen. Oder zumindest Verständnis für ihn und sein Verhalten zu entwickeln. Leider ist Hoffmans Glanzleistung jedoch in gewisser Hinsicht ein Problem, denn Ethan Hawke ist ihm in keiner Sekunde gewachsen. Wohlgemerkt, Hawke ist ein guter Schauspieler und normalerweise schätze ich ihn sehr (schon aus guter alter "Club der toten Dichter"-Nostalgie :)). Aber wenn er gemeinsam mit Hoffman im Bild ist, bemerkt man ihn kaum - so sehr dominiert Hoffman die Szenerie!
Die anderen Hochkaräter im Cast - speziell OSCAR-Gewinnerin Marisa Tomei mit ihrer besten Vorstellung seit Jahren als Andys Frau und der fünffach OSCAR-nominierte Albert Finney als Vater Hanson - schneiden wesentlich besser ab.
Genau übrigens wie die sehr schöne Musik von Carter Burwell, dem Stammkomponisten der Coen-Brüder. up

Man muß es noch mal ganz klar sagen: "Tödliche Entscheidung" ist kein echter Thriller, wie es die reine Handlungsbeschreibung vermuten lassen würde. Es ist primär ein Charakterdrama von solcher Wucht, wie man es heutzutage nur noch selten vorgesetzt bekommt. Lange Zeit eher gemächlich - vielleicht sogar ein bißchen zu gemächlich - erzählt, nimmt die Handlung in der zweiten Filmhälfte immer mehr Fahrt auf. Die vielen Rückblicke funktionieren ebenfalls, auch wenn ich zunächst meine Zweifel hatte, ob es nicht ein bißchen zu viel des Guten wäre.

Fazit: "Tödliche Entscheidung" ist eine raffiniert erzählte Tragödie, die in ihrer klassischen, ruhigen Erzählweise neben dem perfiden Plot vor allem vom grandiosen Schauspiel Philip Seymour Hoffmans, Albert Finneys und Marisa Tomeis lebt und nur durch die IMHO Fehlbesetzung Ethan Hawkes, ein paar kleinere Längen und vielleicht ein oder zwei Story-Enthüllungen zu viel am Meisterwerk-Status vorbeischrammt.
8,5 Punkte.