DER FREMDE SOHN:

Los Angeles in den 1920er Jahren: Als die alleinerziehende Mutter Christine Collins (für den OSCAR nominiert: Angelina Jolie) am frühen Abend von der Arbeit heimkommt, ist ihr 9-jähriger Sohn Walter spurlos verschwunden. Fünf Monate später bringt ihr die Polizei einen Jungen, der behauptet, Walter Collins zu sein - Christine ist sich jedoch hundertprozentig sicher, daß der Junge lügt. Indem Chrisine in der Folge Beweise für ihre Behauptung sammelt und sich auch an die Medien wendet, wird sie für die sowieso schlecht beleumundete Polizei von Las Angeles zur Belastung - und schließlich kurzerhand ins Irrenhaus verfrachtet ...

Eigentlich möchte man dem Drehbuch-Autor wünschen, er möge beim nächsten Mal doch bitteschön seine Phantasie etwas mehr im Zaum halten. Problem nur: Die Geschichte ist wahr! Da ich das zunächst selbst kaum glauben konnte, habe ich nach dem Kinobesuch gleich im Internet recherchiert und tatsächlich sind die grundlegenden Fakten völlig korrekt, auch wenn in den Details und Dialogen natürlich viel spekuliert und dramaturgisch zurechtgebogen wurde. Der eindeutigen Authentizitätsanspruch von Regisseur Clint Eastwood läßt sich auch daran ablesen, daß er aus der Geschichte nicht etwa einen konventionellen Thriller oder ein herzergreifendes Drama gemacht hat, sondern eine im Ton meist erstaunlich sachlich bleibende Genremischung. "Der fremde Sohn" teilt sich nämlich in drei mehr oder weniger gleichberechtigte, teilweise parallel mit vielen Perspektivwechseln erzählte Episoden: Christine Collins´ verzweifelte, aber hartnäckige Suche nach ihrem Sohn; der Kampf des engagierten Reverends Briegleb (überzeugend: John Malkovich) gegen die korruptionsverseuchte Stadtführung und Polizei von L.A.; und eine dritte Storyline, die ich an dieser Stelle nicht spoilern möchte (wenngleich etliche Kritiker keine solchen Skrupel hatten, was mir leider die eine oder andere überraschende Storywendung verdorben hat mad ).

Durch diese Dreiteilung und die relativ sachliche Erzählweise wirkt der Film zwar zunächst überraschend distanziert - aber gerade durch diese Nüchternheit wirkt das, was dem Zuschauer nach und nach präsentiert wird, umso dramatischer nach. Zudem sorgt bereits Angelina Jolies äußerst emotionale Darbietung dafür, daß der sachliche Erzählton nicht etwa in Langeweile oder Desinteresse beim Zuschauer führt. Aber das ist angesichts der aufwühlenden Ungerechtigkeiten, denen Christine Collins wieder und wieder ausgesetzt ist, eigentlich sowieso unmöglich.

Bei den Darstellern hat Clint Eastwood diesmal - abgesehen von Jolie und mit Abstrichen Malkovich - nicht auf große Stars gesetzt, sondern auf sehr sorgsames Casting. Beinahe ein Geniestreich ist vor allem die Besetzung von Jeffrey Donovan als Police Captain J.J. Jones. Äußerlich ein gut aussehender Strahlemann mit zunächst mitfühlender, sympathischer Ausstrahlung enthüllt er bald tiefe Abgründe und agiert dabei stets überzeugend. Auch Michael Kelly als "guter" Polizist Ybarra, Colm Feore als Polizeichef, Amy Ryan als eine weitere von der Polizei willkürlich in die Irrenanstalt geschickte Frau und Jason Butler Harner als eine der Hauptfiguren der dritten Storyline zeigen beeindruckende Leistungen.

In technischer Hinsicht muß vor allem die detailgetreue Ausstattung gelobt werden, die das Los Angeles der 1920er Jahre lebensecht auf die Leinwand transportiert und dafür zurecht für einen OSCAR nominiert wurde. Außerdem hat Regisseur Eastwood auch noch eine schönen, einfühlsame Filmmusik komponiert, die immerhin für den Golden Globe nominiert wurde.

Insgesamt ist "Der fremde Sohn" ein sehr gelungener Genremix mit aufwühlender Story, der jedoch aufgrund der thematischen Dreiteilung nicht immer ganz aus einem Guß wirkt. 8,5 Punkte.