Nachdem ich mich zuletzt von zwei gelungenen Popcorn-Filmen verwöhnen ließ, wird nun qualitativ noch mal eine Schippe draufgelegt mit zwei echten Independent-Perlen:

BRÜGGE SEHEN ... UND STERBEN?:
Nach einem mißlungenen Auftrag in London werden die beiden Profikiller Ken und Ray von ihrem Boß Harry (wunderbar diabolisch: Ralph Fiennes) erstmal nach Brügge geschickt, wo sie sich unauffällig verhalten und auf weitere Anweisungen warten sollen. Für den eher kultivierten Ken (Brendan Gleeson) ist das keine große Sache, der hitzköpfige Ire Ray (Colin Farrell) hingegen langweilt sich zu von der ersten Minute an zu Tode und ist nur am Saufen und an Frauen interessiert.
So gehen sich die beiden gegenseitig auf die Nerven, bis sich Harry schließlich meldet und Ken einen neuen Auftrag verkündet. Einen Auftrag, über den er gar nicht glücklich ist ...

"Brügge sehen ... und sterben?" ist das Kinodebüt von Regisseur Martin McDonagh. Und wenn er die Qualität seines Erstlings halten kann, dürfte sein Name bald in aller Munde sein!
Der Film beginnt als eher gemächliche Gangster-Komödie mit Humor, der nicht unbedingt jedermanns Geschmack treffen dürfte. Vor allem die gut aufgelegten Gleeson und Farrell, die zahlreichen namhaften und/oder überzeugenden Nebendarsteller (Zeljko Ivanek, Clémence Poésy, Thekla Reuten, Ciarán Hinds, Jordan Prentice) und die meist intelligenten, mitunter beinahe philosophischen Dialoge sorgen dafür, daß der Zuschauer das Interesse nicht verliert.
Nach diesem guten, aber doch verhaltenen Auftakt geht es in der zweiten Filmhälfte dafür so richtig rund. Um ehrlich zu sein: Diese zweite Filmhälfte ist mit das Beste, was ich in diesem Jahrzehnt auf der großen Leinwand sehen durfte!
Spätestens sobald der grandiose Fiennes richtig in die Story integriert wird, zieht das Erzähltempo immer stärker an, bis es eine beinahe wahnwitzige Endgeschwindigkeit erreicht und diese tatsächlich bis zum Ende des Films halten kann. Nun erkennt man auch, warum die erste Filmhälfte so gemächlich war: Weil in ihr die unzähligen überraschenden Entwicklungen des restlichen Films behutsam und durchdacht vorbereitet wurden. Jedes Detail kann sich als bedeutsam für eine neue, aberwitzige Storywendung erweisen (und sei es sogar off-screen). up
Außerdem entwickelt sich die Handlung von einer reinen Buddy-Komödie hin in eine überraschend harmonische Symbiose aus Komik, Dramatik und jeder Menge Melancholie. Die Charaktere sind nicht allzu vielschichtig, aber ausgefeilt und teilweise wunderbar skurril.
Dazu kommt ein toller Soundtrack mit wunderbarer Musik von Carter Burwell (dem Stamm-Komponisten der Coen-Brüder) und perfekt mit der Handlung harmonierenden Liedern zwischen Klassik (Schubert) und irischem Folk.
Das einzige, was ich an dieser nahezu perfekten zweiten Filmhälfte auszusetzen habe, ist der allerletzte "Gag" - denn der ist ein bißchen unglaubwürdig; innerhalb der Story aber letztlich doch ein würdiger und konsequenter Abschluß.

Wäre der gesamte Film so genial wie die zweite Hälfte, es wäre mein zweiter 10er in diesem Jahr (nach "There will be Blood"). So gibt es "nur" 9 Punkte.

JUNO:
Die 16-jährige Juno MacGuff (zurecht OSCAR-nominiert: die junge Kanadierin Ellen Page) wird gleich beim ersten Sex schwanger. Pech. Sie entscheidet sich, das Baby dem jungen, kinderlosen Ehepaar Loring (Jennifer Garner und Jason Bateman) zu überlassen, das sich als sehr nett erweist. Doch bis das Baby geboren ist, muß Juno wohl oder übel selbst damit und mit den Komplikationen, die so eine Schwangerschaft auslöst (in ihrem Fall natürlich auch in der Schule), klarkommen - wobei ihr ihre liebende Familie immerhin loyal beisteht (J.K. Simmons und Allison Janney überzeugen als Vater und Stiefmutter).

Eigentlich erzählt "Juno" eine ganz normale Geschichte, wenn man mal vom Alter der Protagonistin absieht. Das spielt aber gar keine so große Rolle, wie man zunächst meinen würde. Wäre Juno Anfang 20 (was übrigens Pages tatsächlichem Alter entspräche ...), könnte die Handlung beinahe genauso ablaufen. Als musikalische Begleitung gibt es kaum klassische Filmmusik, sondern stattdessen viele fröhliche Songs zwischen anspruchsvollem Pop und Folk mit zur jeweiligen Filmsituation passendem Text, teilweise von den Darstellern selbst gesungen. Das funktioniert einwandfrei.
Und die Handlung? Nun, um ehrlich zu sein: Nach all dem Medien-Hype um die junge, leicht exzentrische Drehbuch-Autorin und Ex-Stripperin Diablo Cody, die gleich für ihr erstes Drehbuch den OSCAR erhielt und zum Medienstar wurde, habe ich fast erwartet, enttäuscht zu werden. Aber nein: Ihr Drehbuch und vor allem die von ihr geschaffenen, fast durchweg sympathischen und stets authentischen Figuren SIND so verdammt gut! Und die spritzigen, oft fröhlich vor popkulturellen Referenzen übersprudelnden (v.a. in den Szenen mit Juno und Mark Loring) Dialoge machen einfach Spaß.

"Juno" ist witzig, ohne eine echte Komödie zu sein. "Juno" ist ernsthaft, ohne ein Drama zu sein. "Juno" ist einfach ein kleiner, feiner Feelgood-Film mitten aus dem Leben. Vielleicht ein wenig zu optimistisch, um völlig realistisch zu sein (vielleicht bin ich aber auch nur zu zynisch geworden ...), aber das tut der Qualität des Films keinen Abbruch.
8,5 Punkte.

Nachdem ich nun endlich alle fünf Filme gesehen habe, die im Februar um den OSCAR als Bester Film konkurrierten, hier nun meine persönliche Rangliste:

1. There will be Blood
2. (mit ziemlichem Abstand) Michael Clayton
3. (fast gleichauf) Juno
4. (wieder großer Abstand) No Country for Old Men (der tatsächliche OSCAR-Gewinner)
5. (nochmal großer Abstand) Abbitte