GEWITTERTAGE von Jana M. Eilers:

Eine geradezu klassische, aber noch unerfahrene Heldengruppe (Krieger, Söldner, Magier, Gaukler, Halbelfe) übernimmt einen simplen Botenauftrag nach Vinsalt, der sich am Ziel der Reise als unerwartet kompliziert erweist. Denn die Adressatin der Botschaft, eine unwichtige Händlerin, wurde kurz zuvor ermordet. Da die Heldengruppe ihren Auftrag sehr ernst nimmt, entschließt sie sich, den Mord aufzuklären - und gerät daher mit der Diebesbande des gerissenen Al´Anfaners (gibt es eigentlich Al´Anfaner, die NICHT gerissen sind? grin ) Capto aneinander ...

Vor ein paar Tagen habe ich mal bei alveran.org reingeschaut und da gab es bereits drei Rezensionen zum Roman: Eine extrem positive. Eine extrem negative. Eine extrem mittelmäßige. Man kann wohl sagen, daß dieses Buch nicht jedermanns Geschmack trifft. Und das dürfte vor allem an der sehr fragmentierten Erzählweise liegen. Denn anders als man zu Beginn erwarten würde, stehen die fünf Helden keineswegs im Zentrum der Geschichte. Vielmehr müssen sie sich den Platz gleichberechtigt mit dem knappen Dutzend Gaunern aus Captos Bande teilen. Diese Erzählweise mit Perspektivwechseln mehr oder weniger nach jeder zweiten Seite fördert naturgemäß nicht gerade den Lesefluß, zudem ist es schwierig, die Charaktere wirklich kennenzulernen. Ich meine: 100 Seiten, die in etwa gleichmäßig auf ein gutes Dutzend Figuren verteilt sind - da braucht man kein Abitur, um sich auszurechnen, daß nicht viel Platz für jeden übrigbleibt ...
Als die Autorin dann nach etwa 100 Seiten NOCH EINE WEITERE Diebesbande einführte, war ich ernsthaft der Verzweiflung nahe!
Doch zum Glück wird es stattdessen ziemlich genau ab dieser Stelle deutlich besser. Die im Grunde extrem simple Story um Mörder- und schließlich auch Schatzjagd nimmt deutlich an Fahrt auf und wird auch noch durch etliche Ränkespiele zwischen und innerhalb der Diebesbanden aufgelockert. Allerdings muß zu letzteren angemerkt werden: Der Maßstab für dieses Untergenre wurde innerhalb der DSA-Roman-Reihe eindeutig von den brillanten Intrigen in den Al´Anfa-Romanen von Alex Wichert (und ihren Co-Autorinnen bei "Rabengeflüster") gesetzt. Und an diesen Maßstab kommt "Gewittertage" bei weitem nicht heran. Die hier geschilderten Ränkespiele sind nett ausgedacht und unterhaltsam zu lesen - brillant sind sie bestimmt nicht!

Ein Highlight des Buches ist sicherlich der zentrale Kampf, der in aller Ausführlichkeit und Detailverliebtheit von der Autorin beschrieben wird. Das mag manchem etwas ZU lang und ausführlich sein, mir hat es gut gefallen. Die Kämpfe zwischen den einzelnen Personen sind sehr nachvollziehbar und überwiegend glaubwürdig geschildert (etwas, was man nicht von allen Kampfszenen in Fantasy-Romanen behaupten kann ...), es gelingt der Autorin tatsächlich, die Kampfszenen vor dem inneren Auge des Lesers entstehen zu lassen. Das nötigt Respekt ab! up
Überhaupt läßt sich sagen, daß "Gewittertage" nach der übertrieben langen Quasi-Einleitung zu einem Buch für Actionfreunde wird, die sich an detaillierten Beschreibungen von Kämpfen und Fluchtversuchen erfreuen.
Daß dabei die sprachliche Qualität schwankt, manche Metaphern und ähnliche Stilmittel etwas holprig wirken und manches Verhaltensmuster der Figuren nicht hundertprozentig nachvollziehbar ist, kann man einer Roman-Debütantin - die das Buch noch als Schülerin geschrieben hat! - kaum verdenken, zumal es das Lesevergnügen nur marginal trübt. Gleiches gilt für die Tatsache, daß zwar immer mal wieder die Menschenmassen auf den Straßen Vinsalts alibihaft erwähnt werden, man bei den angesprochenen Kampf- und Jagdszenen aber trotzdem das Gefühl hat, daß die ganze Stadt einzig von den handelnden Figuren dieser Geschichte bewohnt wird ...

Ausdrücklich loben möchte ich, daß die Autorin weitgehend erfolgreich versucht, die üblichen Klischees dieser Art von Handlung zu umschiffen, was dafür sorgt, daß Spannung - so sie erstmal endlich richtig aufgebaut ist - bis zum Ende nicht mehr nachläßt. Richtig vorhersehbar ist bei dieser Handlungsentwicklung jedenfalls nur wenig. Dennoch wirkt das seltsam antiklimaktische Ende der Geschichte nicht ganz befriedigend. Es ist fast, als würde "Gewittertage" nicht eine echte Geschichte mit Anfang und Ende erzählen, sondern vielmehr einfach wahllos ein paar Tage aus dem Leben der Protagonisten herausgreifen. Das ist - wie die (wohl durchaus realitätsnahe) Aufhebung der Unterscheidung zwischen eindeutigen Pro- und Antagonisten - ein mutiger Versuch, der nicht hundertprozentig funktioniert, aber auch bei weitem nicht mißlingt. Ein Problem der gleichberechtigten Darstellung der Figuren ist und bleibt natürlich die mangelnde Identifikation des Lesers mit ihnen. Zumal ehrlich gesagt die fünf Helden nicht wirklich sympathisch rüberkommen, zu Beginn sogar eher nervig kindisch. Aber angesichts ihrer (wenngleich etwas überspitzten und allzu plakativen) Wandlung im Rahmen der fortlaufenden Ereignisse wohl sogar so gewollt.

Ihr merkt es sicher schon: Man kann vieles über "Gewittertage" schreiben. Viel Gutes, aber auch viel Schlechtes. Und ich bin in der Tat hin- und hergerissen, was die Bewertung des Buches betrifft. Als Fazit läßt sich festhalten, daß Jana M. Eilers hier eine ausgesprochen unoriginelle Geschichte überraschend originell (auch und gerade formal) erzählt. Leider trübt der sehr zähe Einstieg das Gesamtbild deutlich, weshalb mehr als die Note 3- einfach nicht drin ist. Aber verbunden noch einmal mit dem eindeutigen Hinweis, daß der letzte Eindruck des Romans deutlich besser ausfällt als der erste (und zweite und dritte wink ).
Vielleicht gibt es ja sogar mal eine Fortsetzung, das Ende läßt die Möglichkeit allemal offen ...

P.S.: Achja, leider gilt es ein weiteres Mal, das mangelhafte Lektorat zu kritisieren. Vor allem zum Ende hin häufen sich die Fehler leider. Immerhin gibt es diesmal nach längerer Zeit wieder ein Glossar.
P.P.S.: Eher unglücklich finde ich auch, daß "Gewittertage" nun bereits der vierte Stadtroman in Folge war (wenn man den ersten Teil der Answin-Biographie nicht mitzählt). Immerhin: Der Titel des nächsten, angeblich bereits im August erscheinenden Romans läßt ein Ende dieser Serie erhoffen: "Die rote Bache". smile

Last edited by Ralf; 16/07/08 12:00 PM.