Glaubensfrage:

New York, 1964: In einer katholischen Schule prallen die Welt- und Religionsbilder von Father Brendan Flynn (Philip Seymour Hoffman) und Schwester Aloysius (Meryl Streep) aufeinander. Während Flynn eher ein Reformer ist, der für eine weltoffene, freundliche Kirche plädiert und das auch in seinem gutmütigen, verschmitzten Verhalten gegenüber den Schülern zum Ausdruck bringt, ist Aloysius eine erzkonservative Vertreterin von Zucht, Disziplin und absoluter Bibeltreue.
Zur Eskalation kommt es, als Aloysius eigentlich aufgrund von Nichtigkeiten den Verdacht hegt, Flynn könne einen der Schüler sexuell mißbrauchen ...
Zwischen diesen beiden Extrempositionen steht die junge Schwester James (Amy Adams), die eigentlich auf Flynns Seite steht, durch Aloysius´ hartnäckige Nachforschungen und -fragen aber zunehmend ins Grübeln und Zweifeln gerät - genau wie der Zuschauer.

Man könnte sagen, John Patrick Shanleys Verfilmung seines eigenen Theaterstücks ist die intelligente Version von "Hard Candy". Wo letzterer dem schwierigen Thema durch eine sensationsheischende, manipulierende Inszenierung samt beleidigend banalem Schluß alles andere als gerecht wurde (merkt man, daß ich "Hard Candy" absolut nicht leiden kann? grin ), geht es "Glaubensfrage" sehr viel erwachsener, ausgewogener, eben einfach intelligenter an und fordert sein Publikum unverhohlen dazu auf, eigene, schnell gefaßte Meinungen und Vorurteile auf den Prüfstand zu stellen.
Die Geschehnisse werden dabei vollkommen nüchtern aus einer reinen Zuschauerperspektive gezeigt. Schwester Aloysius´ Verdächtigungen sind auf ihre Weise genauso einleuchtend wie Father Flynns Erklärungen. Und doch können beide falsch sein. Dabei entfaltet sich das bösartige Wesen der üblen Nachrede (á la BLÖD) auf subtile, doch höchst wirksame Art und Weise. Obwohl die Sympathien eines Großteils der Zuschauer mit Sicherheit bei dem freundlichen Father Flynn liegen und nur die wenigsten das selbstgerechte, ja fanatische Verhalten von Schwester Aloysius´ billigen werden (abgesehen von den Pius-Brüdern vermutlich ...), ergeht es dem Publikum ganz genauso wie Schwester James: Die Summe der vielen winzigen Indizien, die Aloysius´ zur Untermauerung ihrer Vorwürfe sammelt, ergibt noch lange keinen überzeugenden Beweis. Aber sie reicht vollkommen aus, um die tödliche Saat des Zweifels zu streuen und fortan jeden Satz, jede Geste von Father Flynn mit anderen Augen zu beobachten als zuvor.

So eine Film-Konstellation kann natürlich nur mit hervorragenden Schauspielleistungen funktionieren und daß dies bei "Glaubensfrage" der Fall ist, beweisen schon die sage und schreibe vier (!) OSCAR-Nominierungen für Darsteller des Films (eine fünfte gab es für das Drehbuch). Philip Seymour verkörpert Father Flynn phänomenal und es ist schon eine Frechheit, daß er nur als Bester Nebendarsteller nominiert wurde - wo er gegen die ebenso herausragende Leistung von Heath Ledger aufgrund dessen tragischen Todes keine Chance haben dürfte. Zudem erhielt Meryl Streep ihre bereits 15. (!) Nominierung, Amy Adams ihre zweite und Viola Davis (die die Mutter des möglicherweise mißbrauchten Jungen spielt) ihre erste. Daß es in den technischen Kategorien keinerlei Nominierungen gab, läßt sich mit der betont nüchternen, unspektakulären Inszenierung erklären, die Glanzleistungen im technischen Bereich einfach nicht zuläßt.
Das wahrhaft Spektakuläre an "Glaubensfrage" sind die pointierten Dialoge und die Leistungen der Schauspieler.

Fazit: "Glaubensfrage" (übrigens hätte ich eine wörtliche Übersetzung des Originaltitels "Doubt" vorgezogen) ist ein Fest für Anhänger intelligenter, dialoglastiger Filme, die zum Nachdenken anregen. Wer leichte Unterhaltung sucht, ist hier definitiv ebenso fehl am Platze wie bei "Zeiten des Aufruhrs" (und kann sich stattdessen ja "Hard Candy" anschauen ...). 8,5 Punkte.