Mit "grau" dürfte aber kaum eine eintönige, öde und trostlose Welt gemeint sein sondern vielmehr der Verlust der scharfen Moral-Differenzierung - die ewig währende "Gut-Böse"-Diskussion, der wir ja auch schon hier im Forum bis zum Exzess gefrönt haben, und deren Abschaffung ich seit jeher propagiere. Das aber schliesst eine Welt voller schillernder Farben, gefüllt mit Gegensätzen bis zum Rande, mit reichlich Licht und Schatten keineswegs aus.

Ich für meinen Teil habe schon vor etlichen Jahren, als ich noch aktiv DSA gespielt habe, mit Freude zur Kenntnis genommen, dass das stupide "die strahlenden, edlen Guten" und das "die verschlagenen, skrupellosen Bösen" immer stärker der Kritik ausgesetzt war und es massiv Bestrebungen gab, mehr Ambivalenz in Aventurien zu etablieren. Das Gute mit Dreck zu beschmieren, damit das helle Licht der ach so reinen Helden nicht mehr gar so schmerzhaft blendet. Die allzuoft noblen und guten Absichten des angeblich Bösen zu erklären. Sprich, "gut" und "böse" zwar als moralische Richtlinien für den aventurischen Bürger bestehen zu lassen ("Elfen sind gut, Orks sind böse"), bei genauerem Hinsehen aber zu erkennen, dass die angeblich "Guten" ebenso zu menschenverachtenden Taten in der Lage sind, und Verschlagenheit und Hinterhältigkeit, Skrupellosigkeit und Intoleranz bei ihren "unbefleckten, reinen" Jüngern durchaus häufig anzutreffende und vor allem akzeptierte Eigenschaften sind, und dass im Gegensatz unter den Bösen durchaus noble und ehrenvolle Ansichten existieren.

Leider scheint es so zu sein, als wäre DSA keinen Schritt gegenüber damals weitergekommen. Es mag Verfechter der ambivalenten und damit anspruchsvollen Spielwelt geben, aber offiziell scheint mir alles beim alten geblieben zu sein. "Fortschritt" besteht nicht in der Welt an sich, sondern wohl ausschliesslich in der Entwicklung der Regeln, die aus meiner Sicht nur einen Rahmen bilden und damit so ziemlich das unwichtigste sind. Aus meiner Sicht, die zugegeben nur auf einem Eindruck und spärlichen Informationen besteht, herrscht im DSA-System leider nur Stagnation anstelle der begrüßenswerteren Evolution - die DSA dringend nötig hätte.

Da wir Drakensang nun mal schon erwähnt haben, und da es ja Teil des offiziellen Aventuriens ist: Drakensang lässt Ansätze einer ambivalenten Welt erkennen, beispielsweise mit der Hexen versus Praioten-Quest. Leider wird diese nicht konsequent zu Ende geführt: Anstatt die Praioten etwa als das hinzustellen, was sie tatsächlich sind - nämlich engstirnige, äußerst intolerante Fanatiker, die keineswegs das reine Licht repräsentieren sondern geradewegs aus den Tiefen der Hölle emporgestiegen sein könnten und, was ihre Methoden angeht, voller dämonischer Energie zu stecken scheinen, wird das Ganze schliesslich so gedreht, dass
der Praiotenanführer gar nicht er selbst, sondern ein Gestaltwandler ist, der das pure Böse verkörpert
. Die Praioten bleiben durch diesen mMn recht langweiligen "Schachzug" unbefleckt, und das "Gut-Böse"-Gerüst unangetastet. Besser gelöst ist dagegen der Nekromant in Tallon, der zwar Böses hervorbringt, dessen Absichten - im Gegensatz zu anderen Nekromanten in Drakensang, die zu der "Muhahaha - ich werde die Welt regieren!"-Fraktion gehören und für deren Absichten, Taten und Handlungen nicht mal ansatzweise Erklärungen geliefert werden - aber klar und deutlich gemacht werden - und vor allem nachvollziehbar sind! Hier lässt sich zwischen Gut und Böse nicht mehr so klar unterscheiden, einfach deswegen, weil das "Böse", wenn einem erstmal klargemacht wird, warum bestimmte Dinge so geschehen sind, *wie* sie geschehen sind, weitaus weniger finster und dunkel wirkt. (Dummerweise geht Drakensang nicht den konsequenten Weg sondern ist hier Sklave seiner Spielmechanik - anstatt eine diplomatische Lösung, die einer so amivalenten Situation mehr als angemessen ist, mit entsprechend mehr Erfahrung zu belohnen, ist das "Ich schlachte dich ab für deine Taten!" deutlich lukrativer. Aus meiner Sicht Fehlentscheidung.)

Aber Drakensang soll hier keine Rolle spielen. Fakt ist aus meiner Sicht, dass eine hinsichtlich Moral eher *graue* Welt weitaus farbenprächtiger zu sein vermag, als eine Welt, in der klar und eindeutig zwischen "gut" und "böse" differenziert wird - einfach, weil es mehr Optionen und Dynamik gibt und weil man sich in die Welt, in die Personen und in die Situationen erst hineindenken muss und die Welt dadurch an Tiefe gewinnt. Ich für meinen Teil würde sogar so weit gehen zu behaupten, dass dadurch überhaupt erst eine "dritte Dimension" geschaffen werden kann, die erforderlich ist, um einer Fantasywelt so etwas wie Leben einzuhauchen. Das eher kindgerechte "hier stehen die edlen Guten, die noblen Streiter für Recht und Ordnung, die selbstlosen Helden die bereit sind, sich zum Wohle der Gemeinschaft und der Welt zu retten!" und das "dort lungern die dunklen und gewalttätigen Bösen, die nur Mord, Totschlag und Folter im Sinne haben, die keine Moral kennen und hinterrücks und brutal alles niedermachen, was ihnen im Wege steht!" ist für meine Begriffe nicht nur ausgesprochen langweilig, öde und eintönig, sondern auch nur zweidimensional. Da kann die Welt noch so prächtig ausgebaut sein, und die Bäche noch so munter plätschern und die Vögel trällern. Wenn auf einer Seite nur eitel Sonnenschein, Liebe, hehre Kunst und Frohsinn herrschen, die andere Seite dagegen nur Hass, Gewalt und Intrigen kennt - dann ist die Welt für mich einfach nicht lebendig. Ein "Held" muss auch mal Schwäche zeigen, er darf auch mal von moralisch fragwürdigen DIngen verführt werden, er darf sogar eigene Absichten verfolgen, die keineswegs dem Wohle der Allgemeinheit dienen müssen. Echtes Heldentum besteht nicht (unbedingt) darin, die Welt zu retten, indem man einen Drachen erschlägt oder einem Dämon entgegentritt - was nicht heißen soll, dass solche taten nicht heldenhaft sein dürfen. Zum "Held" wird man, indem man über sich hinauswächst, indem man Entscheidungen - auch unpopuläre - trifft. Entscheidungen, die die Menschen *brauchen*, und die nicht unbedingt das sein müssen, was die Menschen *wollen*! Indem man *Verantwortung* für se Tun übernimmt! Was sind schon Helden wert, wenn sie so gewöhnlich wie Gras in der Prärie sind, wenn sie schon zum Helden *geboren* sind und sich praktisch überhaupt nicht *bemühen* müssen?