Mit "Jade Empire", "Drakensang" und "The Witcher" (Enhanced Edition) habe ich im zweiten Halbjahr 2008 drei Rollenspiele am Stück gespielt. Alle drei fand ich gut, in Teilen sogar sehr gut. Auf die Frage, welches mir am besten gefallen hat, wüßte ich keine wirkliche Antwort. Also will ich mal versuchen, einen Vergleich der drei Spiele anhand verschiedener Kritierien anzustellen:
- Lebendigste Spielwelt:
Ganz eindeutig "The Witcher", wo es Tag- und Nacht-Wechsel gibt und alle Figuren ihren eigenen, nicht (immer) jeden Tag identischen Tagesablauf haben, ohne daß es nervt (indem man etwa ewig nach bestimmten Personen suchen müßte). Großes Malus ist allerdings die auch in der EE noch relativ geringe Anzahl an unterschiedlichen NPC-Modellen. Mit dennoch recht großem Abstand auf Platz 2 landet "Drakensang" vor dem in dieser Hinsicht extrem sterilen "Jade Empire".
- Beste Grafik:
Auch hier gewinnt "The Witcher" deutlich. Die Grafik von "Jade Empire" ist (natürlich auch aufgrund der Konsolenvergangenheit und des Alters des Spiels) eher zweckmäßig, die von "Drakensang" zwar schön und stimmig, aber an "The Witcher" kommt sie nicht heran.
- Bestes Kampfsystem:
Für mich ist das eindeutig "Drakensang" mit seinem rundenbasierten Kampf. Ich bevorzuge Rundenkampf nunmal ... "The Witcher" landet auf Platz 2, knapp vor "Jade Empire". Beide bieten allerdings innovative Echtzeitkampfsysteme, die auch mir als Rundenkampffan durchaus Freude bereiten.
- Beste Musik:
Unentschieden. Bei keinem Spiel ist die Musik sonderlich spektakulär (am ehesten noch bei "The Witcher"), aber bei allen paßt sie sich nahtlos in die Spielatmosphäre ein. Da gibt es wenig zu meckern.
Schönste Spielwelt:
- Unentschieden. Alle drei Spiele unterscheiden sich deutlich in ihrer Spielwelt. "Jade Empire" aufgrund des exotischen Settings, während "The Witcher" und "Drakensang" zwar beide in mittelalterlichen Welten spielen, sich aber durch die Atmospähre ("Drakensang" märchenhaft, "The Witcher" düster und realistisch) stark voneinander abheben. Mich konnten alle drei Spielwelten überzeugen.
- Beste Story:
"Jade Empire". Zwar glänzt "Jade Empire" nicht mit so relativ vielen Entscheidungsmöglichkeiten wie "The Witcher", dafür konnte mich die Handlung aber deutlich stärker mitreißen als bei "The Witcher", wo ich sie insgesamt trotz der spektakulären Präsentation doch relativ konventionell fand. "Drakensang" belegt hier den letzten Platz, ohne jedoch (mich) zu enttäuschen.
- Größter "Wow!"-Moment:
"Jade Empire". Während bei "The Witcher" und "Drakensang" größere Überraschungen eigentlich ausbleiben (naja, bei "The Witcher" gibt es ganz am Ende noch ein oder zwei), hat mich eine Storywendung bei "Jade Empire" regelrecht schockiert - obwohl sie nicht mal wirklich aus dem Nichts kam, Hinweise dafür gab es, man mußte sie nur richtig interpretieren ...
- Beste Quests:
Auch hier gewinnt deutlich "Jade Empire", das meiner Meinung die am wenigsten konventionellen Aufgaben bietet, während zwar sowohl "The Witcher" als auch "Drakensang" Highlights zu bieten haben, aber zwischendurch auch immer wieder auf die Dauer nervige Standard-Quests aufgeben (bei "The Witcher" vor allem in Kapitel 4, das in ein ständiges Hin- und Hergerenne ausartet).
- Längste Spieldauer:
Klarer Sieg für "The Witcher", das vermutlich fast so lange dauert wie die beiden anderen zusammen ...
Allerdings hat das nicht nur Vorteile, denn so fällt der Mangel an unterschiedlichen Locations einfach mehr (und damit negativer) ins Gewicht.
- Höchster Wiederspielbarkeitsfaktor:
Wiederum "The Witcher" dank der recht zahlreichen Entscheidungsmöglichkeiten, auch wenn deren Auswirkungen IMHO nicht das im Vorfeld angepriesene Ausmaß erreichen.
- Überzeugendste Bugfreiheit:
Klarer Sieg für "Drakensang", das abgesehen von ein paar Grafikfehlern fast bugfrei ist. Von den beiden anderen kann man das nicht unbedingt behaupten, auch sie müssen sich vor der Konkurrenz aber nicht verstecken (und nein, damit meine ich nicht nur "Gothic 3"
).
- Nervigster Schluß:
"Drakensang". Warum müssen eigentlich (fast) alle Rollenspiele mehr oder weniger abrupt nach dem Showdown enden? Bin ich denn wirklich der einzige, der sich danach noch eine Art "Absacker" wünscht? Die Gelegenheit etwa, noch einmal mit den (überlebenden) Freunden zu sprechen oder sich sogar ein wenig von der Bevölkerung feiern zu lassen? "Drakensang" hat in dieser Hinsicht wirklich den Vogel abgeschossen, aber auch "The Witcher" und "Jade Empire" enden leider relativ abrupt und lassen teils etliche Fragen offen (speziell "The Witcher").
- Beste Gegner:
"Jade Empire", da relativ vielfältig und originell. "Drakensang" ist (nicht nur) in dieser Hinsicht eher konventionell, während "The Witcher" den Mittelrang einnimmt. Die KI fand ich übrigens bei allen Spielen relativ mittelmäßig.
- Größte Abwechslung:
"Jade Empire". "The Witcher" kann da mit eigentlich nur drei unterschiedlichen Location-Arten (Stadt, Land, Sumpf) nicht wirklich punkten.
- Beste Dialoge:
"The Witcher", aber eigentlich können alle drei überzeugen, auch was den Humorfaktor betrifft (wobei "The Witcher" die besten One-Liner liefert
).
- Bestes Leveldesign:
"Drakensang". Ehrlich gesagt können in dieser Hinsicht alle drei Vertreter nicht richtig glänzen, aber die Mängel bei "The Witcher" (ständig gleiches Leveldesign bei Höhlen, Grüften und Häusern) und "Jade Empire" (sehr geringe Bewegungsfreiheit) sind für meinen Geschmack noch etwas größer.
- Beste Spielerfigur:
"Drakensang". Das ist natürlich absolute Geschmackssache und ich höre buad schon entsetzt aufschreien. Ja, es stimmt, die Spielerfigur in "Drakensang" wird bei weitem nicht so ausgefeilt präsentiert wie bei den beiden anderen Spielen. Aber genau das mag ich an "Drakensang". Es ist eben die Computerversion eines Pen&Paper-Rollenspiels und deshalb paßt es auch, daß man als Spieler die Hauptfigur wirklich IST. Natürlich nimmt das dem Spiel die Möglichkeit, dem Charakter ein richtiges Profil zu verleihen, das wird letztlich der Phantasie des Spielers überlassen. Aber für mich ist die Identifikation zu diesem Alter Ego eindeutig größer. Bei "Jade Empire" und vor allem bei "The Witcher" ist es hingegen - trotz der eigenen Entscheidungsfreiheit - mehr wie ein Buch, das man nacherlebt. So verhält sich gerade Hexer Geralt oft völlig anders als ich es eigentlich will, ohne daß ich es beeinflussen könnte. Natürlich habe ich nichts gegen einen so denkwürdigen Charakter wie Geralt und auch diese Buch-Verwandtschaft stört mich nicht - aber wenn ich die Wahl habe, dann bevorzuge ich die "Drakensang"-Alternative, wo ich wirklich die volle Kontrolle über mein Alter Ego habe. Insgesamt haben mich die Spielerfiguren aber sehr wohl in allen drei Spielen überzeugt, auch wenn "Jade Empire" hier den letzten Platz belegt.
- Beste Lokalisation/deutsche Vertonung:
"The Witcher". Die komplette Neuvertonung für die Enhanced Edition hat sich wirklich gelohnt, hier gibt es nur sehr, sehr wenig zu bemängeln (von den Hauptcharakteren fand ich nur Alvin nicht ganz so überzeugend gesprochen). Die beiden anderen sind absolut solide (wobei bei "Drakensang" natürlich keine Übersetzung notwendig war ...).
- Größter Spielkomfort/Handling:
"Drakensang". Manche haben sich über Sachen wie eine (zunächst) fehlende Sortierfunktion im Inventar beschwert, aber mich stört sowas nicht. Ich fand die Handhabung des Spiels extrem angenehm und intuitiv, auch wenn manches schon etwas komplexer hätte sein dürfen (Stufenanstieg). Bei "The Witcher" stören mich das auch in der EE noch ziemlich kleine Inventar und die Unmenge von Kräutern, Tränken u.ä., von denen man wie meist nur einen Bruchteil wirklich braucht (was man aber natürlich erst genau weiß, wenn man durch ist). "Jade Empire" war sehr solide.
- Am besten erfüllte Erwartungen:
"Drakensang". Was ganz einfach an meinen relativ bescheidenen Erwartungen im Vorfeld liegt. "Jade Empire" hat das geboten, was ich erwartet hatte, während "The Witcher" meine sehr hohen Erwartungen nicht ganz erfüllen konnte.
Zum Ergebnis: Für jeden Sieg gibt es drei Punkte, für den dritten Platz einen Punkt. Bei der negativen Kategorie "nervigster Schluß" ist es natürlich umgekehrt. Bei Unentschieden wird der Mittelwert genommen.
Jade Empire: 38,5
Drakensang: 40
The Witcher: 41,5
Das Resultat bestätigt eigentlich nur mein Gefühl: Alle drei Spiele eng beieinander, obwohl ich die einzelnen Kategorien natürlich nicht mal gewichtet habe. Außerdem habe ich bestimmt noch den einen oder anderen Aspekt vergessen.
Unterm Strich kann ich mich jedenfalls nicht beschweren, diese drei Rollenspiele haben mir ein halbes Jahr lang richtig gute Unterhaltung geboten - auch wenn sich keines davon als Über-Highlight wie "Planescape: Torment", die NLT oder "Knights of the Old Republic" erwies. Eine eventuelle Fortsetzung würde ich mir von allen drei Spielen kaufen (von PS:T und KOTOR natürlich erst recht!
).